1) Die Sprache als Erzeugnis und Werkzeug der Vernunft.
Es ist die Vernunft, die zur Vernunft spricht, und was sie mitteilt
und empfängt, sind abstrakte Begriffe, nichtanschauliche Vorstellungen.
Hieraus allein ist es erklärlich, dass nie ein Tier sprechen
und vernehmen kann, obgleich es die Werkzeuge der Sprache und auch
die anschaulichen Vorstellungen mit uns gemein hat; aber eben weil
die Worte jene ganz eigentümliche Klasse von Vorstellungen bezeichnen,
deren subjektives Korrelat die Vernunft ist, sind sie für das vernunftlose
Tier ohne Sinn und Bedeutung. (
W. I, 47.)
Das Tier teilt seine Empfindung und Stimmung durch Gebärden
und Laute mit, der Mensch teilt dem anderen Gedanken durch Sprache
mit, oder verbirgt Gedanken durch Sprache. Sprache ist das erste
Erzeugnis und das notwendige Werkzeug seiner Vernunft; daher wird
im Griechischen und Italienischen Sprache und Vernunft durch dasselbe
Wort bezeichnet:
δ λογος,
il discorso. Durch Hilfe der Sprache
allein bringt die Vernunft ihre wichtigsten Leistungen zu Stande,
nämlich das übereinstimmende Handeln, das planvolle Zusammenwirken
Vieler, die Zivilisation, den Staat, ferner die Wissenschaft, das
Aufbewahren früherer Erfahrung, das Zusammenfassen des Gemeinsamen
in einen Begriff, das Mitteilen der Wahrheit, das Verbreiten
des Irrtums, das Denken und Dichten, die Dogmen und Superstitionen.
(
W. I, 44.)
Da die zu abstrakten Begriffen sublimierten Vorstellungen alle Anschaulichkeit
eingebüßt haben, so würden sie dem Bewusstsein ganz
entschlüpfen und ihm zu den damit beabsichtigten Denkoperationen gar
nicht Stand halten, wenn sie nicht durch Zeichen sinnlich fixiert und
festgehalten würden; dies sind die Worte. Daher bezeichnen diese, soweit
sie den Inhalt des Lexikons, also die Sprache ausmachen, stets
allgemeine Vorstellungen, Begriffe, nie anschauliche Dinge; ein
Lexikon, welches hingegen Einzeldinge aufzählt, enthält lauter Eigennamen.
Bloß weil die Tiere auf anschauliche Vorstellungen beschränkt
und keiner Abstraktion, mithin keines Begriffes fähig sind, haben sie
keine Sprache, selbst wenn sie Worte auszusprechen vermögen; hingegen
verstehen sie Eigennamen. (
G. 99.)
2) Worauf die enge Verbindung des Begriffs mit dem Wort, also der Sprache mit der Vernunft beruht.
(S. unter
Begriff: Begriff und Wort.)
3) Bedingtheit der Sprachfähigkeit durch die Gedankenassoziation.
Unser unmittelbares, d. h. nicht durch mnemonische Künste vermitteltes
Wortgedächtnis und mit diesem unsere ganze Sprachfähigkeit beruht
auf der unmittelbaren Gedankenassoziation. (
W. II, 146. Vergl.
Gedankenassoziation.)
4) Die ursprüngliche Sprache.
Die tierische Stimme dient allein dem Ausdrucke des Willens in
seinen Erregungen und Bewegungen, die menschliche aber auch dem der
Erkenntnis. Doch sind beim Entstehen der menschlichen Sprache
ganz gewiss das Erste die Interjektionen gewesen, als welche nicht
Begriffe, sondern, gleich den Lauten der Tiere, Gefühle, — Willensbewegungen,
— ausdrücken. (
P. II, 599.)
Der Mensch hat die Sprache instinktiv erfunden. Nachdem die
Sprache einmal da war, verlor sich dieser Instinkt. Die erste und
ursprüngliche Sprache hatte daher die hohe Vollkommenheit aller Werke
des Instinkts. (
P. II, 599 fg. Vergl. unter
Mensch, Menschengeschlecht:
Allmähliche Degradation des Menschengeschlechts.)
5) Die Erlernung der Sprache als eine logische Schule.
Mit der Erlernung der Sprache wird der ganze Mechanismus der
Vernunft, also das Wesentliche der Logik, zum Bewusstsein gebracht.
Bei Erlernung der Sprache samt allen ihren Wendungen und Feinheiten,
sowohl mittelst Zuhören der Reden Erwachsener, als mittelst
Selbstreden, vollbringt das Kind jene Entwicklung seiner Vernunft und
erwirbt sich jene wahrhaft konkrete Logik, welche nicht in den logischen
Regeln, sondern unmittelbar in der richtigen Anwendung derselben besteht.
(
G. 100.)
Wie sehr der Gebrauch der Vernunft an die Sprache gebunden ist,
sehen wir bei den Taubstummen, welche, wenn sie keine Art von
Sprache erlernt haben, kaum mehr Intelligenz zeigen, als die Orang-Utane
und Elefanten; denn sie haben stets nur
potentia, nicht
actu
Vernunft. (
W. II, 71.) Die logische Schule, die Jeder mittelst Erlernung
der Sprache durchmacht, macht nur der Taubstumme nicht
durch; deshalb ist er fast so unvernünftig, wie das Tier, wenn er
nicht die ihm angemessene sehr künstliche Ausbildung durch Lesenlernen
erhält, die ihm das Surrogat jener naturgemäßen Schule der Vernunft
wird. (
G. 100.)
6) Der Nachteil der Sprache, und wodurch er zum Teil beseitigt wird.
Wort und Sprache sind zwar das unentbehrliche Mittel zum deutlichen
Denken. Wie aber jedes Mittel, jede Maschine zugleich beschwert
und hindert, so auch die Sprache, weil sie den unendlich nuancierten,
beweglichen und modifikablen Gedanken in gewisse feste, stehende Formen
zwängt und indem sie ihn fixiert, ihn zugleich fesselt. Dieses
Hindernis wird durch die Erlernung mehrerer Sprachen zum Teil beseitigt.
Denn indem bei dieser der Gedanke aus einer Form in die
andere gegossen wird, er aber in jeder seine Gestalt etwas verändert,
löst er sich mehr und mehr von jeglicher Form und Hülle ab, wodurch
sein selbsteigenes Wesen deutlicher ins Bewusstsein tritt und er auch
seine ursprüngliche Modifikabilität wieder erhält. (
W. II, 71.)
7) Warum die Erlernung mehrerer Sprachen ein wichtiges geistiges Bildungsmittel ist.
Die Erlernung mehrerer Sprachen ist nicht allein ein mittelbares,
sondern auch ein unmittelbares, tief eingreifendes geistiges Bildungsmittel.
Denn nicht für jedes Wort einer Sprache findet sich in jeder
anderen das genaue Äquivalent. Also sind nicht sämtliche Begriffe,
welche durch die Worte der einen Sprache bezeichnet sind, genau die
selben, welche die der anderen ausdrücken; sondern oft sind es ähnliche
und verwandte, jedoch durch irgend eine Modifikation verschiedene Begriffe.
Demgemäß liegt bei Erlernung einer Sprache die Schwierigkeit
vorzüglich darin, jeden Begriff, für den sie ein Wort hat, auch dann
kennen zu lernen, wann die eigene Sprache kein diesem genau entsprechendes
Wort besitzt, welches oft der Fall ist. Daher also muss
man bei Erlernung einer fremden Sprache mehrere ganz neue Sphären
von Begriffen in seinem Geiste abstecken; mithin entstehen Begriffssphären,
wo noch keine waren. Man erlernt also nicht bloß Worte,
sondern erwirbt Begriffe. Bei Erlernung jeder fremden Sprache bilden
sich neue Begriffe, um neuen Zeichen Bedeutung zu geben; Begriffe
treten auseinander, die sonst nur gemeinschaftlich einen weiteren, also
unbestimmteren ausmachten, weil eben nur Ein Wort für sie da war;
Beziehungen, die man bis dahin nicht gekannt hatte, werden entdeckt,
weil die fremde Sprache den Begriff durch einen ihr eigentümlichen
Tropus, oder Metapher bezeichnet; unendlich viele Nuancen, Ähnlichkeiten,
Verschiedenheiten, Beziehungen der Dinge treten mittelst der
neu erlernten Sprache ins Bewusstsein; man erhält also eine vielseitigere
Ansicht von den Dingen. Das Denken erhält also durch die
Erlernung einer jeden Sprache eine neue Modifikation oder Färbung,
der Polyglottismus ist demnach, neben seinem vielen mittelbaren
Nutzen, auch ein direktes Bildungsmittel des Geistes. (
P. II, 601
—605.
W. II, 71.)
8) Vorzüglicher Nutzen der Erlernung der alten Sprachen.
Der Nutzen, den die Erlernung fremder Sprachen bringt, ist, dass
man nicht bloß Worte erlernt, sondern Begriffe erwirbt. Dies ist
vorzüglich bei Erlernung der alten Sprachen der Fall, weil die Ausdrucksweise
der Alten von der unsrigen viel verschiedener ist, als die
der modernen Sprachen von einander, welches sich daran zeigt, dass
man beim Übersetzen ins Lateinische zu ganz anderen Wendungen, als
die das Original hat, greifen muss. Ja, man muss meistens den
lateinisch wiederzugebenden Gedanken ganz umschmelzen und umgießen,
wobei er in seine letzten Bestandteile zerlegt und wieder rekomponiert
wird. Gerade hierauf beruht die große Förderung, die der Geist von
der Erlernung der alten Sprachen erhält. (
P. II, 603. 605.
W. II,
71. Vergl. auch
Latein.)
9) Erfordernis zum Erfassen des Geistes einer fremden Sprache.
Erst nachdem man alle Begriffe, welche die zu erlernende Sprache
durch einzelne Worte bezeichnet, richtig gefasst hat und bei jedem
Worte derselben genau den ihm entsprechenden Begriff unmittelbar
denkt, nicht aber erst das Wort in eines der Muttersprache übersetzt
und dann den durch dieses bezeichneten Begriff denkt, und ebenso hinsichtlich
ganzer Phrasen, — erst dann hat man den Geist der zu
erlernenden Sprache gefasst und damit einen großen Schritt zur Kenntnis
der sie sprechenden Nation getan. Vollkommen inne aber hat
man eine Sprache erst, wenn man fähig ist, nicht etwa Bücher, sondern
sich selbst in sie zu übersetzen, so dass man ohne einen Verlust
an seiner Individualität zu erleiden sich unmittelbar in ihr mitzuteilen
vermag. (
P. II, 603.)
10) Die Weisheit der Sprache.
Lichtenberg sagt mit Recht:
Wenn man viel selbst denkt, so findet
man viele Weisheit in die Sprache eingetragen. Es ist wohl nicht
wahrscheinlich, dass man Alles selbst hineinträgt, sondern es liegt wirklich
viel Weisheit darin. Ein vorzügliches und der den Willen für
das Primäre, den Intellekt für das Sekundäre erklärenden (Schopenhauerschen)
Philosophie zur Bestätigung dienendes Beispiel dieser Weisheit
ist, dass in sehr vielen, vielleicht in allen Sprachen das Wirken
auch der erkenntnislosen, ja der leblosen Körper durch Wollen ausgedrückt,
ihnen also ein Wille vorweg beigelegt wird, hingegen niemals
ein Erkennen, Vorstellen, Wahrnehmen, Denken. (
N. 95—97.)
11) Gegen die moderne Art der Sprachbereicherung.
Dass gleichen Schrittes mit der Vermehrung der Begriffe der Wortvorrat
einer Sprache vermehrt werde, ist recht und sogar notwendig.
Wenn hingegen Letzteres ohne Ersteres geschieht, so ist es bloß ein
Zeichen der Geistesarmut, die doch etwas zu Markte bringen möchte
und, da sie keine neuen Gedanken hat, mit neuen Worten kommt.
Diese Art der Sprachbereicherung ist jetzt sehr an der Tagesordnung
und ein Zeichen der Zeit. Aber neue Worte für alte Begriffe sind
wie eine neue Farbe auf ein altes Kleid gebracht. (
P. II, 607.)
12) Gegen die moderne Sprachverhunzung.
(S. unter
Jetztzeit: Sprach- und Stilverhunzung der Jetztzeit.)
13) Weshalb in der Etymologie mehr die Konsonanten, als die Vokale zu berücksichtigen sind.
Die Konsonanten sind das Skelett und die Vokale das Fleisch der
Wörter. Jenes ist (im Individuum) unwandelbar, dieses sehr veränderlich
an Farbe, Beschaffenheit und Quantität. Darum konservieren die
Wörter, indem sie durch die Jahrhunderte, oder gar aus einer Sprache
in die andere wandern, im Ganzen sehr wohl ihre Konsonanten, aber
verändern leicht ihre Vokale; weshalb in der Etymologie viel mehr
jene, als diese zu berücksichtigen sind. (
P. II, 609—611.)