Mensch. Menschengeschlecht.
1) Zusammenhang des Menschen mit der übrigen Natur.
Es darf nicht angenommen werden, der Mensch sei von den übrigen Wesen und Dingen der Natur spezifisch, toto genere und von Grund aus verschieden, vielmehr nur dem Grade nach. (W. II, 192.)
Obgleich im Menschen, als (Platonischer) Idee, der Wille seine
deutlichste und vollkommenste Objektivation findet; so konnte dennoch
diese allein sein Wesen nicht ausdrücken. Die Idee des Menschen
durfte, um in der gehörigen Bedeutung zu erscheinen, nicht allein und
abgerissen sich darstellen, sondern musste begleitet sein von der Stufenfolge
abwärts durch alle Gestaltungen der Tiere, durch das Pflanzenreich,
bis zum Unorganischen; sie alle erst ergänzen sich zur vollständigen
Objektivation des Willens; sie werden von der Idee des Menschen so
vorausgesetzt, wie die Blüten des Baumes Blätter, Äste, Stamm
und Wurzel voraussetzen; sie bilden eine Pyramide, deren Spitze der
Mensch ist. (W. I, 182.) Diese innere, von der adäquaten Objektität
des Willens unzertrennliche Notwendigkeit der Stufenfolge
seiner Erscheinungen finden wir aber auch durch eine äußere Notwendigkeit
ausgedrückt, durch diejenige nämlich, vermöge welcher der
Mensch zu seiner Erhaltung der Tiere bedarf, diese stufenweise eines
des andern, dann auch der Pflanzen, welche wieder des Bodens bedürfen,
des Wassers, der chemischen Elemente, des Planeten, der
Sonne u. s. f. (W. I, 183.)
Der Mensch, als die vollkommenste Objektivation des Willens zum
Leben, ist demgemäß auch das bedürftigste unter allen Wesen. (W.
I, 368.)
2) Identität des Wesentlichen in Tier und Mensch.
Auf die Erkenntnis der Identität des Wesentlichen in der Erscheinung des Tiers und des Menschen leitet nichts entschiedener hin, als die Beschäftigung mit Zoologie und Anatomie. Man muss wahrlich an allen Sinnen blind sein, um nicht zu erkennen, dass das Wesentliche und Hauptsächliche im Tiere und im Menschen das Selbe ist, und dass was Beide unterscheidet nicht im Primären, im Prinzip, im inneren Wesen und im Kern beider Erscheinungen liegt, als welcher in der einen wie in der anderen der Wille ist, sondern allein im Sekundären, im Intellekt, im Grade der Erkenntniskraft. Des Gleichartigen zwischen Tier und Mensch, sowohl psychisch als somatisch, ist ohne allen Vergleich mehr, als des Unterscheidenden. (E. 240 fg.)
Auch in ethischer Hinsicht findet wesentliche Gleichartigkeit Beider
Statt. Die Maxime der Ungerechtigkeit, das herrschen der Gewalt
statt des Rechts, ist das wirklich und faktisch in der Natur herrschende
Gesetz, nicht etwa nur in der Tierwelt, sondern auch in der Menschenwelt.
Seinen nachteiligen Folgen hat man bei den zivilisierten
Völkern durch die Staatseinrichtung vorzubeugen gesucht; sobald aber
diese, wo und wie es sei, aufgehoben oder elidiert wird, tritt jenes
Naturgesetz gleich wieder ein. Fortwährend aber herrscht es zwischen
Volk und Volk; der zwischen diesen übliche Gerechtigkeits-Jargon ist
bekanntlich ein bloßer Kanzleistil der Diplomatie; die rohe Gewalt entscheidet.
(E. 159.) Auf der Identität des Willens in der Tier- und
Menschenwelt beruht der Krieg. (S. Krieg) Der Mensch ist im
Grunde ein wildes, entsetzliches Tier. Wir kennen es bloß im Zustande
der Bändigung und Zähmung, welcher Zivilisation heißt; daher
erschrecken uns die gelegentlichen Ausbrüche seiner Natur. Aber wo
und wann ein Mal Schloss und Kette der gesetzlichen Ordnung abfallen
und Anarchie eintritt, da zeigt sich was er ist. — Wer inzwischen
auch ohne solche Gelegenheit sich darüber aufklären möchte,
der kann die Überzeugung, dass der Mensch an Grausamkeit und Unerbittlichkeit
keinem Tiger und keiner Hyäne nachsteht, aus hundert
alten und neuen Berichten schöpfen. (P. II, 226—228.) Gobineau
hat den Menschen mit Recht l'animal méchant par excellence genannt;
denn der Mensch ist das einzige Tier, welches anderen Schmerz verursacht
ohne weiteren Zweck, als eben diesen. Die anderen Tiere tun
es nur, um ihren Hunger zu befriedigen, oder im Zorn des Kampfes.
Kein Tier jemals quält, bloß um zu quälen; aber dies tut der
Mensch, und dies macht den teuflischen Charakter aus, der weit
ärger ist, als der bloß tierische. (P. II, 229 fg.)
Der durch die ganze Natur gehende Streit der Erscheinungen, welcher
die Offenbarung der dem Willen wesentlichen Entzweiung mit sich
selbst ist, kommt zuletzt im Menschengeschlecht, welches alle anderen überwältigt
und die Natur für ein Fabrikat zu seinem Gebrauch ansieht,
zur furchtbarsten Deutlichkeit. (W. I, 175.)
3) Unterschied zwischen Tier und Mensch.
Die Reproduktionskraft, objektiviert im Zellgewebe, ist der Hauptcharakter der Pflanze und des Pflanzlichen im Menschen. Die Irritabilität, objektiviert in der Muskelfaser, ist der Hauptcharakter des Tieres und ist das Tierische im Menschen. Die Sensibilität, objektiviert im Nerven, ist der Hauptcharakter des Menschen und ist das eigentlich Menschliche im Menschen. Kein Tier kann sich hierin mit ihm auch nur entfernt vergleichen. (N. 31.)
Der Mensch allein unter allen Bewohnern der Erde besitzt außer
dem Vermögen der Anschauung, welches auch das Tier hat, noch
eine andere Erkenntniskraft, die man treffend Reflexion genannt hat.
Dieses höher potenzierte Bewusstsein, dieser abstrakte Reflex alles Intuitiven
im nicht anschaulichen Begriff der Vernunft ist es allein, der
dem Menschen jene Besonnenheit verleiht, welche sein Bewusstsein und
seinen ganzen Wandel auf Erden so sehr von dem der Tiere unterscheidet.
Sie leben in der Gegenwart allein; er dabei zugleich in
Zukunft und Vergangenheit. Sie sind dem Eindruck des Augenblicks,
der Wirkung des anschaulichen Motivs gänzlich anheimgefallen; ihn
bestimmen abstrakte Begriffe unabhängig von der Gegenwart. Daher
das planmäßige Handeln des Menschen, das Handeln nach Maximen,
die Fähigkeit der Wahl zwischen mehreren Motiven, oder Deliberationsfähigkeit,
die Fähigkeit der Verstellung, während das Tier durch den
gegenwärtigen Eindruck bestimmt wird. Das Tier empfindet und
schaut an, der Mensch denkt überdies und weiß; Beide wollen.
Das Tier teilt seine Empfindung und Stimmung durch Gebärde
und Laut mit; der Mensch teilt Gedanken mit durch Sprache, — das
Erzeugnis und notwendige Werkzeug seiner Vernunft. Alle die mannigfachen
und weitreichenden Leistungen, durch die der Mensch dem
Tiere überlegen ist, entspringen aus einem gemeinschaftlichen Prinzip,
aus jener besonderen Geisteskraft, die der Mensch vor dem Tiere
voraus hat, der Vernunft. (W. I, 43—45. 100—102. 351.
478; II, 62—66. 653 fg. E. 33—35. 148 fg. N. 22 fg. 78.
G. 48. 97 fg. 110. P. II, 617 fg. H. 349. — Vergl. auch
Besonnenheit.)
Den Menschen ausgenommen, wundert sich kein Wesen über sein
eigenes Dasein; sondern ihnen Allen versteht dasselbe sich so sehr von
selbst, dass sie es nicht bemerken. Aus der Ruhe des Blicks der
Tiere spricht noch die Weisheit der Natur; weil in ihnen der Wille
und der Intellekt noch nicht weit genug auseinandergetreten sind, um
bei ihrem Wiederbegegnen sich über einander verwundern zu können.
Erst beim Eintritt der Vernunft, also im Menschen, gelangt das
innere Wesen der Natur (der Wille zum Leben) zur Besinnung; dann
wundert es sich über seine eigenen Werke und fragt sich, was es selbst
sei. Mit dieser Besinnung und Verwunderung entsteht daher das dem
Menschen allein eigene Bedürfnis einer Metaphysik. Der Mensch
ist sonach ein animal metaphysicum. (W. II, 175 ff. 653.)
Erst beim Menschen auch tritt jene vollkommene Sonderung des Intellekts
vom Willen, des Erkennens vom Wollen, ein, auf welcher die
Objektivität, folglich die ästhetische Auffassung und Darstellung
der Dinge, die Kunst, beruht. (S. unter Intellekt: die Stufen des
Intellekts.) Die Dienstbarkeit der Erkenntnis unter dem Willen, die
bei den Tieren eine unaufhebliche ist, wird beim Menschen (in der
Kunst) aufgehoben. Dieser Unterschied zwischen Mensch und Tier ist
äußerlich ausgedrückt durch die Verschiedenheit des Verhältnisses des
Kopfes zum Rumpf. (W. I, 209. — Vergl. Kopf.)
Endlich auch tritt erst beim Menschen die sonst nur dem Ding an
sich zukommende Freiheit in die Erscheinung ein. (S. unter Freiheit:
Eintritt der Freiheit in die Erscheinung beim Menschen.)
Die Menschenspezies unterscheidet sich von allen anderen durch das
bedeutende Hervortreten des Individualcharakters in ihr. (S. unter
Individuation, Individualität: Die Individualität auf den verschiedenen
Stufen der Natur.) Wahrscheinlich hängt es mit diesem
Unterschied der Menschengattung zusammen, dass die Furchen und
Windungen des Gehirns, welche bei den Vögeln noch ganz fehlen und
bei den Nagetieren noch sehr schwach sind, selbst bei den oberen Tieren
weit symmetrischer an beiden Seiten und konstanter bei jedem Individuum
die selben sind, als beim Menschen. Ferner ist es als ein
Phänomen jenes den Menschen von allen Tieren unterscheidenden
eigentlichen Individualcharakters anzusehen, dass bei den Tieren der
Geschlechtstrieb seine Befriedigung ohne merkliche Auswahl sucht, während
diese Auswahl beim Menschen bis zur gewaltigen Leidenschaft
steigt. (W. I, 156. — Vergl. auch Geschlechtstrieb und Geschlechtsliebe.)
Eine wohl noch nicht bemerkte physische Verschiedenheit des Menschen
vom Tiere ist, dass das Weiße der Sclera beständig sichtbar bleibt.
(P. II, 171, Anmerk.)
Die Erhöhung des menschlichen Intellekts über den tierischen steht
im Verhältnis zu den in der menschlichen Gattung gesteigerten Bedürfnissen.
(W. II, 316. N. 51.— Vergl. auch unter Intellekt:
Zweck des Intellekts.) Durch diese Erhöhung ist aber nicht nur die
Auffassung der Motive, die Mannigfaltigkeit derselben und überhaupt
der Horizont der Zwecke unendlich vermehrt, sondern auch die Deutlichkeit,
mit welcher der Wille sich seiner selbst bewusst wird, aufs
höchste gesteigert. Dadurch aber, wie auch durch die als Träger eines
so erhöhten Intellekts notwendig vorausgesetzte Vehemenz des Willens,
ist eine Erhöhung aller Affekte eingetreten, ja die Möglichkeit der
Leidenschaft, welche das Tier eigentlich nicht kennt. (W. II, 317.)
Der Mensch ist viel größerer Leiden fähig, als das Tier, aber auch
größerer Freudigkeit, in den befriedigten und frohen Affekten. Eben so
macht der erhöhte Intellekt ihm die Langeweile fühlbarer, als dem
Tier, wird aber auch, wenn er individuell sehr vollkommen ist, zu
einer unerschöpflichen Quelle der Kurzweil. (W. II, 318.)
Die durch die Vernunft beim Menschen eingetretene Deliberationsfähigkeit
oder Fähigkeit, sich durch abstrakte Motive bestimmen zu
lassen, gehört zu den Dingen, die sein Dasein so sehr viel qualvoller
machen, als das des Tieres; wie denn überhaupt unsere größten
Schmerzen nicht in der Gegenwart, als anschauliche Vorstellungen oder
unmittelbares Gefühl liegen; sondern in der Vernunft, als abstrakte
Begriffe, quälende Gedanken, von denen das allein in der Gegenwart
und daher in beneidenswerter Sorglosigkeit lebende Tier völlig frei
ist. (W. I, 351 fg.)
4) Transzendente Einheit des Menschengeschlechts.
Man kann sich das Menschengeschlecht bildlich als ein animal compositum vorstellen, eine Lebensform, von welcher viele Polypen, besonders die schwimmenden, wie Vertillum, Funiculina und andere, Beispiele darbieten. Wie bei diesen der Kopfteil jedes einzelne Tier isoliert, der untere Teil hingegen, mit dem gemeinschaftlichen Magen, alle zur Einheit eines Lebensprozesses verbindet; so isoliert das Gehirn mit seinem Bewusstsein die menschlichen Individuen; hingegen der unbewusste Teil, das vegetative Leben, mit seinem Gangliensystem, ist ein gemeinsames Leben Aller, mittelst dessen sie sogar ausnahmsweise kommunizieren können, wie der animalische Magnetismus und die Magie beweist. (W. II, 371 fg.)5) Der Mensch als Wendepunkt des Willens zum Leben und als Erlöser der Natur.
Da im Menschen der Wille zur Besinnung und folglich auf den Punkt kommt, wo er beim Lichte deutlicher Erkenntnis sich zur Bejahung oder Verneinung des Willens zum Leben entscheidet; so haben wir keinen Grund anzunehmen, dass es irgendwo noch zu höher gesteigerten Objektivationen des Willens komme, da er hier schon an seinem Wendepunkte angekommen ist. (W. II, 654. 698 fg. P. II 154.)
Würde die asketische Verneinung des Willens zum Leben durch freiwillige
Keuschheit eine allgemeine im Menschengeschlecht, so stürbe
dieses aus, und da alle Willenserscheinungen in der Natur zusammenhängen,
so lässt sich annehmen, dass mit der höchsten Willenserscheinung
auch der schwächere Widerschein derselben, die Tierheit wegfallen
würde. Mit gänzlicher Aufhebung der Erkenntnis schwände dann auch
von selbst die übrige Welt in Nichts, da ohne Subjekt kein Objekt.
Die übrige Natur hat also ihre Erlösung vom Menschen zu erwarten,
welcher Priester und Opfer zugleich ist. (W. I, 449 ff.)
Zwar kündigt mehr als Alles die Menschenwelt, als in welcher
moralisch Schlechtigkeit und Niederträchtigkeit, Intellektuell Unfähigkeit
und Dummheit in erschreckendem Maße vorherrschen, das Sansara
an. Dennoch treten in ihr, wiewohl sehr sporadisch, aber doch stets
und von Neuem überraschend, Erscheinungen der Redlichkeit, der Güte,
ja des Edelmutes, und eben so auch des großen Verstandes, des denkenden
Geistes, ja des Genies auf. Nie gehen diese ganz aus. Wir
müssen sie als ein Unterpfand nehmen, dass ein gutes und erlösendes
Prinzip in diesem Sansara steckt, welches zum Durchbruch kommen
und das Ganze erfüllen und befreien kann. (P. II, 233 fg.)
6) Die Entstehung des Menschengeschlechts, seine ursprüngliche Farbe und Nahrung.
Das Menschengeschlecht ist höchst wahrscheinlich nur an drei Stellen entstanden; weil wir nur drei bestimmt gesonderte Typen, die auf ursprüngliche Rassen deuten, haben: den kaukasischen, den mongolischen und den äthiopischen Typus. Und zwar hat diese Entstehung nur in der alten Welt Statt finden können. Denn in Australien hat die Natur es zu gar keinen Affen, in Amerika aber nur zu lang geschwänzten Meerkatzen, nicht aber zu den kurzgeschwänzten, geschweige zu den obersten, den ungeschwänzten Affengeschlechtern bringen können, welche die letzte Stufe vor dem Menschen einnehmen. (Vergl. Affe.) Ferner hat die Entstehung des Menschen nur zwischen den Wendekreisen eintreten können; weil in den anderen Zonen der neu entstandene Mensch im ersten Winter umgekommen wäre. In den heißen Zonen nun aber ist der Mensch schwarz, oder wenigstens dunkelbraun. Dies also ist, ohne Unterschied der Rasse, die wahre, natürliche und eigentümliche Farbe des Menschengeschlechts und nie hat es eine von Natur weiße Rasse gegeben. Erst nachdem der Mensch außerhalb der ihm allein natürlichen, zwischen den Wendekreisen gelegenen Heimat lange Zeit hindurch sich fortgepflanzt hat, und in Folge dieser Vermehrung sein Geschlecht sich in die kälteren Zonen verbreitet, wird er hell und endlich weiß. (P. II, 167—170. W. II, 625.)
Wie die dunkle Farbe, so auch ist dem Menschen die vegetabilische
Nahrung die natürliche. Aber wie jener, so bleibt er auch dieser nur
im tropischen Klima getreu. Als er sich in die kälteren Zonen verbreitete,
musste er dem ihm unnatürlichen Klima durch eine ihm unnatürliche
Nahrung entgegenwirken. Der Mensch ist also zugleich weiß
und karnivor geworden. Eben dadurch aber, wie auch durch die stärkere
Bekleidung hat er eine gewisse unreine und ekelhafte Beschaffenheit
angenommen. (P. II, 170 fg.)
7) Allmähliche Degradation des Menschengeschlechts.
Es scheint, dass Die, welche der Entstehung des Menschengeschlechts und dem Urquell der organischen Natur bedeutend näher standen, als wir, auch noch teils größere Energie der intuitiven Erkenntniskräfte, teils eine richtigere Stimmung des Geistes hatten, wodurch sie einer reineren, unmittelbaren Auffassung des Wesens der Natur fähig und dadurch im Stande waren, dem metaphysischen Bedürfnis auf eine würdigere Weise zu genügen; so entstanden in den Urvätern der Brahmanen, den Rischis, die fast übermenschlichen Konzeptionen, welche später in den Upanischaden der Veden niedergelegt wurden. (W. II, 178.)
Die allmähliche Degradation der Sprachen ist ein bedenkliches Argument
gegen die beliebten Theorien unserer Optimisten vom
stetigen Fortschritt der Menschheit zum Bessern, wozu sie die deplorable Geschichte des bipedischen Geschlechts verdrehen möchten; überdies aber ist sie ein schwer zu lösendes Problem. Wir können doch nicht umhin, das erste aus dem Schoße der Natur irgendwie hervorgegangene Menschengeschlecht uns im Zustande gänzlicher und kindischer Unkunde und folglich roh und unbeholfen zu denken; wie soll nun ein solches Geschlecht diese höchst kunstvollen Sprachgebäude erdacht haben? — Das Plausibelste scheint die Annahme, dass der Mensch die Sprache instinktiv erfunden hat, indem ursprünglich in ihm ein Instinkt liege, vermöge dessen er das zum Gebrauch seiner Vernunft unentbehrliche Werkzeug und Organ derselben ohne Reflexion und bewusste Absicht hervorbringt, welcher Instinkt sich nachher, wenn die Sprache einmal da ist und er nicht mehr zur Anwendung kommt, verliert. Wie nun alle Werke des Instinkts eine ihnen eigentümliche, bewunderungswürdige Vollkommenheit haben, — eben so ist es mit der ersten und ursprünglichen Sprache; sie hatte die hohe Vollkommenheit aller Werke des Instinkts. (P. II, 599 fg.)
Ob wohl gar die Menschheit in dem Maße, als sie an Quantität
zunimmt, an Qualität verliert? wie (nach Schnurrers Geschichte der
Seuchen), als nach dem schwarzen Tod im 14. Jahrhundert eine so
ungewöhnliche Fruchtbarkeit der Weiber eintrat, dass Zwillingsgeburten
alltäglich wurden, diesen sämtlichen Kindern zwei Zähne fehlten.
Wenn man Griechen und Römer mit dem jetzigen Geschlecht vergleicht,
die Urzeit denkt, in der die Vedas verfasst wurden, und die
Erbärmlichkeit des gegenwärtigen Geschlechts betrachtet, das sich wie
Unkraut vermehrt, auch erwägt, dass unter einer größeren Zahl noch
mehr große Männer arithmetisch möglich sind und keine kommen; —
so kann man auf eine solche Hypothese kommen. (H. 387 fg.)