Bewusstsein.
1) Das Bewusstsein ist uns nur als Eigenschaft animalischer Wesen bekannt.
Das Bewusstsein ist uns schlechthin nur als Eigenschaft animalischer Wesen bekannt; folglich dürfen, ja können wir es nicht anders, denn als animalisches Bewusstsein denken; so dass dieser Ausdruck schon tautologisch ist. (W. II, 227.)
Bewusstlosigkeit ist der ursprüngliche und natürliche Zustand aller
Dinge, mithin auch die Basis, aus welcher, in einzelnen Arten der
Wesen, das Bewusstsein, als die höchste Effloreszenz derselben, hervorgeht,
weshalb auch dann jener immer noch vorwaltet. Demgemäß sind
die meisten Wesen ohne Bewusstsein; sie wirken dennoch nach den Gesetzen
ihrer Natur, d. h. ihres Willens. Die Pflanzen haben höchstens
ein Analogon von Bewusstsein, die untersten Tiere bloß eine Dämmerung
desselben. Aber auch nachdem es sich, durch die ganze Tierreihe, bis
zum Menschen und seiner Vernunft gesteigert hat, bleibt die Bewusstlosigkeit
der Pflanze, von der es ausging, noch immer die Grundlage,
und ist zu spüren in der Notwendigkeit des Schlafes, wie auch in
den wesentlichen und großen Unvollkommenheiten jedes durch physiologische
Funktionen hervorgebrachten Intellekts; von einem anderen aber
haben wir keinen Begriff. (W. II, 156)
2) Ursprung und Zweck des Bewusstseins.
Das Bewusstsein ist seinem Zweck und Ursprung nach eine bloße μηχανη der Natur, ein Auskunftsmittel, den tierischen Wesen zu ihrem Bedarf zu verhelfen. (P. II, 290.) Die Notwendigkeit des Bewusstseins wird dadurch herbeigeführt, dass, in Folge der gesteigerten Komplikation und dadurch der mannigfaltigeren Bedürfnisse eines Organismus, die Akte seines Willens durch Motive gelenkt werden müssen, nicht mehr, wie auf den tieferen Stufen, durch bloße Reize. Zu diesem Behufe musste der Wille hier mit einem erkennenden Bewusstsein, also mit einem Intellekt, als dem Medio und Ort der Motive, versehen auftreten. (W. II, 284; N. 69.)3) Sitz des Bewusstseins.
Das Bewusstsein hat seinen Sitz im Gehirn und ist daher auf solche Teile des Leibes beschränkt, deren Nerven zum Gehirn gehen; es fällt auch bei diesen weg, wenn sie durchschnitten werden. (N. 24.) Der Sammelplatz der Motive, woselbst ihr Eintritt in den einheitlichen Focus des Bewusstseins Statt hat, ist das Gehirn. Hier werden sie im vernunftlosen Bewusstsein bloß angeschaut, im vernünftigen durch Begriffe verdeutlicht, also in abstrakto gedacht und verglichen. (W. II, 284.)4) Das Gemeinsame und die Unterschiede alles Bewusstseins.
Was in jedem tierischen Bewusstsein, auch dem unvollkommensten und schwächsten, sich stets vorfindet, ja ihm zum Grunde liegt, ist das unmittelbare Innewerden eines Verlangens und der wechselnden Befriedigung und Nichtbefriedigung desselben, in sehr verschiedenen Graden. Die Unterschiede des Bewusstseins liegen in der bestimmten Erkenntnisweise und Erkenntnissphäre der verschiedenen Spezies. Ein Verlangen, Begehren, Wollen, oder Verabscheuen, Fliehen, Nichtwollen, ist jedem Bewusstsein eigen; der Mensch hat es mit dem Polypen gemein. Dieses ist demnach das Wesentliche und die Basis jedes Bewusstseins. Die Verschiedenheit der Äußerungen desselben in den verschiedenen Geschlechtern tierischer Wesen beruht auf der verschiedenen Ausdehnung ihrer Erkenntnissphären, als worin die Motive jener Äußerungen liegen. (W. II, 227 fg.)
Nicht bloß zwischen Mensch und Tier ist ein großer Unterschied
des Bewusstseins, sondern auch zwischen den verschiedenen Tierarten
sind die Unterschiede des Intellekts und dadurch des Bewusstseins groß
und unendlich abgestuft. Das bloße Analogon von Bewusstsein, welches
wir noch der Pflanze zuschreiben müssen, verhält sich zu dem noch viel
dumpferen subjektiven Wesen eines unorganischen Körpers ungefähr, wie
das Bewusstsein des untersten Tieres zu jenem quasi Bewusstsein der
Pflanze. Man kann sich die zahllosen Abstufungen im Grade des
Bewusstseins veranschaulichen unter dem Bilde der verschiedenen Geschwindigkeit,
welche die vom Zentrum ungleich entfernten Punkte einer
drehenden Scheibe haben. Aber das richtigste, ja, natürliche Bild
jener Abstufung liefert die Tonleiter, in ihrem ganzen Umfang, vom
tiefsten noch hörbaren bis zum höchsten Ton. Nun aber ist es der
Grad des Bewusstseins, welcher den Grad des Daseins eines Wesens
bestimmt. Denn alles unmittelbare Dasein ist ein subjektives; das
objektive Dasein ist im Bewusstsein eines anderen vorhanden, also ganz
mittelbar. Durch den Grad des Bewusstseins sind die Wesen so verschieden,
wie sie durch den Willen gleich sind, sofern dieser das Gemeinsame
in ihnen allen ist. — Wie zwischen Pflanze und Tier, und dann
zwischen den verschiedenen Tiergeschlechtern, so auch zwischen Mensch
und Mensch begründet das Sekundäre, der Intellekt, mittelst der von
ihm abhängigen Klarheit des Bewusstseins einen fundamentalen und
unabsehbar großen Unterschied in der ganzen Weise des Daseins und
dadurch im Grade desselben. (W. II, 318 fg.; P. II, 630 fg.;
N. 74—77.)
5) Gegensatz des Selbstbewusstseins und des Bewusstseins anderer Dinge.
Das empirische Bewusstsein zerfällt in das Bewusstsein des eigenen Selbst (Selbstbewusstsein) und in das Bewusstsein anderer Dinge. (W. II, 89.) Letzteres enthält, ehe noch jene anderen Dinge darin vorkommen, gewisse Formen der Art und Weise dieses Vorkommens, welche demnach Bedingungen der Möglichkeit ihres objektiven Daseins, d. h. ihres Daseins als Objekte für uns sind; dergleichen sind Zeit, Raum, Kausalität. Obgleich nun diese Formen des Erkennens in uns selbst liegen, so ist dies doch nur zu dem Behuf, dass wir uns anderer Dinge als solcher bewusst werden können und in durchgängiger Beziehung auf diese; daher wir jene Formen, wenn sie gleich in uns liegen, nicht als zum Selbstbewusstsein gehörig anzusehen haben, vielmehr als das Bewusstsein anderer Dinge, d. i. die objektive Erkenntnis möglich machend. (E. 9.)
Von unserm gesamten Bewusstsein ist der bei weitem größte Teil
nicht das Selbstbewusstsein, sondern das Bewusstsein anderer
Dinge. Dieses ist der Schauplatz der realen Außenwelt. Erst was
wir nach Abzug dieses bei Weitem größten Teiles unseres gesamten
Bewusstseins übrig behalten, ist das Selbstbewusstsein, also ist der
Reichtum desselben nicht groß. Gegenstand des Selbstbewusstseins ist
allezeit nur das eigene Wollen, worunter nicht bloß die entschiedenen,
zur Tat werdenden Willensakte und die förmlichen Entschlüsse, sondern
auch alles Begehren, Streben, Wünschen, Verlangen, Sehnen, Hoffen,
Lieben, Freuen, Jubeln u. dgl., als zu den Äußerungen des Wollens
gehörend, zu verstehen ist. (E. 10—12; W. II, 225.)
Nicht nur das Bewusstsein von anderen Dingen, d. i. die Wahrnehmung
der Außenwelt, sondern auch das Selbstbewusstsein enthält
ein Erkennendes und Erkanntes; sonst wäre es kein Bewusstsein;
denn ohne Gegenstand ist kein Bewusstsein. (W. II, 225; I, 17.)
Also auch das Selbstbewusstsein ist nicht schlechthin einfach, sondern
zerfällt, wie das Bewusstsein von anderen Dingen, in ein Erkennendes
und Erkanntes. Dieses nun ist hier ausschließlich der Wille in seinen
verschiedenen Regungen. (W. II, 225; G. 140.)
Im Selbstbewusstsein streift das Ding an sich, der Wille, die eine
seiner Erscheinungsformen, den Raum, ab und behält allein die andere,
die Zeit, bei. Nun aber kann in der bloßen Zeit sich keine beharrende
Substanz, dergleichen die Materie ist, darstellen, weil eine
solche nur durch die innige Vereinigung des Raumes mit der Zeit
möglich wird. Daher wird im Selbstbewusstsein der Wille nicht als
das bleibende Substrat seiner Regungen wahrgenommen, mithin nicht
als beharrende Substanz angeschaut; sondern bloß seine einzelnen Akte,
Bewegungen und Zustände, dergleichen die Entschließungen, Wünsche
und Affekte sind, werden, sukzessiv und während der Zeit ihrer Dauer,
unmittelbar erkannt. Die Erkenntnis des Willens im Selbstbewusstsein
ist demnach keine Anschauung desselben, sondern ein ganz unmittelbares
Innewerden seiner sukzessiven Regungen. (W. II, 279.) Das
Subjekt erkennt den Willen eben auch nur wie die Außendinge, an
seinen Äußerungen, also an den einzelnen Willensakten und sonstigen
Affektionen, folglich erkennt es ihn immer noch als Erscheinung,
wenngleich nicht unter der Beschränkung des Raumes, wie die Außendinge.
(P. II, 48.)
6) Beschränkung des Bewusstseins auf Erscheinungen.
Unser Bewusstsein wird heller und deutlicher, je weiter es nach Außen gelangt, wie denn seine größte Klarheit in der sinnlichen Anschauung liegt; es wird hingegen dunkler nach Innen zu und führt, in sein Innerstes verfolgt, in eine Finsternis, in der alle Erkenntnis aufhört. Dies hat seinen Grund darin, dass das Bewusstsein Individualität voraussetzt, diese aber schon der bloßen Erscheinung angehört, indem sie als Vielheit des Gleichartigen durch die Formen der Erscheinung, Raum und Zeit, bedingt ist. Unser Inneres dagegen hat seine Wurzel in dem, was nicht mehr Erscheinung, sondern Ding an sich ist, wohin daher die Formen der Erscheinung nicht reichen, wodurch dann die Hauptbedingungen der Individualität mangeln und mit dieser das deutliche Bewusstsein wegfällt. In diesem Wurzelpunkt des Daseins nämlich hört die Verschiedenheit der Wesen so auf, wie die der Radien einer Kugel im Mittelpunkt; und wie an dieser die Oberfläche dadurch entsteht, dass die Radien enden und abbrechen, so ist das Bewusstsein nur da möglich, wo das Wesen an sich in die Erscheinung ausläuft, durch deren Formen die geschiedene Individualität möglich wird, auf der das Bewusstsein beruht, welches eben deshalb auf Erscheinungen beschränkt ist. (W. II, 370 fg.) Das Bewusstsein ist in seinem Inneren dunkel, ist mit allen seinen objektiven Erkenntniskräften ganz nach Außen gerichtet. Da draußen liegt vor seinen Blicken große Helle und Klarheit. Aber innen ist es finster, wie ein gut geschwärztes Fernrohr; kein Satz a priori erhellt die Nacht seines eigenen Innern, sondern diese Leuchttürme strahlen nur nach außen. (E. 22.) Das Ich ist der finstere Punkt im Bewusstsein, wie auf der Netzhaut gerade der Eintrittspunkt des Sehnerven blind ist, wie das Auge Alles sieht, nur sich selbst nicht. Unser Erkenntnisvermögen ist ganz nach Außen gerichtet. Dem entsprechend, dass es das Produkt einer zum Zwecke der bloßen Selbsterhaltung entstandenen Gehirnfunktion ist. (W. II, 560.) Wir können uns unserer nicht an uns selbst unabhängig von den Objekten des Erkennens und Wollens bewusst werden, sondern sobald wir, um es zu versuchen, in uns gehen und uns, indem wir das Erkennen nach Innen richten, einmal völlig besinnen wollen, so verlieren wir uns in eine bodenlose Leere. (W. I, 327, Anmerkung.)7) Das Bewusste im Gegensatze zum Unbewussten.
Vergleichen wir unser Bewusstsein mit einem Wasser von einiger Tiefe; so sind die deutlich bewussten Gedanken bloß die Oberfläche; die Masse hingegen ist das Undeutliche, die Gefühle, die Nachempfindung der Anschauungen und des Erfahrenen überhaupt, versetzt mit der eigenen Stimmung unseres Willens, welcher der Kern unseres Wesens ist. Diese Masse des ganzen Bewusstseins ist nun, mehr oder weniger, nach Maßgabe der Intellektuellen Lebendigkeit in steter Bewegung, und was in Folge dieser auf die Oberfläche steigt, sind die klaren Bilder der Phantasie, oder die deutlichen, bewussten Gedanken und die Beschlüsse des Willens. Selten liegt der ganze Prozess unseres Denkens und Beschließens auf der Oberfläche. Urteile, Einfälle und Beschlüsse steigen oft unerwartet und zu unserer eigenen Verwunderung aus der Tiefe unseres Inneren auf. Das Bewusstsein ist die bloße Oberfläche unseres Geistes, von welchem, wie vom Erdkörper, wir nicht das Innere, sondern nur die Schale kennen. (W. II, 148 fg.)
Unsere besten, sinnreichsten, und tiefsten Gedanken treten plötzlich ins
Bewusstsein, wie eine Inspiration. Offenbar aber sind sie Resultate
langer, unbewusster Meditation. Beinahe möchte man es wagen, die
physiologische Hypothese aufzustellen, dass das bewusste Denken auf der
Oberfläche des Gehirns, das unbewusste im Inneren seiner Marksubstanz
vor sich gehe. (P. II, §. 41.)