Affekt.
1) Ursprung und Wirkung des Affekts.
Jeder Affekt (animi perturbatio) entsteht dadurch, dass eine auf unseren Willen wirkende Vorstellung uns so übermäßig nahe tritt, dass sie uns alles Übrige verdeckt und wir nichts mehr, als sie, sehen können, wodurch wir für den Augenblick unfähig werden, das Anderweitige zu berücksichtigen. (W. II, 164.)
Der Affekt ist die plötzliche, heftige Erregung des Willens durch eine
von außen eindringende, zum Motiv werdende Vorstellung, die eine
solche Lebhaftigkeit hat, dass sie alle andern, welche ihr als Gegenmotive
entgegenwirken könnten, verdunkelt und nicht deutlich ins Bewusstsein
kommen lässt. (E. 100.)
Der Affekt ist jedoch nur eine vorübergehende Erregung des
Willens durch ein Motiv, welches seine Gewalt nicht durch eine tief
wurzelnde Neigung, sondern bloß dadurch erhält, dass es, plötzlich
eintretend, die Gegenwirkung aller anderen Motive für den Augenblick
ausschließt. (W. II, 678.)
Zur Leidenschaft verhält sich der Affekt, wie die Fieberphantasie zum
Wahnsinn. (W. II, 679.)
2) Warum der Affekt die Zurechnung vermindert.
Durch den Affekt wird die Fähigkeit der Überlegung und damit die Intellektuelle Freiheit (s. Freiheit) in gewissem Grade aufgehoben. (W. II, 679.) Sie wird vermindert oder partiell aufgehoben (E. 100.) Demnach ist bei den im Affekt begangenen Taten sowohl die juristische, als die moralische Verantwortlichkeit, nach Beschaffenheit der Umstände, mehr oder weniger, doch immer zum Teil aufgehoben. (E. 100.)
Was im Affekt geschieht, ist nicht ganz eigene Tat und gibt daher
kein vollgültiges Zeugnis über die Beschaffenheit des Charakters. Denn
nur solche Taten sind Symptome des Charakters, die bei vollem Gebrauch
der Vernunft, also überlegt und besonnen geschehen. Hingegen
was bloß dadurch begangen wird, dass ein Motiv, weil es anschaulich
war (gegenwärtiger Reiz), die Oberhand gewann über ein
anderes, das als bloßer Gedanke (Vorsatz, Maxime) ihm gegenüberstand,
— dies ist Wirkung des Affekts, und die Beschaffenheit des
Willens darf nicht geradezu nach dieser Tat beurteilt werden; denn
hier hat nicht unmittelbar der Wille Schuld, sondern die Vernunft,
deren abstrakte Vorstellungen zu schwach waren, um sich im Bewusstsein
zu erhalten, während das anschauliche Motiv gewaltsam auf den Willen
eindrang und ihn stark bewegte. Daher entschuldigt man eine solche
Tat dadurch, dass sie im Affekt geschehen. Man sieht mehr einen
Fehler der Erkenntniskräfte darin, als des Willens. Im Affekt tut
der Mensch Das, was er nicht fähig wäre zu beschließen. Also
liegt die Sache eigentlich in der Erkenntnis, ist mehr ein Fehler der
Erkenntnis, als des Willens. (H. 392—394.)