1) Vorzug des Menschen vor dem Tiere in Hinsicht auf die Sphäre der Wahl.
Die Motive, durch die der Wille der Tiere bewegt wird, müssen,
weil den Tieren Vernunft, das Vermögen nichtanschaulicher, abstrakter
Vorstellungen (Begriffe) abgeht, alle Mal anschaulich und
gegenwärtig sein. Hiervon aber ist die Folge, dass ihnen äußerst wenig
Wahl gestattet ist, nämlich bloß zwischen dem ihrem beschränkten
Gesichtskreise anschaulich Vorliegenden. Der Mensch hingegen hat
vermöge seiner Fähigkeit nichtanschaulicher Vorstellungen einen unendlich
weiteren Gesichtskreis, welcher das Abwesende, Vergangene, Zukünftige
begreift; dadurch hat er eine viel größere Sphäre der Einwirkung
von Motiven und folglich auch der Wahl, als das auf die
Gegenwart beschränkte Tier. (
E. 34 fg.
G. 97.
W. I, 355. —
Vergl. auch unter
Mensch: Unterschied zwischen Tier und Mensch.)
2) Die Wahlentscheidung ist nicht als Freiheit des einzelnen Wollens anzusehen.
Die Wahlentscheidung, die der Mensch vermöge der Vernunft vor
dem Tiere voraus hat, macht ihn nur zum Kampfplatz des Konflikts
der Motive, entzieht ihn aber nicht ihrer Herrschaft und ist daher
keineswegs als Freiheit des einzelnen Wollens, d. h. Unabhängigkeit
vom Gesetze der Kausalität anzusehen, dessen Notwendigkeit sich über
den Menschen, wie über jede andere Erscheinung erstreckt. (
W. I, 355.
Vergl. unter
Freiheit: Kritik der Indifferenz des Willens.)
3) Vorteil des anschaulichen über das abstrakte Motiv bei der Wahlentscheidung.
Wenn bei einer Wahlentscheidung ein Konflikt zwischen einem anschaulichen
und einem abstrakten Motiv eintritt, so ist ersteres durch
seine Form (Anschaulichkeit) gar sehr im Vorteil, denn dem Willen
ist die anschauliche Erkenntnis ursprünglicher beigegeben, als das Denken,
und das Angeschaute wirkt energischer, als das bloß Gedachte.
Wenn jedoch aus diesem Grunde ein anschauliches Motiv über das
abstrakte siegt, so ist, was so geschieht, Wirkung des Affekts und
gibt daher kein vollgültiges Zeugnis über die Beschaffenheit des Charakters.
(
H. 392 fg. Vergl. unter
Affekt: Warum der Affekt die
Zurechnung vermindert.)