1) Wesen des Schlusses und des Schließens.
Die logische Begründung eines Urteils durch ein anderes entsteht
immer durch eine Vergleichung mit ihm; diese geschieht nun entweder
unmittelbar, in der bloßen Konversion, oder Kontraposition desselben;
oder aber durch Hinzuziehung eines dritten Urteils, wo denn aus dem
Verhältnisse der beiden letzteren zu einander die Wahrheit des zu begründenden
Urteils erhellt. Diese Operation ist der vollständige
Schluss. Er kommt sowohl durch Opposition, als Subsumtion der
Begriffe zu Stande. (
G. 106.) Der Schluss ist die Operation
unserer Vernunft, vermöge welcher aus zwei Urteilen, durch Vergleichung
derselben, ein drittes entsteht, ohne dass dabei irgend anderweitige Erkenntnis
zu Hilfe genommen würde. Die Bedingung hierzu ist, dass
solche zwei Urteile einen Begriff gemein haben; denn sonst sind sie
sich fremd und ohne alle Gemeinschaft. Unter dieser Bedingung aber
werden sie Vater und Mutter eines Kindes, welches von Beiden etwas
an sich hat. (
W. II, 118.)
Das Urteilen, dieser elementare und wichtigste Prozess des Denkens,
besteht im Vergleichen zweier Begriffe; das Schließen hingegen
im Vergleiche zweier Urteile. (
W. II, 120.)
Wir operieren beim Schließen nicht mit bloßen Begriffen, sondern
mit ganzen Urteilen. Die gewöhnliche Darstellung des Schlusses
als eines Verhältnisses dreier Begriffe ist fehlerhaft. Aus drei
gegebenen Begriffen lässt sich noch kein Schluss ziehen. Da sagt
man freilich: Das Verhältnis zweier derselben zum dritten muss dabei
gegeben sein. Der Ausdruck jenes Verhältnisses sind ja aber gerade
die jene Begriffe verbindenden Urteile; also sind Urteile, nicht
bloße Begriffe der Stoff des Schlusses. Demnach ist Schließen
wesentlich ein Vergleichen zweier Urteile. (
W. II, 120—122. 128.)
Da der Schluss als Begründung eines Urteils durch ein anderes
mittelst eines dritten es immer nur mit Urteilen zu tun hat und
diese nur Verknüpfungen der Begriffe sind, welche letztere der ausschließliche
Gegenstand der Vernunft sind; so ist das Schließen mit
Recht für das eigentümliche Geschäft der Vernunft erklärt worden.
(
G. 106.) Das Schließen ist kein Akt der Willkür, sondern der
Vernunft, den sie von selbst nach ihren eigenen Gesetzen vollzieht; insofern
ist er objektiv, nicht subjektiv, und daher den strengsten Regeln
unterworfen. (
W. II, 118.)
2) Die Schlussfiguren.
Die Urteile, die beim Schließen mit einander verglichen werden,
kann man sich unter dem Bilde von Stäben denken, die zum Behuf
der Vergleichung bald mit dem einen, bald mit dem anderen Ende
aneinander gehalten werden; die verschiedenen Weisen aber, nach denen
dies geschehen kann, geben die drei Figuren. Da nun jede Prämisse
ihr Subjekt und Prädikat enthält, so sind diese zwei Begriffe als an
den beiden Enden jedes Stabes befindlich vorzustellen. Verglichen
werden jetzt die beiden Urteile hinsichtlich der in ihnen beiden verschiedenen
Begriffe; denn der dritte, in beiden identische ist keiner
Vergleichung unterworfen, sondern ist das, woran die beiden andern
verglichen werden: der Medius. Ist nun dieser in beiden Sätzen
identische Begriff, also der Medius, in einer Prämisse das Subjekt
derselben; so muss der zu vergleichende Begriff ihr Prädikat sein, und
umgekehrt. Sogleich stellt sich hier
a priori die Möglichkeit dreier
Fälle heraus: entweder nämlich wird das Subjekt der einen Prämisse
mit dem Prädikat der anderen verglichen, oder aber das Subjekt der
einen mit dem Subjekt der andern, oder endlich das Prädikat der
einen mit dem Prädikat der andern. Hieraus entstehen die drei syllogistischen
Figuren des Aristoteles; die vierte, welche etwas naseweis
hinzugefügt worden, ist unecht und eine Afterart. Jede der drei Figuren
stellt einen ganz verschiedenen, richtigen und natürlichen Gedankengang
der Vernunft beim Schließen dar. (
W. II, 122—128.)
3) Ein Sinnbild des Schlusses.
Als ein Sinnbild des Schlusses kann man die Voltaische Säule
betrachten; ihr Indifferenzpunkt in der Mitte stellt den Medius vor,
der das Zusammenhaltende der beiden Prämissen ist, vermöge dessen
sie Schlusskraft haben; die beiden disparaten Begriffe hingegen, welche
eigentlich das zu Vergleichende sind, werden durch die beiden heterogenen
Pole der Säule dargestellt; erst indem diese, mittelst der beiden Leitungsdrähte,
welche die Kopula der beiden Urteile versinnlichen, zusammengebracht
werden, springt bei ihrer Berührung der Funke, — das neue
Licht der Konklusion hervor. (
W. II, 129.)
4) Verhältnis des Gedankenganges im Schluss zu seinem Ausdruck durch Worte und Sätze.
Der Schluss (Syllogismus) besteht im Gedankengange selbst, die
Worte und Sätze aber, durch welche man ihn ausdrückt, bezeichnen
bloß die nachgebliebene Spur desselben; sie verhalten sich zu ihm, wie
die Klangfiguren aus Sand zu den Tönen, deren Vibrationen sie
darstellen. (
W. II, 120.)
5) Die Fähigkeit des Schließens, verglichen mit der des Urteilens.
Schließen ist leicht, urteilen schwer. Falsche Schlüsse sind eine
Seltenheit, falsche Urteile stets an der Tagesordnung. (
W. II, 97.)
Zu schließen sind Alle, zu urteilen Wenige fähig. (
E. 114.)
Die Urteilskraft gehört zu den Vorzügen der überlegenen Köpfe;
während die Fähigkeit, aus gegebenen Prämissen die richtige Konklusion
zu ziehen, keinem gesunden Kopfe abgeht. (
P. II, 24.)
6) Wirkung des Schlusses.
Durch den Schluss erfährt der Schließende nicht etwas schlechthin
Neues, ihm vorher gänzlich Unbekanntes, sondern was er erfährt, lag
schon in dem was er wusste, also wusste er es schon mit. Er wusste
bloß nicht, dass er es wusste; er wusste es nur
implicite, nicht
explicite.
Das Wesen des Schlusses besteht folglich darin, dass wir uns zum
deutlichen Bewusstsein bringen, die Aussage der Konklusion schon in
den Prämissen mitgedacht zu haben; er ist demnach ein Mittel, sich
seiner eigenen Erkenntnis deutlicher bewusst zu werden, inne zu werden
was man weiß. Die Erkenntnis, welche der Schlusssatz liefert, war
latent, wirkte daher so wenig, wie latente Wärme aufs Thermometer
wirkt. Durch den Schluss aus schon bekannten Prämissen
wird die vorher gebundene oder latente Erkenntnis frei. (
W. II,
118 fg.)
7) Wert des Schlusses.
Aus einem Satze kann nicht mehr folgen, als schon darin liegt,
d. h. als er selbst für das erschöpfende Verständnis seines Sinnes
besagt; aber aus zwei Sätzen kann, wenn sie syllogistisch verbunden
werden, mehr folgen, als in jedem derselben, einzeln genommen, liegt; —
wie ein chemisch zusammengesetzter Körper Eigenschaften zeigt, die
keinem seiner Bestandteile für sich zukommen. Hierauf beruht der
Wert der Schlüsse. (
P. II, 23.)
8) Die Wahrheit der durch Schlüsse abgeleiteten Sätze.
Die Wahrheit aller durch Schlüsse abgeleiteten Sätze ist immer nur
bedingt und zuletzt abhängig von irgend einer, die nicht auf Schlüssen,
sondern auf Anschauung beruht. Läge diese letztere uns immer so
nahe, wie die Ableitung durch einen Schluss, so wäre sie durchaus
vorzuziehen. Schlüsse sind zwar der Form nach völlig gewiss aber sie
sind sehr unsicher durch ihre Materie, die Begriffe. (
W. I, 81 fg.
Vergl.
Beweis,
Evidenz und
Gewissheit.)
9) Die Syllogistik.
Die ganze Syllogistik ist nichts weiter, als der Inbegriff der Regeln
zur Anwendung des Satzes vom Grunde auf Urteile unter einander,
also der Kanon der logischen Wahrheit. (
G. 106.)