Schicksal.
1) Schicksal im Allgemeinen.
(S. Fatum, Fatalismus.)2) Die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen.
a) Allgemeinheit des Glaubens an spezielle Vorsehung.
Der Glaube an eine spezielle Vorsehung, oder sonst eine übernatürliche Lenkung der Begebenheiten im individuellen Lebenslauf, ist zu allen Zeiten allgemein beliebt gewesen, und sogar in denkenden, aller Superstition abgeneigten Köpfen findet er sich bisweilen unerschütterlich fest, ja, wohl gar außer allem Zusammenhang mit irgendwelchen bestimmten Dogmen. (P. I, 215 fg.)b) Schwierigkeit, die diesem Glauben entgegensteht.
Dem bloßen, reinen, offenbaren Zufall, der die Welt und das Leben des Einzelnen beherrscht, eine Absicht unterzulegen, ist ein Gedanke, der an Verwegenheit seines Gleichen sucht. Gegen die Beispiele, wodurch man ihn belegen möchte, bleibt, so frappant sie auch bisweilen sein mögen, die stehende Einrede diese, dass es das größte Wunder wäre, wenn niemals ein Zufall unsere Angelegenheiten gut, ja selbst besser besorgte, als unser Verstand und unsere Einsicht es vermocht hätte. (P. I, 216.)c) Lösung der Aufgabe, den Lebenslauf des Einzelnen als unter spezieller Vorsehung stehend zu denken.
Der höhere, transzendente Fatalismus (vergl. unter Fatum, Fatalismus: Unterschied zwischen dem gewöhnlichen und dem höheren Fatalismus) treibt zu der Annahme einer aus der Einheit der tiefliegenden Wurzel der Notwendigkeit und Zufälligkeit entspringenden und unergründlichen Macht, welche alle Wendungen und Windungen unseres Lebenslaufes, zwar sehr oft gegen unsere einstweilige Absicht, jedoch so, wie es der objektiven Ganzheit und subjektiven Zweckmäßigkeit desselben angemessen, mithin unserm eigentlichen wahren Besten förderlich ist, leitet. (P. I, 224 fg.) Diese verborgene und sogar die äußeren Einflüsse leitende Macht kann jedoch ihre Wurzel zuletzt nur in unserm eigenen geheimnisvollen Inneren haben, da ja das A und O alles Daseins zuletzt in uns selbst liegt. Sie sich denkbar zu machen, gibt es zwei Analogien. Die nächste Analogie mit dem Walten jener Macht zeigt uns die Teleologie der Natur. Wie in jenen dumpfen und blinden Urkräften der Natur, aus deren Wechselspiel das Planetensystem hervorgeht, schon eben der Wille zum Leben, welcher nachher in den vollendetsten Erscheinungen der Welt auftritt, das im Inneren Wirkende und Leitende ist und er schon dort, mittelst strenger Naturgesetze auf seine Zwecke hinarbeitend, die Grundfeste zum Bau der Welt und ihrer Ordnung vorbereitet; ebenso nun sind alle, die Handlungen eines Menschen bestimmenden Begebenheiten, nebst der sie herbeiführenden Kausalverknüpfung, doch auch nur die Objektivation desselben Willens, der auch in diesen Menschen selbst sich darstellt; woraus sich, wenn auch nur wie im Nebel, absehen lässt, dass sie sogar zu den speziellsten Zwecken jenes Menschen stimmen und passen müssen, in welchem Sinne sie alsdann jene geheime Macht bilden, die das Schicksal des Einzelnen leitet und als sein Genius, oder seine Vorsehung allegorisiert wird. (P. I, 227—231.)
Eine zweite Analogie, welche zum Verständnis des erwähnten transzendenten
Fatalismus beitragen kann, gibt der Traum. Auf analoge
Weise, wie Jeder der heimliche Theaterdirektor seiner Träume ist, geht
auch jenes Schicksal, welches unseren Lebenslauf beherrscht, irgendwie
zuletzt von jenem Willen aus, der unser eigener ist, welcher jedoch
hier, wo er als Schicksal auftritt, von einer Region aus wirkt, die
weit über unser vorstellendes, individuelles Bewusstsein hinausliegt.
(P. I, 231—237.)