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Schopenhauers Kosmos

 

 Teleologie.

1) Worauf die Bewunderung der Zweckmäßigkeit der Organismen beruht.

Die staunende Bewunderung, welche uns bei der Betrachtung der unendlichen Zweckmäßigkeit in dem Bau der organischen Wesen zu ergreifen pflegt, beruht auf der zwar natürlichen, aber falschen Voraussetzung, dass jene Übereinstimmung der Teile zu einander, zum Ganzen des Organismus und zu seinen Zwecken in der Außenwelt, wie wir dieselbe mittelst der Erkenntnis, also auf dem Wege der Vorstellung, auffassen und beurteilen, auch auf demselben Wege hineingekommen sei; dass also, wie sie für den Intellekt existiert, auch durch den Intellekt zu Stande gekommen wäre. Unser Intellekt ist es, welcher, indem er den an sich metaphysischen und unteilbaren Willensakt, der sich in der Erscheinung eines Tieres darstellt, mittelst seiner eigenen Formen, Raum, Zeit und Kausalität, als Objekt auffasst, die Vielheit und Verschiedenheit der Teile und Funktionen erst hervorbringt und dann über die aus der ursprünglichen Einheit hervorgehende vollkommene Übereinstimmung und Konspiration derselben in Erstaunen gerät; wobei er also in gewissem Sinne sein eigenes Werk bewundert. Dies ist auch der Sinn der großen Lehre Kants, dass die Zweckmäßigkeit erst vom Verstande in die Natur gebracht wird. (W. II, 373—375; I, 186—188. N. 56—58. P. II, 45.)

2) Erklärung der doppelten Zweckmäßigkeit der Organismen.

Wie die Erkenntnis der Einheit des Willens, als Dinges an sich, in der unendlichen Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Erscheinungen allein den wahren Aufschluss gibt über jene wundersame, unverkennbare Analogie aller Produktionen der Natur, jene Familienähnlichkeit, die sie als Variationen des selben Themas betrachten lässt; so eröffnet sich gleichermaßen durch die deutlich und tief gefasste Erkenntnis der Harmonie, des wesentlichen Zusammenhanges aller Teile der Welt und der Notwendigkeit ihrer Abstufung eine wahre und genügende Einsicht in das innere Wesen und die Bedeutung der unleugbaren Zweckmäßigkeit aller organischen Naturprodukte. Diese Zweckmäßigkeit ist doppelter Art, teils eine innere, d. h. eine so geordnete Übereinstimmung aller Teile eines einzelnen Organismus, dass die Erhaltung desselben und seiner Gattung daraus hervorgeht, und daher als Zweck jener Anordnung sich darstellt. Teils aber ist die Zweckmäßigkeit eine äußere, nämlich ein Verhältnis der unorganischen Natur zu der organischen überhaupt, oder auch einzelner Teile der organischen Natur zu einander, welches die Erhaltung der gesamten organischen Natur, oder auch einzelner Tiergattungen, möglich macht und daher als Mittel zu diesem Zweck unserer Beurteilung entgegen tritt. Was nun die innere Zweckmäßigkeit der Organismen betrifft, so erklärt sie sich daraus, dass jeder Organismus Erscheinung einer einheitlichen Idee, die wir als intelligiblen und an sich einfachen Willensakt betrachten können, ist, folglich das Nebeneinander der Teile und Nacheinander der Entwicklung doch nicht die Einheit der erscheinenden Idee, des sich äußernden Willensaktes aufhebt, vielmehr findet diese Einheit nunmehr ihren Ausdruck an der notwendigen Beziehung und Verkettung jener Teile und Entwicklungen mit einander, nach dem Gesetze der Kausalität. Da es der einzige und unteilbare und eben dadurch ganz mit sich selbst übereinstimmende Wille ist, der sich in der ganzen Idee, als wie in einem Akt offenbart; so muss seine Erscheinung, obwohl in eine Verschiedenheit von Teilen und Zuständen auseinandertretend, doch in einer durchgängigen Übereinstimmung derselben jene Einheit wieder zeigen; dies geschieht durch eine notwendige Beziehung und Abhängigkeit aller Teile von einander, wodurch auch in der Erscheinung die Einheit der Idee wiederhergestellt wird. Demzufolge erkennen wir nun jene verschiedenen Teile und Funktionen des Organismus wechselseitig als Mittel und Zweck von einander, den Organismus selbst aber als den letzten Zweck Aller.
Mit der äußeren Zweckmäßigkeit verhält es sich ebenso. Auch sie findet ihre Erklärung in der Einheit des unteilbaren Willens, dessen Objektität (Erscheinung) die ganze Welt ist. Jene Einheit des Willens muss sich in der Übereinstimmung aller Erscheinungen desselben zu einander zeigen. — In der äußern, wie in der inneren Teleologie der Natur also ist, was wir als Mittel und Zweck denken müssen, überall nur die für unsere Erkenntnisweise in Raum und Zeit auseinandergetretene Erscheinung der Einheit des mit sich selbst so weit übereinstimmenden einen Willens. (W. I, 183—192.)

3) Gegensatz zwischen der organischen und unorganischen Natur in Hinsicht auf die Erklärung durch Endursachen.

Bei Betrachtung der gesamten organischen Natur ist die Teleologie, als Voraussetzung der Zweckmäßigkeit jedes Teils, ein vollkommen sicherer Leitfaden, und selbst die einzelnen wirklichen Ausnahmen zu dem durchgängigen Gesetze der Zweckmäßigkeit heben die Regel nicht auf, da sie sich erklären lassen aus dem inneren Zusammenhang der verschiedenartigen Erscheinungen der Natur unter einander vermöge der Einheit des in ihnen Erscheinenden, in Folge dessen sie bei der Einen ein Organ andeuten muss, bloß weil eine Andere, mit derselben zusammenhängende es wirklich hat. Also findet hier das exceptio firmat regulam Anwendung. Jedoch bei Betrachtung der unorganischen Natur wird die Endursache allemal zweideutig und lässt uns, zumal wenn die wirkende gefunden ist, in Zweifel, ob sie nicht eine bloß subjektive Ansicht, ein durch unseren Gesichtspunkt bedingter Schein sei. — Dass in der unorganischen Natur die Endursachen gänzlich zurücktreten, so dass eine aus ihnen allein gegebene Erklärung hier nicht mehr gültig ist, vielmehr die wirkenden Ursachen schlechterdings verlangt werden, beruht darauf, dass der auch in der unorganischen Natur sich objektivierende Wille hier nicht mehr in Individuen, die ein Ganzes für sich ausmachen, erscheint, sondern in Naturkräften und deren Wirken, wodurch Zweck und Mittel zu weit auseinander geraten, als dass ihre Beziehung klar sein und man eine Willensäußerung darin erkennen könnte. Dies tritt sogar in gewissem Grade schon bei der organischen Natur ein, nämlich da, wo die Zweckmäßigkeit eine äußere ist, d. h. der Zweck im einen, das Mittel im andern Individuum liegt. Dennoch bleibt sie auch hier noch unzweifelhaft, solange beide der selben Spezies angehören, ja, sie wird dann um so auffallender. Wo hingegen das Individuum, welches einem andern wesentliche Hilfe leistet, ganz verschiedener Art, sogar einem andern Naturreich angehörig ist, werden wir diese äußere Zweckmäßigkeit, ebenso wie bei der unorganischen Natur, bezweifeln; es sei denn, dass augenfällig die Erhaltung der Gattungen auf ihr beruhe, wie z. B. bei vielen Pflanzen, deren Befruchtung nur mittelst der Insekten vor sich geht. (W. II, 375—386.)

4) Das Zusammentreffen der wirkenden mit den Endursachen.

Die wirkende Ursache (causa efficiens) ist die, wodurch etwas ist, die Endursache (causa finalis) die, weshalb es ist; die zu erklärende Erscheinung hat, in der Zeit, jene hinter sich, diese vor sich. Bloß bei den willkürlichen Handlungen tierischer Wesen fallen beide unmittelbar zusammen, indem hier die Endursache, der Zweck, als Motiv auftritt; ein solches aber ist stets die wahre und eigentliche Ursache der Handlung, ist ganz und gar die sie bewirkende Ursache. Dies Zusammenfallen der causa finalis mit der wirkenden Ursache in der einzigen uns intim bekannten Erscheinung, welche deshalb durchgängig unser Urphänomen bleibt, führt darauf hin, dass, wenigstens in der organischen Natur, deren Kenntnis durchaus die Endursachen zum Leitfaden hat, ein Wille das Gestaltende ist. In der Tat können wir eine Endursache uns nicht anders deutlich denken, denn als einen beabsichtigten Zweck, d. i. ein Motiv. Ja, wenn wir die Endursachen in der Natur genau betrachten, so müssen wir, um ihr transzendentes Wesen auszudrücken, so widersprechend es auch klingt, kühn heraussagen: die Endursache ist ein Motiv, welches auf ein Wesen wirkt, von welchem es nicht erkannt wird. Denn allerdings sind die Termitennester das Motiv, welches den zahnlosen Kiefer des Ameisenbären, nebst der langen, fadenförmigen und klebrigen Zunge hervorgerufen hat, u. s. w. Der selbe Wille, welcher den Elefantenrüssel nach einem Gegenstande ausstreckt, ist es auch, der ihn hervorgetrieben und gestaltet hat, die Gegenstände antizipierend. — Hiermit ist es übereinstimmend, dass wir bei Untersuchung der organischen Natur ganz und gar auf die Endursachen verwiesen sind, überall diese suchen und Alles aus ihnen erklären, die wirkenden Ursachen hier nur noch eine ganz untergeordnete Stelle, als bloße Werkzeuge jener einnehmen. Die Endursache ist überall bei Erklärung des Organischen, sowohl bei Erklärung der Entstehung der Teile, als auch bei der Erklärung der bloßen Funktionen, bei Weitem wichtiger und mehr zur Sache, als die wirkende. — Zu den Vorzügen der Endursachen gehört auch, dass jede wirkende Ursache zuletzt immer auf einem Unerforschlichen, nämlich einer Naturkraft, d. i. einer qualitas occulta beruht, daher sie nur eine relative Erklärung geben kann; während die Endursache in ihrem Bereich eine genügende und vollständige Erklärung liefert. Ganz zufrieden gestellt sind wir freilich erst dann, wann wir beide zugleich und doch gesondert erkennen, als wo uns ihr Zusammentreffen, die wundersame Konspiration derselben überrascht; denn da entsteht in uns die Ahndung, dass beide Ursachen, so verschieden auch ihr Ursprung sei, doch in der Wurzel, im Wesen der Dinge an sich, zusammen hängen. Die vielen unleugbaren Beispiele des Zusammentreffens des völlig blinden Wirkens der Natur mit dem anscheinend absichtsvollen, oder (nach Kant'schem Ausdruck) des Mechanismus der Natur mit ihrer Technik, weisen darauf hin, dass Beide ihren gemeinschaftlichen Ursprung jenseits dieser Differenz haben, im Willen als Ding an sich. (W. II, 378—383.) — Über das Zusammentreffen der wirkenden mit den Endursachen im Bau des Himmels und im Lebenslauf des Einzelnen s. unter Himmel: Die Harmonie des Himmels, und unter Schicksal: Anscheinende Absichtlichkeit im Schicksal des Einzelnen, so wie auch unter Aberglaube: Aberglaube, dem wahrer Glaube zu Grunde liegt.)

5) Die wahre Teleologie ist von Physikotheologie und Anthropoteleologie zu unterscheiden.

Jeder gute und regelrechte Kopf muss bei Betrachtung der organischen Natur auf Teleologie geraten, jedoch keineswegs, wenn ihn nicht vorgefasste Meinungen bestimmen, weder auf Physikotheologie, noch auf die von Spinoza getadelte Anthropoteleologie. (W. II, 390. Vergl. Physikotheologie.)

6) Geschichtliches.

Drei große Männer: Lucretius, Baco von Verulam und Spinoza haben die Teleologie, oder die Erklärung aus Endursachen gänzlich verworfen. Allein bei allen dreien erkennt man deutlich genug die Quelle dieser Abneigung, dass sie nämlich die Teleologie für unzertrennlich von der spekulativen Theologie hielten, vor dieser aber eine so große Scheu (welche Baco zwar klüglich zu verbergen sucht) hegten, dass sie ihr schon von Weitem aus dem Wege gehen wollten. Sehr vorteilhaft sticht gegen sie Aristoteles ab, der gerade hier sich von der glänzenden Seite zeigt. Er stellt die Endursachen als das wahre Prinzip der Naturbetrachtung auf, ohne dass ihm dabei Physikotheologie in den Sinn kommt. (W. II, 386—390.)