rel='stylesheet' type='text/css'>
Schopenhauers Kosmos

 

 Begriff.

1) Die Begriffe als eine eigentümliche Klasse von Vorstellungen.

Über die Begriffe als eine eigentümliche Klasse von Vorstellungen, die den Gegensatz bilden zu den anschaulichen Vorstellungen, und nur in der Beziehung auf diese ihr Wesen und ihren Wert haben, ist oben unter Abstrakt bereits das Nötige beigebracht

2) Die Begriffsbildung als Funktion der Vernunft.

Wie der Verstand nur eine Funktion hat: unmittelbare Erkenntnis des Verhältnisses von Ursache und Wirkung, und dadurch Organ der Anschauung ist (vergl. Anschauung); so hat auch die Vernunft eine Funktion: Bildung des Begriffs; und aus dieser einzigen erklären sich alle jene Erscheinungen, die das Leben des Menschen von dem des Tieres unterscheiden, und auf die Anwendung oder Nicht-Anwendung jener Funktion deutet schlechthin Alles, was man überall und jederzeit vernünftig oder unvernünftig genannt hat. (W. I, 7. 46; II, 72. G. §. 26.)

3) Inhalt und Umfang der Begriffe.

Inhalt und Umfang der Begriffe stehen in entgegengesetztem Verhältnis, d. h. je mehr unter einem Begriffe gedacht wird, desto weniger wird in ihm gedacht. Daher bilden die Begriffe eine Stufenfolge, eine Hierarchie, vom speziellsten bis zum allgemeinsten, an deren unterm Ende der scholastische Realismus, am oberen der Nominalismus beinahe Recht behält. Denn der speziellste Begriff ist schon beinahe das Individuum, also beinahe real, und der allgemeinste Begriff, z. B. das Sein, beinahe nichts als ein Wort. (W. II, 68.)

4) Begriffssphären.

Hat man, verschiedene anschauliche Gegenstände betrachtend, von jedem etwas Anderes fallen lassen, und doch bei allen Dasselbe übrig behalten, so ist dies das genus jener Spezies. Demnach ist der Begriff eines jeden genus der Begriff einer jeden darunter befassten Spezies nach Abzug alles dessen, was nicht allen Spezies zukommt. Nun kann aber jeder mögliche Begriff als ein genus gedacht werden; darum hat er eine Sphäre, als welche der Inbegriff alles durch ihn Denkbaren ist. (G. 98 fg.)
Die Sphäre jedes Begriffs hat mit den Sphären anderer etwas Gemeinschaftliches, d. h. es wird in ihm zum Teil dasselbe gedacht, was in diesen andern, und in diesen wieder zum Teil dasselbe, was in jenem ersteren. Die Darstellung der Begriffssphären durch räumliche Figuren ist ein überaus glücklicher Gedanke. Es lassen sich sogar a priori die möglichen Verhältnisse der Begriffe in Figuren darstellen, und zwar auf folgende Weise:
l) Die Sphären zweier Begriffe sind sich ganz gleich, z. B. der Begriff der Notwendigkeit und der Folge aus gegebenem Grunde; es sind Wechselbegriffe. Solche stellt dann ein einziger Kreis dar, der sowohl den einen als den anderen bedeutet.

2) Die Sphäre eines Begriffs schließt die eines anderen ganz ein:

3) Eine Sphäre schließt zwei oder mehrere ein, die sich ausschließen und zugleich die Sphäre füllen:

4) Zwei Sphären schließen jede einen Teil der anderen ein:

5) Zwei Sphären liegen in einer dritten, die sie jedoch nicht füllen:

Dieser letztere Fall gilt von allen Begriffen, deren Sphären nicht unmittelbare Gemeinschaft haben, da immer ein dritter, wenngleich oft sehr weiter, beide einschließen wird. (W. I, 50—52.)

5) Repräsentanten der Begriffe.

Mit dem Begriff ist das Phantasma nicht zu verwechseln, als welches eine anschauliche und vollständige, also einzelne, jedoch nicht unmittelbar durch Eindruck auf die Sinne hervorgerufene Vorstellung ist. Auch dann ist das Phantasma vom Begriff zu unterscheiden, wenn es als Repräsentant eines Begriffes gebraucht wird. Dies geschieht, wenn man die anschauliche Vorstellung, aus welcher der Begriff entsprungen ist, selbst, und zwar diesem entsprechend haben will, was allemal unmöglich ist; denn z. B. von Hund überhaupt, Farbe überhaupt, Triangel überhaupt, Zahl überhaupt gibt es kein entsprechendes Phantasma. Man ruft alsdann das Phantasma z. B. irgend eines Hundes von bestimmter Größe, Form, Farbe u. s. w. hervor, während doch der Begriff, dessen Repräsentant er ist, alle solche Bestimmungen nicht hat. Man ist sich daher beim Gebrauch eines solchen Repräsentanten eines Begriffs immer bewusst, dass er dem Begriff, den er repräsentiert, nicht adäquat, sondern voll willkürlich angenommener Bestimmungen ist. (G. §. 28; W. I, 48.)

6) Begriff und Wort.

Ein so wichtiges Werkzeug der Intelligenz, wie der Begriff ist, kann offenbar nicht identisch sein mit dem Wort, diesem Klang, der als Sinneseindruck mit der Gegenwart, oder als Gehörphantasma mit der Zeit verklänge. Dennoch ist der Begriff eine Vorstellung, deren deutliches Bewusstsein und deren Aufbewahrung an das Wort gebunden ist, obwohl er sowohl von dem Worte, an welches er gebunden ist, als auch von den Anschauungen, aus denen er entstanden, völlig verschieden und ganz anderer Natur ist, als diese Sinneseindrücke. (W. II, 67.)
Die enge Verbindung des Begriffes mit dem Worte, also der Sprache mit der Vernunft, beruht im letzten Grunde auf Folgendem. Unser ganzes Bewusstsein, mit seiner inneren und äußeren Wahrnehmung, hat durchweg die Zeit zur Form. Die Begriffe, als völlig allgemeine Vorstellungen, haben in dieser Eigenschaft ein keiner Zeitreihe angehörendes Dasein. Daher müssen sie, um in die unmittelbare Gegenwart eines individuellen Bewusstseins treten, mithin in eine Zeitreihe eingeschoben werden zu können, gewissermaßen wieder zur Natur der einzelnen Dinge herabgezogen, individualisiert und daher an eine sinnliche Vorstellung geknüpft werden; diese ist das Wort. Es ist demnach das sinnliche Zeichen des Begriffs und als solches das notwendige Mittel ihn zu fixieren, d. h. ihn dem an die Zeitform gebundenen Bewusstsein zu vergegenwärtigen und so eine Verbindung herzustellen zwischen der Vernunft, deren Objekte bloß allgemeine, weder Ort noch Zeitpunkt kennende Universalien sind, und dem an die Zeit gebundenen, sinnlichen und insofern bloß tierischen Bewusstsein. (W. II, 70.)
Die Worte einer Rede werden vollkommen verstanden, ohne anschauliche Vorstellungen, Bilder in unserm Kopfe zu veranlassen. Wir übersetzen nicht etwa, während wir einen Anderen sprechen hören, sogleich seine Rede in Bilder der Phantasie, die blitzschnell an uns vorüberfliegen und sich verketten. Denn welch ein Tumult wäre dann in unserm Kopfe während des Anhörens einer Rede oder des Lesens eines Buches! Sondern, der Sinn der Rede wird unmittelbar vernommen und aufgefasst, ohne dass in der Regel sich Phantasmen einmengten. Es ist die Vernunft, die zur Vernunft spricht, und was sie mitteilt, sind abstrakte Begriffe, nicht anschauliche Vorstellungen. (W. I, 47; II, 71 fg.; G. §. 26.)

7) Begriff und Idee.

Über den Gegensatz zwischen Begriff und Idee ist unter Allgemeines das Nötige beigebracht worden.

8) Begriffskategorien.

Einfache Begriffe müssten eigentlich unauflösbare sein und könnten demnach nie das Subjekt eines analytischen Urteils bilden. Dies ist unmöglich; da, wenn man einen Begriff denkt, man auch seinen Inhalt muss angeben können. Was man als Beispiele von einfachen Begriffen anzuführen pflegt, sind gar nicht mehr Begriffe, sondern teils bloße Sinnesempfindungen, wie etwa die einer bestimmten Farbe, teils die a priori uns bewussten Formen der Anschauung, also eigentlich die letzten Elemente der anschauenden Erkenntnis. (W. II, 69.)
Klar sind eigentlich nur Anschauungen, nicht Begriffe; diese können höchstens deutlich sein. Zur Deutlichkeit eines Begriffes ist erforderlich, nicht nur, dass man ihn in seine Merkmale zerlegen, sondern auch, dass man diese, falls auch sie Abstrakta sind, abermals analysieren könne, und so immer fort, bis man zur anschauenden Erkenntnis herabgelangt, mithin auf konkrete Dinge hinweist, durch deren klare Anschauung man die letzten Abstrakta belegt und dadurch diesen, wie auch allen auf ihnen beruhenden höheren Abstraktionen, Realität zusichert. Daher ist die gewöhnliche Erklärung, der Begriff sei deutlich, sobald man seine Merkmale angeben kann, nicht ausreichend; denn die Zerlegung dieser Merkmale führt vielleicht immerfort nur auf Begriffe ohne dass zuletzt Anschauungen zum Grunde lägen, welche allen jenen Begriffen Realität erteilten. (W. II, 69.)
Man hat diejenigen Begriffe, welche nicht unmittelbar, sondern nur durch Vermittlung eines oder mehrerer anderer Begriffe sich auf die anschauliche Erkenntnis beziehen, vorzugsweise Abstrakta und hingegen die, welche ihren Grund unmittelbar in der anschaulichen Welt haben, Konkreta genannt. Diese letztere Benennung passt aber nur ganz uneigentlich auf die durch sie bezeichneten Begriffe, da natürlich auch diese immer noch Abstrakta sind und keineswegs anschauliche Vorstellungen. Beispiele der ersten Art, also Abstrakta im eminenten Sinne, sind Begriffe, wie Verhältnis, Tugend, Untersuchung, Anfang u. s. w. Beispiele der letzteren Art, oder uneigentlich sogenannte Konkreta sind die Begriffe Mensch, Stein, Pferd u. s. w. Man könnte bildlich die letzteren das Erdgeschoss, die ersteren die oberen Stockwerke des Gebäudes der Reflexion nennen. (W. I, 49.)
Reine Begriffe sind solche, die keinen empirischen Ursprung haben. Als solche lassen sich bloß die ausweisen, welche Raum und Zeit, d. h. den bloß formalen Teil der Anschauung betreffen, folglich allein die mathematischen, und höchstens noch der Begriff der Kausalität, durch den die Erfahrung erst möglich wird, obgleich er mittelst derselben ins Bewusstsein tritt. (W. II, 200.) Hiernach beantwortet sich auch die Frage, ob es angeborene Begriffe gibt, dahin, dass nur die den formalen Teil unserer Erkenntnis ausmachenden Begriffe angeboren sind. (Vergl. Angeboren.)

9) Wichtigkeit des Begriffs.

Über die theoretische und praktische Wichtigkeit der Begriffe ist schon unter Abstrakt (s. Nutzen der abstrakten Vorstellungen), und unter Anschauung (s. Mängel und Vorzüge der anschauenden Erkenntnis) Einiges beigebracht worden. Es gehört hierher noch Folgendes:
Der abstrakte Reflex alles Intuitiven im nicht anschaulichen Begriff der Vernunft ist es allein, der dem Menschen jene Besonnenheit verleiht, welche sein Bewusstsein von dem des Tieres so durchaus unterscheidet. Das Tier lebt in der Gegenwart allein, der Mensch dabei zugleich in Zukunft und Vergangenheit. Die Tiere sind dem Eindruck des Augenblicks, der Wirkung des anschaulichen Motivs gänzlich anheimgefallen; den Menschen bestimmen abstrakte Begriffe unabhängig von der Gegenwart. Daher führt er überlegte Pläne aus, oder handelt nach Maximen, ohne Rücksicht auf die Umgebung und die zufälligen Eindrücke des Augenblicks. Das Tier teilt seine Empfindung und Stimmung durch Gebärde und Laut mit, der Mensch teilt dem anderen Gedanken (Begriffe) durch Sprache mit, und bringt mit Hilfe der Sprache seine wichtigsten Leistungen zu Stande. Übereinstimmendes Handeln, planvolles Zusammenwirken Vieler, die Zivilisation, der Staat, die Wissenschaft, — alles dieses ist Werk des Begriffs. (W. I, 43 fg.; G. 101 fg.)
Alles sichere Aufbewahren, alle Mitteilbarkeit und alle sichere und weitreichende Anwendung der Erkenntnis auf das Praktische hängt davon ab, dass sie eine abstrakte (begriffliche) Erkenntnis geworden sei. Die intuitive Erkenntnis gilt immer nur vom einzelnen Fall, geht nur auf das Nächste und bleibt bei diesem stehen. Jede anhaltende, zusammengesetzt planmäßige Tätigkeit muss daher von Grundsätzen, also von einem abstrakten Erkennen (von Begriffen) ausgehen und danach geleitet werden. (W. I, 68.) Weder dem augenblicklichen Verschwinden des sinnlichen Eindrucks, noch dem allmählichen seines Phantasiebildes unterworfen, mithin frei von der Gewalt der Zeit ist allein der Begriff. In ihm muss also die belehrende Erfahrung niedergelegt sein, und er allein eignet sich zum sicheren Lenker unserer Schritte im Leben. Um im wirklichen Leben den Anderen überlegen zu sein, ist überlegt sein, d. h. nach Begriffen verfahren, die unerlässliche Bedingung. (W. II, 67.) Den unschätzbaren Wert der Begriffe kann man ermessen, wenn man auf die unendliche Menge und Verschiedenheit von Dingen und Zuständen, die nach und neben einander da sind, den Blick wirft und nun bedenkt, dass Sprache und Schrift (die Zeichen der Begriffe) dennoch jedes Ding und jedes Verhältnis, wann und wo es auch gewesen sein mag, zu unserer genauen Kunde zu bringen vermögen; weil eben verhältnismäßig wenige Begriffe eine Unendlichkeit von Dingen und Zuständen befassen und vertreten. (W. II, 68.)
Würde und Größe des Menschengeistes beruhen auf der Herrschaft des Begriffes. Das Bestimmtwerden durch das Anschauliche nach Weise des Tieres ist des Menschen unwürdig. Ihm ziemt es, sein Handeln durch Begriffe zu leiten. Dadurch emanzipiert er sich von der Macht der anschaulich vorliegenden Gegenwart. In dem Maße, als ihm dies gelingt, handelt er vernünftig, oder gemäß der praktischen Vernunft. (W. II, 163; G. 116.)
Zum Lebensglück ist erforderlich, dass man die Phantasie im Zügel halte und mit bloßen Begriffen, in trockener und kalter Überlegung operiere. Zum Leitstern seiner Bestrebungen soll man nicht Bilder der Phantasie nehmen, sondern deutlich gedachte Begriffe. Nur der Begriff ist es, der Wort hält; daher ist es Bildung, nur ihm zu trauen. (P. I, 462 und 468.)
Kein Charakter ist so, dass er sich selbst überlassen bleiben und sich ganz und gar gehen lassen dürfte; sondern jeder bedarf der Lenkung durch Begriffe und Maximen. Auf der Übung hierin beruht der erworbene Charakter. (S. unter Charakter erworbener Charakter.) (P. I, 484.)
Höflichkeit ist das löbliche Werk des Begriffs. (W. I, 68.)

10) Nachteile des Begriffs.

Durch die Begriffe steht der Mensch dem Irrtum und Wahn offen. Das Tier kann nie weit vom Wege der Natur abirren; denn seine Motive liegen allein in der anschaulichen Welt, wo nur das Mögliche, ja nur das Wirkliche Raum findet. Hingegen in die abstrakten Begriffe, in die Gedanken und Worte geht alles nur Ersinnliche, mithin auch das Falsche, das Unmögliche, das Absurde, das Unsinnige. (W. II, 73 fg.)
Die Zusammenfassung des Vielen und Verschiedenen in einen Begriff ist nur möglich durch das Weglassen der Unterschiede, mithin ist der Begriff eine sehr unvollkommene Art des Vorstellens. (W. II, 155.)
Die Begriffe, mit ihrer Starrheit und scharfen Begrenzung, sind, so fein man sie auch durch nähere Bestimmung spalten möchte, doch stets unfähig, die feinen Modifikationen des Anschaulichen zu erreichen. Ihre Anwendung wird daher störend bei allen Gegenständen und Verrichtungen, zu denen intuitive Erkenntnis erforderlich ist. Wilde und rohe Menschen führen darum manche Leibesübungen, den Kampf mit Tieren, das Treffen mit dem Pfeil u. dgl. mit einer Sicherheit und Geschwindigkeit aus, die der reflektierende, nach Begriffen verfahrende Europäer nie erreicht, weil seine Überlegung ihn schwanken und zaudern macht. Beim Billardspielen, Fechten, Stimmen eines Instruments, Singen und solchen Verrichtungen, wirkt die Reflexion (das Verfahren nach begrifflicher Überlegung) hinderlich; hier muss die anschauliche Erkenntnis die Tätigkeit unmittelbar leiten. Auch beim Verständnis der Physiognomie wirkt die Anwendung von abstrakten Begriffen störend.
Diese Beschaffenheit der Begriffe, die feinen Nuancen des Wirklichen nicht erreichen zu können, weshalb die Anschauung stets ihre Asymptote bleibt, ist auch der Grund, warum in der Kunst nichts Gutes durch sie geleistet wird. Will der Sänger, oder Virtuose, seinen Vortrag durch Reflexion leiten, so bleibt er tot. Das Selbe gilt von den andern Künsten. Auch im persönlichen Umgang ist das Anziehende, Gratiose, Einnehmende des Betragens nicht Werk des Begriffs. Alle Verstellung ist Werk der Reflexion. — Im hohen Lebensdrange, wo es der raschen Entschlossenheit bedarf, kann die Reflexion leicht verwirrend wirken und Unentschlossenheit herbeiführen. Auch Tugend und Heiligkeit sind nicht Werk des Begriffs, sondern der intuitiven Erkenntnis (W. I, 67—69. Vergl. auch unter Abstrakt: Unzulänglichkeit des Abstrakten, und unter Anschauung: Vorzüge der anschauenden vor der abstrakten Erkenntnis.)