Tod.
1) Unterschied zwischen Tier und Mensch in Hinsicht auf den Tod.
Das Tier lebt ohne eigentliche Kenntnis des Todes; daher genießt das tierische Individuum unmittelbar die ganze Unvergänglichkeit der Gattung, indem es sich seiner nur als endlos bewusst ist. Beim Menschen fand sich mit der Vernunft notwendig die erschreckende Gewissheit des Todes ein. Wie aber durchgängig in der Natur jedem Übel ein Heilmittel, oder wenigstens ein Ersatz beigegeben ist, so verhilft die selbe Reflexion, welche die Erkenntnis des Todes herbeiführt auch zu metaphysischen Ansichten, die darüber trösten, und deren das Tier weder bedürftig, noch fähig ist. Hauptsächlich auf diesen Zweck sind alle Religionen und philosophischen Systeme gerichtet, sind also zunächst das von der reflektierenden Vernunft aus eigenen Mitteln hervorgebrachte Gegengift der Gewissheit des Todes. (W. II, 527.)
So oft ein Mensch stirbt, geht eine Welt unter, nämlich die, welche
er in seinem Kopfe trägt; je intelligenter der Kopf, desto deutlicher,
klarer, bedeutender, umfassender diese Welt, desto schrecklicher ihr Untergang.
Mit dem Tiere geht nur eine ärmliche Rhapsodie oder Skizze
einer Welt unter. (H. 413.)
2) Verwandtschaft zwischen Schlaf und Tod.
(S. Schlaf.)3) Zeugung und Tod als wesentliche Momente des Lebens der Gattung.
Zeugung und Tod sind als etwas zum Leben Gehöriges und dieser Erscheinung des Willens Wesentliches zu betrachten. Dieses geht auch daraus hervor, dass beide sich uns als die nur höher potenzierten Ausdrücke dessen, woraus auch das ganze übrige Leben besteht, darstellen. Dieses nämlich ist durch und durch nichts Anderes, als ein steter Wechsel der Materie, unter dem festen Beharren der Form; und eben das ist die Vergänglichkeit der Individuen, bei der Unvergänglichkeit der Gattung. Die beständige Ernährung und Reproduktion ist nur dem Grade nach von der Zeugung, und die beständige Exkretion nur dem Grade nach vom Tode verschieden. (W. I, 326 fg.)
Der Ernährungsprozess ist ein stetes Zeugen, der Zeugungsprozess
ein höher potenziertes Ernähren. Andererseits ist die Exkretion, das
stete Aushauchen und Abwerfen von Materie, das Selbe, was in erhöhter
Potenz der Tod, der Gegensatz der Zeugung ist. Wie wir nun
hierbei allezeit zufrieden sind, die Form zu erhalten, ohne die abgeworfene
Materie zu betrauern; so haben wir uns auf gleiche Weise zu
verhalten, wenn im Tode das Selbe in erhöhter Potenz und im Ganzen
geschieht, was täglich und stündlich im Einzelnen bei der Exkretion
vor sich geht. Wie wir beim ersteren gleichgültig sind, sollten wir
beim anderen nicht zurückbeben. Von diesem Standpunkt aus erscheint
es daher eben so verkehrt, die Fortdauer seiner Individualität zu verlangen,
welche durch andere Individuen ersetzt wird, als den Bestand
der Materie seines Leibes, die stets durch neue ersetzt wird; es erscheint
eben so töricht, Leichen einzubalsamieren, als es wäre, seine Auswürfe
sorgfältig zu bewahren. (W. I, 326 fg.)
Einem Auge, welches mit einem Blick das Menschengeschlecht in
seiner ganzen Dauer umfasste, würde der stete Wechsel von Geburt
und Tod sich nur darstellen, wie eine anhaltende Vibration, und demnach
ihm gar nicht einfallen, darin ein stets neues Werden aus Nichts
zu Nichts zu sehen; sondern ihm würde, gleich wie unserm Blick der
schnell gedrehte Funke als bleibender Kreis, die schnell vibrierende Feder
als beharrendes Dreieck, die schwingende Saite als Spindel erscheint,
die Gattung als das Seiende und Bleibende erscheinen, Tod und Geburt
als Vibrationen. (W. II, 548—551.) Das Wechselspiel des
Todes und der Zeugung ist gleichsam der Pulsschlag der durch alle
Zeit beharrenden Idee (species). (W. II, 584.)
Der Grund des Alterns und Sterbens ist kein physischer, sondern
ein metaphysischer. (H. 410. P. II, 308.)
4) Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich durch den Tod.
Aus dem Aufhören des organischen Lebens in einem Individuum ist nicht zu schließen, dass auch die dasselbe bisher aktuierende Kraft zu Nichts geworden sei; — so wenig, als vom stillstehenden Spinnrad auf den Tod der Spinnerin zu schließen ist. Selbst den untersten Naturkräften erkennen wir unmittelbar eine Äternität und Ubiquität zu, an welcher uns die Vergänglichkeit ihrer flüchtigen Erscheinungen keinen Augenblick irre macht. Um so weniger also darf es uns in den Sinn kommen, das Aufhören des Lebens für die Vernichtung des belebenden Prinzips, mithin den Tod für den gänzlichen Untergang des Menschen zu halten. Nur das ist vergänglich, was in der Kausalkette begriffen ist; dies aber sind bloß die Zustände und Formen. Unberührt hingegen von dem durch Ursachen herbeigeführten Wechsel dieser bleibt einerseits die Materie und andererseits die Naturkraft; denn beide sind die Voraussetzung aller jener Veränderungen. Das uns belebende Prinzip aber müssen wir zunächst wenigstens als eine Naturkraft denken. Also schon als Naturkraft genommen, bleibt die Lebenskraft ganz unberührt von dem Wechsel der Formen und Zustände. So weit also ließe sich schon die Unvergänglichkeit unseres eigentlichen Wesens sicher beweisen. Aber auch das Zweite, welches, eben wie die Naturkräfte, von dem am Leitfaden der Kausalität fortlaufenden Wechsel der Zustände unberührt bleibt, also die Materie, sichert uns durch seine absolute Beharrlichkeit eine Unzerstörbarkeit zu. Selbst diese Beharrlichkeit der Materie legt von der Unzerstörbarkeit unseres wahren Wesens Zeugnis ab. (W. II, 536—538. 542—546.)
Wenn ich eine Fliege klappe, so ist doch wohl klar, dass ich nicht
das Ding an sich tot geschlagen habe, sondern bloß seine Erscheinung.
(H. 411.) Wie kann man nur beim Anblick des Todes eines
Menschen vermeinen, hier werde ein Ding an sich selbst zu nichts?
Dass vielmehr nur eine Erscheinung in der Zeit ihr Ende finde, ohne
dass das Ding an sich selbst dadurch angefochten werde, ist eine unmittelbare
intuitive Erkenntnis jedes Menschen; daher man es zu allen
Zeiten in den verschiedensten Formen und Ausdrücken auszusprechen
bemüht gewesen ist. (P. II, 287.)
Der Tod gibt sich unverhohlen kund als das Ende des Individuums
(vergl. unter Individuation, Individualität: Zersetzung
des Individuums durch den Tod), aber in diesem Individuum liegt
der Keim zu einem neuen Wesen. Demnach nun also stirbt nichts
von Allem, was da stirbt, für immer; aber auch Keines, das geboren
wird, empfängt ein von Grund aus neues Dasein. (P. II, 292.)
Wie auch immer, durch Zeugung und Tod, das Physische wunderlich
und bedenklich walten mag; so ist doch das ihm zu Grunde liegende
Metaphysische so ganz heterogener Wesenheit, dass es davon nicht angefochten
wird und wir getrost sein dürfen. (P. II, 295. W. II,
540 fg. 563—568. Vergl. auch Entstehen und Vergehen.)
5) Warum uns der Tod als Vernichtung erscheint.
Dasjenige Dasein, welches beim Tode des Individuums unbeteiligt bleibt, hat nicht Zeit und Raum zur Form, alles für uns Reale erscheint aber in diesen; daher also stellt der Tod sich uns als Vernichtung dar. (P. II, 301.)
Für uns ist und bleibt der Tod ein Negatives, — das Aufhören
des Lebens; allein er muss auch eine positive Seite haben, die jedoch
uns verdeckt bleibt, weil unser Intellekt durchaus unfähig ist, sie zu
fassen. Daher erkennen wir wohl, was wir durch den Tod verlieren,
aber nicht, was wir durch ihn gewinnen. (P. II, 301.)
6) Zurückversetzung in den Urzustand durch den Tod.
Wer auf intuitive Weise inne wird, dass die Gegenwart, welche die alleinige Form aller Realität ist (vergl. Gegenwart), ihre Quelle in uns hat, also von innen, nicht von außen quillt, der kann an der Unzerstörbarkeit seines eigenen Wesens nicht zweifeln. Vielmehr wird er begreifen, dass bei seinem Tode zwar die objektive Welt, mit dem Medio ihrer Darstellung, dem Intellekt, für ihn untergeht, Dies aber sein Dasein nicht anficht; denn es war eben so viel Realität innerhalb, wie außerhalb. Das Leben kann angesehen werden als ein Traum und der Tod als das Erwachen. Dann aber gehört die Persönlichkeit, das Individuum, dem träumenden und nicht dem wachen Bewusstsein an; weshalb denn jenem der Tod sich als Vernichtung darstellt. Jedenfalls jedoch ist er, von diesem Gesichtspunkt aus, nicht zu betrachten als der Übergang zu einem uns ganz neuen und fremden Zustande, vielmehr nur als der Rücktritt zu dem uns ursprünglich eigenen, als von welchem das Leben nur eine kurze Episode war.
Im Tode geht allerdings unser Bewusstsein, als durch den Intellekt
und mithin durch den Organismus bedingt (vergl. Intellekt und
Bewusstsein), unter; hingegen keineswegs Das, was bis dahin dasselbe
hervorgebracht hatte. Und was für ein Bewusstsein ist denn
dieses? — ein zerebrales, animales, ein etwas höher potenziertes tierisches.
Der Zustand hingegen, in welchen uns der Tod zurückversetzt,
ist unser ursprünglicher, d. h. ist der selbsteigene Zustand des Wesens,
dessen Urkraft in der Hervorbringung und Unterhaltung des jetzt aufhörenden
Lebens sich darstellt. Es ist nämlich der Zustand des Dinges
an sich, im Gegensatz der Erscheinung. In diesem Urzustand nun ist
ohne Zweifel ein solcher Notbehelf, wie das zerebrale, höchst mittelbare
und eben deshalb bloße Erscheinungen liefernde Erkennen durchaus
überflüssig; daher wir es eben verlieren. Aber, wenn wir nun durch
den Tod den Intellekt mit seiner Grundform (Zerfallen in Subjekt und
Objekt, in ein Erkennendes und Erkanntes) einbüßen; so werden wir
dadurch nur in den erkenntnislosen Urzustand versetzt, der jedoch
deshalb nicht ein schlechthin bewusstloser, vielmehr ein über jene
Form erhabener sein wird, ein Zustand, wo der Gegensatz von Subjekt
und Objekt wegfällt, weil hier das zu Erkennende mit dem Erkennenden
selbst wirklich und unmittelbar Eins sein würde, also die Grundbedingung
alles Erkennens (eben jener Gegensatz) fehlt. (P. II,
288—291.)
7) Beweis, dass der Tod kein Übel ist.
Was uns den Tod so furchtbar macht, ist nicht sowohl das Ende des Lebens, als vielmehr die Zerstörung des Organismus; eigentlich, weil dieser der als Leib sich darstellende Wille selbst ist. Diese Zerstörung fühlen wir aber wirklich nur in den Übeln der Krankheit, oder des Alters; hingegen der Tod selbst besteht, für das Subjekt, bloß in dem Augenblick, da das Bewusstsein schwindet, indem die Tätigkeit des Gehirns stockt. Die hierauf folgende Verbreitung der Stockung auf alle übrigen Teile des Organismus ist eigentlich schon eine Begebenheit nach dem Tode. Der Tod, in subjektiver Hinsicht, betrifft also allein das Bewusstsein. Was nun das Schwinden dieses sei, ist uns aus dem Einschlafen und der Ohnmacht bekannt. Es ist keineswegs schmerzlich. Auch der gewaltsame Tod kann nicht schmerzlich sein, da selbst schwere Verwundungen in der Regel gar nicht gefühlt, sondern erst eine Weile nachher bemerkt werden. Sind sie schnell tödlich, so wird das Bewusstsein vor dieser Entdeckung schwinden; töten sie später, so ist es, wie bei anderen Krankheiten. Auch alle Die, welche im Wasser, oder durch Kohlendampf, oder durch Hängen das Bewusstsein verloren haben, sagen bekanntlich aus, dass es ohne Pein geschehen sei. Und nun endlich gar der eigentlich naturgemäße Tod, der durch das Alter, die Euthanasie, ist ein allmähliches Verschwinden und Verschweben aus dem Dasein, auf unmerkliche Weise. Was bleibt da dem Tode noch zu zerstören?
Ferner daraus, dass die Unterhaltung des Lebensprozesses nicht ohne
Widerstand, folglich nicht ohne Anstrengung vor sich geht, welche es
auch ist, der der Organismus jeden Abend unterliegt, ist zu schließen,
dass das gänzliche Aufhören des Lebensprozesses für die treibende
Kraft desselben eine wundersame Erleichterung sein muss; vielleicht
hat diese Anteil an dem Ausdruck süßer Zufriedenheit auf dem Gesicht
der meisten Toten. Überhaupt mag der Augenblick des Sterbens
dem des Erwachens aus einem schweren, albgedrückten Traum
ähnlich sein.
Hieraus ergibt sich, dass der Tod, so sehr er auch gefürchtet wird,
doch eigentlich kein Übel sein könne. Oft aber erscheint er sogar als
ein Gut, ein Erwünschtes, als Freund Hain. Alles, was auf unüberwindliche
Hindernisse seines Daseins, oder seiner Bestrebungen gestoßen
ist, hat zur letzten Zuflucht die Rückkehr in den Schoß der
Natur. (W. II, 533—535.)
Was für das Individuum der Schlaf, das ist für den Willen als
Ding an sich der Tod. Er würde es nicht aushalten, eine Unendlichkeit
hindurch das selbe Treiben und Leiden ohne wahren Gewinn fortzusetzen,
wenn ihm Erinnerung und Individualität bliebe. Er wirft
sie ab, dies ist der Lethe, und tritt, durch diesen Todesschlaf erfrischt
und mit einem anderen Intellekt ausgestattet, als ein neues Wesen
wieder auf. (W. II, 572. Über die Verwandtschaft zwischen Schlaf
und Tod vergl. Schlaf.)
Wer könnte auch nur den Gedanken des Todes ertragen, wenn das
Leben eine Freude wäre. So aber hat jener immer noch das Gute,
das Ende des Lebens zu sein, und wir trösten uns über die Leiden
des Lebens mit dem Tode, und über den Tod mit den Leiden des
Lebens. Die Wahrheit ist, dass Beide unzertrennlich zusammengehören,
indem sie ein Irrsal ausmachen, von welchem zurückzukommen so
schwer, wie wünschenswert ist. (W. II, 662.)
Die Individualität ist keine Vollkommenheit, sondern eine Beschränkung;
daher ist, sie los zu werden, kein Verlust, vielmehr Gewinn.
(P. II, 299.)
Ein zu jeder Zeit und für Jeden fasslicher Trost ist: Der Tod
ist so natürlich, wie das Leben; und dann wollen wir weiter sehen.
(H. 410.)
8) Moralische Bedeutung des Todes.
Die Individualität der meisten Menschen ist eine so elende und nichtswürdige, dass sie wahrlich nichts daran verlieren, und dass, was an ihnen noch einigen Wert haben mag, das allgemein Menschliche ist; diesem aber kann man die Unvergänglichkeit versprechen. Ja, schon die starre Unveränderlichkeit und wesentliche Beschränkung jeder Individualität, als solcher, müsste, bei einer endlosen Fortdauer derselben endlich durch ihre Monotonie einen so großen Überdruss erzeugen, dass man, um ihrer entledigt zu sein, lieber zu Nichts würde. Unsterblichkeit der Individualität verlangen heißt eigentlich einen Irrtum ins Unendliche perpetuieren zu wollen. Denn im Grunde ist doch jede Individualität nur ein spezieller Irrtum, Fehltritt, etwas das besser nicht wäre, ja, wovon uns zurückzubringen der eigentliche Zweck des Lebens ist. (W. II, 560 fg.)
Tod und Geburt sind die stete Auffrischung des Bewusstseins des
an sich end- und anfangslosen Willens, jede solche Auffrischung aber
bringt eine neue Möglichkeit der Verneinung des Willens zum Leben.
(W. II, 571)
Der Tod ist die große Zurechtweisung, welche der Wille zum Leben
und näher der diesem wesentliche Egoismus durch den Lauf der Natur
erhält, und er kann aufgefasst werden als eine Strafe für unser Dasein.
Er ist die schmerzliche Lösung des Knotens, den die Zeugung
mit Wollust geschürzt hatte, und die von außen eindringende, gewaltsame
Zerstörung des Grundirrtums unseres Wesens, die große Enttäuschung.
Wir sind im Grunde etwas, das nicht sein sollte; darum
hören wir auf zu sein. (W. II, 579.)
Der Tod ist die große Gelegenheit, nicht mehr Ich zu sein; wohl
Dem, der sie benutzt. Während des Lebens ist der Wille des Menschen
ohne Freiheit. Das Sterben ist der Augenblick der Befreiung
von der Einseitigkeit einer Individualität, welche nicht den innersten
Kern unseres Wesens ausmacht, vielmehr als eine Art Verirrung desselben
zu denken ist; die wahre, ursprüngliche Freiheit tritt wieder ein
in diesem Augenblick, welcher als eine restitutio in integrum betrachtet
werden kann. Der Friede und die Beruhigung auf dem Gesicht der
meisten Toten scheint daher zu kommen. Ruhig und sanft ist in der
Regel der Tod jedes guten Menschen; aber willig und freudig sterben
ist das Vorrecht des Resignierten, Dessen der den Willen zum Leben
aufgibt und verneint. Denn nur er will wirklich und nicht bloß
scheinbar sterben. (W. II. 580.)
Der Tod sagt: Du bist das Produkt eines Aktes, der nicht hätte
sein sollen; darum musst du, ihn auszulöschen, sterben. — Beim Tode
erfährt der Egoismus durch die Aufhebung der eigenen Person die
gänzliche Durchkreuzung und Zermalmung. Daher die Todesfurcht.
Der Tod ist demnach die Belehrung, welche dem Egoismus durch den
Lauf der Natur wird. (H. 410 fg.)
Wenn man stirbt, sollte man seine Individualität abwerfen, wie ein
altes Kleid, und sich freuen über die neue und bessere, die man jetzt,
nach erhaltener Belehrung, dagegen annehmen wird. (P. II, 301.)
In noch höherem Grade, als das Leiden, hat der Tod eine heiligende
Kraft. Dem entsprechend wird eine der Ehrfurcht, welche großes Leiden
uns abnötigt, verwandte vor jedem Gestorbenen gefühlt, ja, jeder
Todesfall stellt sich gewissermaßen als eine Art Apotheose oder Heiligsprechung
dar; daher wir den Leichnam auch des unbedeutendsten
Menschen nicht ohne Ehrfurcht betrachten. (W. II, 729.)
Das Sterben ist als der eigentliche Zweck des Lebens anzusehen;
im Augenblick desselben wird alles Das entschieden, was durch den
ganzen Verlauf des Lebens nur vorbereitet und eingeleitet war. Der
Tod ist das Ergebnis, das Resumé des Lebens, oder die zusammengezogene
Summe, welche die gesamte Belehrung, die das Leben
vereinzelt und stückweise gab, mit Einem Male ausspricht, nämlich
diese, dass das ganze Streben, dessen Erscheinung das Leben ist, ein
vergebliches, eitles, sich widersprechendes war, von welchem zurückgekommen
zu sein eine Erlösung ist. — Der vollbrachte Lebenslauf,
auf welchen man sterbend zurückblickt, hat auf den ganzen, in dieser
untergehenden Individualität sich objektivierenden Willen eine Wirkung,
welche der analog ist, die ein Motiv auf das Handeln des Menschen
ausübt; er gibt nämlich demselben eine neue Richtung, welche sonach
das moralische und wesentliche Resultat des Lebens ist. Eben weil
ein plötzlicher Tod diesen Rückblick unmöglich macht, sieht die Kirche
einen solchen als ein Unglück an, um dessen Abwendung gebetet wird.
(W. II, 729 fg.)
In der Todesstunde drängen alle die geheimnisvollen (wenngleich in
uns selbst wurzelnden) Mächte, die das ewige Schicksal des Menschen
bestimmen, sich zusammen und treten in Aktion. Aus ihrem Konflikt
ergibt sich der Weg, den er jetzt zu wandern hat, bereitet nämlich
seine Palingenesie sich vor, nebst allem Wohl und Wehe, welches in
ihr begriffen und von Dem an unwiderruflich bestimmt ist. Hierauf beruht
der hochernste, wichtige, feierliche und furchtbare Charakter der
Todesstunde. Sie ist eine Krisis im stärksten Sinne des Wortes, —
ein Weltgericht. (P. I, 238.)
Dass die letzte Spitze, in welche die Bedeutung des Daseins überhaupt
ausläuft, das Ethische sei, das bewährt sich durch die unleugbare
Tatsache, dass bei Annäherung des Todes der Gedankengang des
Menschen, gleichviel, ob er religiösen Dogmen angehangen habe oder
nicht, eine moralische Richtung nimmt und er die Rechnung über
seinen vollbrachten Lebenslauf durchaus in moralischer Rücksicht abzuschließen
bemüht ist. (E. 261 fg.)
Nach dem Absterben des Willens kann der Tod des Leibes (der ja
nur die Erscheinung des Willens ist, mit dessen Aufhebung er daher
alle Bedeutung verliert) nun nichts Bitteres mehr haben, sondern ist
sehr willkommen. (W. I, 462. H. 413.) Auch zeigt sich uns von
hier aus wieder die ewige Gerechtigkeit. Was der Böse von allen
Dingen am meisten fürchtet, das ist ihm gewiss; es ist der Tod.
Dieser ist dem Besten zwar eben so gewiss aber er ist ihm willkommen.
Da alle Bosheit im heftigen und unbedingten Wollen des
Lebens besteht, so ist Jedem, nach dem Maße seiner Bosheit oder
Güte, der Tod bitter, oder leicht, oder erwünscht. Die Endlichkeit
des individuellen Lebens ist ein Übel oder eine Wohltat, je nachdem
der Mensch böse oder gut ist. (H. 413.)