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Schopenhauers Kosmos

 

 Gewissheit.

1) Unterschied zwischen Gewissheit und Wissenschaftlichkeit der Erkenntnis.

Gewissheit kann die abgerissenste einzelne Erkenntnis eben so sehr haben, als die wissenschaftliche. Der Zweck der Wissenschaft ist nicht größere Gewissheit, sondern Erleichterung des Wissens durch die Form desselben und dadurch gegebene Möglichkeit der Vollständigkeit des Wissens. Es ist deshalb eine zwar gangbare, aber verkehrte Meinung, dass Wissenschaftlichkeit der Erkenntnis in der größeren Gewissheit bestehe, und ebenso falsch ist die hieraus hervorgegangene Behauptung, dass nur Mathematik und Logik Wissenschaften im eigentlichen Sinne wären, weil nur in ihnen, wegen ihrer gänzlichen Apriorität, unumstößliche Gewissheit der Erkenntnis ist. Dieser letztere Vorzug selbst ist ihnen nicht abzustreiten; nur gibt er ihnen keinen besonderen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, als welche nicht in der Sicherheit, sondern in der durch das stufenweise Herabsteigen vom Allgemeinen zum Besonderen begründeten systematischen Form der Erkenntnis liegt. (W. I, 76.)

2) Vorzug der unmittelbaren (anschaulichen) vor der mittelbaren (erschlossenen) Gewissheit.

Die wissenschaftliche Form bringt es mit sich, dass die Wahrheit vieler Sätze nur logisch begründet wird, nämlich durch ihre Abhängigkeit von anderen Sätzen, also durch Schlüsse, die zugleich als Beweise auftreten. Man soll aber nie vergessen, dass diese ganze Form nur ein Erleichterungsmittel der Erkenntnis ist, nicht aber ein Mittel zu größerer Gewissheit. Es ist leichter, die Beschaffenheit eines Tieres aus der Spezies, zu der es gehört, und so aufwärts aus dem genus, der Familie, der Ordnung, der Klasse zu erkennen, als das jedesmal gegebene Tier für sich zu untersuchen; aber die Wahrheit aller durch Schlüsse abgeleiteten Sätze ist immer nur bedingt und zuletzt abhängig von einer, die nicht auf Schlüssen, sondern auf Anschauung beruht. Läge diese letztere uns immer so nahe, wie die Ableitung durch einen Schluss, so wäre sie durchaus vorzuziehen. Denn alle Ableitung aus Begriffen ist, wegen des mannigfaltigen Ineinandergreifens der Sphären und der oft schwankenden Bestimmung ihres Inhalts, vielen Täuschungen ausgesetzt. — Schlüsse sind zwar der Form nach völlig gewiss; allein sie sind sehr unsicher durch ihre Materie, die Begriffe. Überall folglich ist unmittelbare Evidenz der bewiesenen Wahrheit weit vorzuziehen, und diese nur da anzunehmen, wo jene zu weit herzuholen wäre, nicht aber, wo sie ebenso nahe oder gar näher liegt, als diese. (W. I, 81 fg. Vergl. auch Beweis und Evidenz.)