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Schopenhauers Kosmos

 

 Zeit.

1) Wesen und Bedeutung der Zeit.

Sukzession ist das ganze Wesen der Zeit. (W. I, 9.) Die Zeit ist nichts Anderes, als der Grund des Seins in ihr, d. h. Sukzession. (W. I, 41. Vergl. unter Grund: Satz vom Grunde des Seins.)
Die Zeit ist die allgemeinste Form aller Objekte der im Dienste des Willens stehenden Erkenntnis und der Urtypus der übrigen Formen derselben. (W. I, 209.) Sie ist die erste und wesentlichste Form alles Erkennens. (W. II, 314.) Sie macht das unterste Grundgerüst der Schaubühne dieser objektiven Welt aus. (P. II, 44.) Sie ist das einfache, nur das Wesentliche enthaltende Schema aller übrigen Gestaltungen des Satzes vom zureichenden Grunde, ja, der Urtypus aller Endlichkeit. (G. 150. 158.)
Die Zeit ist die Form des inneren Sinnes. Der alleinige Gegenstand des inneren Sinnes ist der eigene Wille des Erkennenden. Die Zeit ist daher die Form, mittelst welcher dem ursprünglich und an sich Erkenntnislosen individuellen Willen die Selbsterkenntnis möglich wird. In ihr nämlich erscheint sein an sich einfaches und identisches Wesen auseinandergezogen zu einem Lebenslauf. (W. II, 41. 314. Vergl. auch unter Bewusstsein: Gegensatz des Selbstbewusstseins und des Bewusstseins anderer Dinge.)

2) Idealität der Zeit.

Die von Kant entdeckte Idealität der Zeit hat schon einen genügenden Beweis an der gänzlichen Unmöglichkeit, sie hinwegzudenken, während man Alles, was in ihr sich darstellt, sehr leicht hinwegdenkt. (W. II, 37.) Die Idealität der Zeit ist eigentlich schon in dem, der Mechanik angehörenden Gesetze der Trägheit enthalten, welches im Grunde besagt, dass die bloße Zeit keine physische Wirkung hervorzubringen vermag, daher sie, für sich allein, an der Ruhe oder Bewegung eines Körpers nichts ändert. Schon hieraus ergibt sich, dass sie kein physisch Reales, sondern ein transzendental Ideales sei, d. h. nicht in den Dingen, sondern im erkennenden Subjekt ihren Ursprung habe. (P. II, 41 fg.)
Dass die Zeit überall und in allen Köpfen vollkommen gleichmäßig fortläuft, ließe sich sehr wohl begreifen, wenn dieselbe etwas rein Äußerliches, Objektives, durch die Sinne Wahrnehmbares wäre, wie die Körper. Aber das ist sie nicht. Auch ist sie keineswegs die bloße Bewegung oder sonstige Veränderung der Körper; diese vielmehr ist in der Zeit, welche also von ihr schon als Bedingung vorausgesetzt wird; denn die Uhr geht zu schnell, oder zu langsam, aber nicht mit ihr die Zeit, sondern das Gleichmäßige und Normale, worauf jenes Schnell und Langsam sich bezieht, ist der wirkliche Lauf der Zeit. Die Uhr misst die Zeit, aber sie macht sie nicht. Wenn alle Uhren stehen blieben, wenn die Sonne selbst stillstände, wenn alle und jede Bewegung oder Veränderung stockte; so würde dies doch den Lauf der Zeit keinen Augenblick hemmen, sondern sie würde ihren gleichmäßigen Gang fortsetzen und nun, ohne von Veränderungen begleitet zu sein, verfließen. Dabei ist sie dennoch nichts Wahrnehmbares, nichts äußerlich, objektiv Gegebenes. Da bleibt keine andere Annahme übrig, als dass sie in uns liege, unser eigener, ungestört fortschreitender mentaler Prozess, die Form unseres Vorstellens sei. (P. II, 43 fg.; I, 108. W. II, 40.)

3) Praedicabilia a priori der Zeit.

Über die Einheit, unendliche Teilbarkeit, Kontinuität, Anfangs- und Endlosigkeit, Bestandlosigkeit und sonstige Praedicabilia a priori der Zeit s. die Tafel der Praedicabilia a priori. (W. II, zu S. 55.)

4) Die drei Abschnitte der Zeit.

Die Zeit hat drei Abschnitte: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, welche zwei Richtungen mit einem Indifferenzpunkt bilden. (W. II, zu S. 55, Tafel der Praedicabilia a priori No. 4. — Über die drei Zeitabschnitte im Besonderen vergl. die Artikel: Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft.)

5) Die zeitliche Folge.

a) Die zeitliche Folge als allein vermöge der Anschauung a priori verständliches Verhältnis.

(S. Folge.)

b) Gesetz der zeitlichen Folge.

(S. Folge.)

c) Unabhängigkeit der zeitlichen Folge von der Kausalität.

(S. Folge.)

6) Bedingung der Wahrnehmbarkeit des Laufes der Zeit.

Da alle Bewegung erst wahrnehmbar wird durch den Vergleich mit etwas Ruhendem, so könnte auch der Lauf der Zeit mit Allem in ihr nicht wahrgenommen werden, wenn nicht etwas wäre, das an dem selben keinen Teil hat, und mit dessen Ruhe wir die Bewegung jenes vergleichen. Dieses Feststehende, an welchem die Zeit mit ihrem Inhalt vorüberfließt, kann nichts anderes sein, als das erkennende Subjekt selbst, als welches dem Laufe der Zeit und dem Wechsel ihres Inhalts unerschüttert und unverändert zuschaut. Daraus folgt aber nicht, dass das erkennende Subjekt eine beharrende unzerstörbare Substanz, eine endlos fortdauernde Seele sei. (P. I, 107—111. Vergl. Seele und Persönlichkeit.)

7) Messbarkeit der Zeit.

Die Zeit ist nicht direkt, durch sich selbst messbar, sondern nur indirekt, durch die Bewegung, als welche in Raum und Zeit zugleich ist; so misst die Bewegung der Sonne und der Uhr die Zeit. (W. II, zu Seite 55, Tafel der Praedicabilia a priori, No. 18.)

8) Vereinigung von Zeit und Raum in der Dauer und Veränderung.

(S. Dauer und Veränderung.)

9) Gegensatz zwischen Zeit und Raum in Hinsicht auf die abstrakte Erkenntnis.

(S. Raum.)

10) Der Sinn, dessen Wahrnehmungen ausschließlich in der Zeit sind.

Das Gehör ist der Sinn, dessen Wahrnehmungen ausschließlich in der Zeit sind; daher das ganze Wesen der Musik im Zeitmaß besteht. Die Wahrnehmungen des Gesichts hingegen sind zunächst und ausschließlich im Raume, sekundär, mittelst ihrer Dauer, aber auch in der Zeit. (W. II, 32.)

11) Verhältnis der Zeit zur Ewigkeit.

(S. Ewigkeit.)

12) Aufhebung der Schranken der Zeit im somnambulen Hellsehen.

Die Trennungen mittelst des Raumes werden im somnambulen Hellsehen sehr viel öfter, mithin leichter aufgehoben, als die mittelst der Zeit, indem das bloß Abwesende und Entfernte viel öfter zur Anschauung gebracht wird, als das wirklich noch Zukünftige. In Kant's Sprache wäre dies daraus erklärlich, dass der Raum bloß die Form des äußern, die Zeit die des inneren Sinnes ist. — Dass Zeit und Raum ihrer Form nach a priori angeschaut werden, hat Kant gelehrt; dass es aber auch ihrem Inhalt nach geschehen kann, lehrt der hellsehende Somnambulismus. (P. II, 45.)

13) Nichtigkeit des Zeitlichen.

Alles Sein in der Zeit ist auch wieder ein Nichtsein; denn die Zeit ist eben nur dasjenige, wodurch dem selben Dinge entgegengesetzte Bestimmungen zukommen können. Daher ist jede Erscheinung in der Zeit eben auch wieder nicht; denn was ihren Anfang von ihrem Ende trennt, ist eben nur die Zeit, ein wesentlich Hinschwindendes, Bestandsloses und Relatives, hier Dauer genannt. (W. I, 209. Vergl. unter Dasein: Nichtigkeit des Daseins.)

14) Unabhängigkeit unseres Wesens an sich vom Laufe der Zeit.

Unser Wesen an sich ist, unberührt vom Laufe der Zeit und dem Hinsterben der Geschlechter, in immerwährender Gegenwart da. (W. II, 547. Vergl. Tod und Unzerstörbarkeit.)

15) Die aus dem Gebundensein an die Form der Zeit entspringenden Unvollkommenheiten des Intellekts.

(S. unter Intellekt: Unvollkommenheiten des Intellekts.)

16) Einfluss des Lebensalters auf die subjektive Schätzung der Zeitlänge.

(S. unter Langeweile: Verhältnis der Lebensalter zur Langeweile.)