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Schopenhauers Kosmos

 

 Raum.

1) Das eigentümliche Gesetz, nach welchem die Teile des Raumes einander bestimmen.

Das eigentümliche Gesetz, nach welchem die Teile des Raumes (und der Zeit) einander bestimmen, ist eine besondere Gestalt des Satzes vom zureichenden Grunde: der Seinsgrund (G. 131. Vergl. unter Grund: Grund des Seins, und unter Geometrie: Inhalt der Geometrie.)

2) Idealität des Raumes.

Der einleuchtendste und zugleich einfachste Beweis der Idealität des Raumes ist, dass wir den Raum nicht, wie alles Andere, in Gedanken aufheben können. Bloß ausleeren können wir ihn. Aber ihn selbst können wir auf keine Weise los werden. Was wir auch tun, wohin wir uns auch stellen mögen, er ist da und hat nirgends ein Ende; denn er liegt allem unserm Vorstellen zu Grunde und ist die erste Bedingung desselben. Dies beweist ganz sicher, dass er unserm Intellekt selbst angehört, ein integrierender Teil desselben ist und zwar der, welcher den ersten Grundfaden zum Gewebe desselben, auf welches danach die bunte Objekten-Welt aufgetragen wird, liefert. Ist nun aber der Raum offenbar eine Funktion, ja eine Grundfunktion unseres Intellekts selbst; so erstreckt sich die hieraus folgende Idealität auch auf alles Räumliche, sofern es räumlich ist, also sofern es Gestalt, Größe und Bewegung hat. Auch die so genauen und richtig zutreffenden astronomischen Berechnungen sind nur dadurch möglich, dass der Raum eigentlich in unserm Kopfe ist. Dass der Kopf im Raume sei, hält ihn nicht ab, einzusehen, dass der Raum doch nur im Kopfe ist. (P. II, 46 fg.; I, 18 fg. G. 82. W. II, 37—40 und 55, Tafel der Praedicabilia a priori des Raumes. N. Vorrede S. XIII—XVI. H. 329. Über das Hellsehen als eine Bestätigung der Idealität des Raumes s. Magie und Magnetismus.)

3) Gegensatz zwischen Raum und Zeit in Hinsicht auf die abstrakte Erkenntnis.

Eine Eigentümlichkeit unseres Erkenntnisvermögens, die man nicht bemerken konnte, so lange der Unterschied zwischen anschaulicher und abstrakter Erkenntnis nicht vollkommen deutlich gemacht war, ist diese, dass die Verhältnisse des Raumes nicht unmittelbar und als solche in die abstrakte Erkenntnis übertragen werden können, sondern hierzu allein die zeitlichen Größen, die Zahlen geeignet sind. Die Zahlen allein können in ihnen genau entsprechenden abstrakten Begriffen ausgedrückt werden, nicht die räumlichen Größen. Will man also von den räumlichen Verhältnissen abstrakte Erkenntnis haben, so müssen sie erst in zeitliche Verhältnisse, d. h. in Zahlen, übertragen werden; deswegen ist nur die Arithmetik, nicht die Geometrie, allgemeine Größenlehre, und die Geometrie muss in Arithmetik übersetzt werden, wenn sie Mitteilbarkeit, genaue Bestimmtheit und Anwendbarkeit auf das Praktische haben soll. Die Notwendigkeit, dass der Raum mit seinen drei Dimensionen in die Zeit, welche nur eine Dimension hat, übersetzt werden muss, wenn man eine abstrakte Erkenntnis seiner Verhältnisse haben will, diese Notwendigkeit ist es, welche die Mathematik so schwierig macht. — Während der Raum sich sehr für die Anschauung eignet und mittelst seiner drei Dimensionen selbst komplizierte Verhältnisse leicht übersehen lässt, dagegen der abstrakten Erkenntnis sich entzieht; so geht umgekehrt die Zeit zwar leicht in die abstrakten Begriffe ein, gibt dagegen der Anschauung sehr wenig. Unsere Anschauung der Zahlen in ihrem eigentümlichen Element, der bloßen Zeit, ohne Hinzuziehung des Raumes, geht kaum bis Zehn, darüber hinaus haben wir nur noch abstrakte Begriffe, nicht mehr anschauliche Erkenntnis der Zahlen; hingegen verbinden wir mit jedem Zahlwort und allen algebraischen Zeichen genau bestimmte abstrakte Begriffe. (W. I, 64 fg.)

4) Die Vereinigung von Raum und Zeit als Bedingung der Vorstellung der Dauer.

(S. Dauer.)

5) Die Vereinigung von Raum und Zeit als Bedingung der Vorstellung der Materie.

Raum und Zeit, jedes für sich, sind auch ohne die Materie anschaulich vorstellbar; die Materie aber nicht ohne jene. Schon die Form, welche von ihr unzertrennlich ist, setzt den Raum voraus, und ihr Wirken, in welchem ihr ganzes Dasein besteht, betrifft immer eine Veränderung, also eine Bestimmung der Zeit. (W. I, 10—13. Vergl. unter Materie: Die reine Materie und ihre apriorischen Bestimmungen.)

6) Raum und Zeit als das Prinzip der Individuation.

(S. Individuation.)

7) Raum und Zeit als das Grundgerüst und der Grundtypus der erscheinenden Welt.

Weil alle Dinge der Welt die Objektität des einen und selben Willens, folglich dem inneren Wesen nach identisch sind; so muss nicht nur jene (besonders von der Schelling'schen Naturphilosophie nachgewiesene) unverkennbare Analogie zwischen ihnen sein und in jedem Unvollkommeneren sich schon die Spur, Andeutung, Anlage des zunächst liegenden Vollkommeneren zeigen; sondern auch, weil alle jene Formen doch nur der Welt als Vorstellung angehören, so lässt sich sogar annehmen, dass schon in den allgemeinsten Formen der Vorstellung, in diesem eigentlichen Grundgerüst der erscheinenden Welt, also in Raum und Zeit, der Grundtypus, die Andeutung, Anlage alles Dessen, was die Formen füllt, aufzufinden und nachzuweisen sei. Es scheint eine dunkele Erkenntnis hiervon gewesen zu sein, welche der Kabbala und aller mathematischen Philosophie der Pythagoreer, auch der Chinesen im Y-king, den Ursprung gab; und auch in der Schelling'schen Schule finden wir bei ihren mannigfaltigen Bestrebungen, die Analogie zwischen allen Erscheinungen der Natur an das Licht zu ziehen, auch manche, wiewohl unglückliche Versuche, aus den bloßen Gesetzen des Raumes und der Zeit Naturgesetze abzuleiten. Indessen kann man nicht wissen, wie weit einmal ein genialer Kopf beide Bestrebungen realisieren wird. (W. I, 171.)
Es ist sehr bemerkenswert, wie die Grundformen der Objektivation des Willens, nämlich Zeit, Raum und Kausalität, auch gerade die Quelle aller Leiden des Lebens, ihrer ganzen Möglichkeit nach sind. So ist vermöge der Zeit das Hinschwinden, Verlieren, Sterben, das Nichtige und Vergängliche aller Dinge; vermöge des Raumes die beständigen Durchkreuzungen und gegenseitigen Hemmungen aller Willenserscheinungen und ihres Strebens; endlich vermöge der Kausalität alles Leiden überhaupt, da es durch Einwirkung der Körper auf einander allein entsteht. Man sieht, dass das Grundgerüst zur Offenbarung des Wesens des Willens auch sogleich den inneren Widerspruch, die Nichtigkeit und Unseligkeit, die diesem Wesen ankleben und das Ganze seiner Erscheinung begleiten, unmittelbar kund tun musste. Da alles Leiden seiner Natur nach empirisch ist, muss es freilich die Form der Erfahrung zur Grundlage haben. (G. 421.)

8) Ob die Welt im Raume begrenzt ist.

Das Gesetz der Kausalität gibt bloß in Hinsicht auf die Zeit, nicht auf den Raum, notwendige Bestimmungen an die Hand und erteilt uns zwar a priori die Gewissheit, dass keine erfüllte Zeit je an eine ihr vorhergegangene leere Grenzen und keine Veränderung die erste sein konnte, nicht aber darüber, dass ein erfüllter Raum keinen leeren neben sich haben kann. Insofern wäre über Letzteres keine Entscheidung a priori möglich. Jedoch liegt die Schwierigkeit, die Welt im Raume als begrenzt zu denken, darin, dass der Raum selbst notwendig unendlich ist, und daher eine begrenzte endliche Welt in ihm, so groß sie auch sei, zu einer unendlich kleinen Größe wird, so dass die Frage entsteht, wozu denn der übrige Raum da sei, welches Vorrecht denn der erfüllte Teil des Raumes vor dem unendlichen, leer gebliebenen, gehabt hätte. Andererseits wieder kann man nicht fassen, dass kein Fixstern der äußerste im Raume sein sollte. Die Sache sieht also wirklich einer Antinomie sehr ähnlich, sofern bei der einen, wie bei der anderen Annahme, bedeutende Übelstände sich hervortun. (W. I, 587 fg. P. I, 114. H. 345.)