Sittengesetz.
Kant's kategorischer Imperativ wird in unseren Tagen meistens unter
dem weniger prunkenden, aber glatteren und kurrenteren Titel
Das Sittengesetzeingeführt. Die täglichen Kompendienschreiber vermehren mit der gelassenen Zuversicht des Unverstandes, die Ethik begründet zu haben, wenn sie nur sich auf jenes unserer Vernunft angeblich innewohnende
Sittengesetzberufen, und dann getrost jenes weitschweifige und konfuse Phrasengewebe darauf setzen, mit dem sie die klarsten und einfachsten Verhältnisse des Lebens unverständlich zu machen verstehen; — ohne bei solchem Unternehmen jemals sich ernstlich gefragt zu haben, ob denn auch wirklich so ein
Sittengesetzals bequemer Codex der Moral in unserm Kopf, Brust, oder Herzen geschrieben stehe. Dieses breite Ruhepolster wird der Moral weggezogen durch den (von Schopenhauer gelieferten) Nachweis, dass Kant's kategorischer Imperativ der praktischen Vernunft eine völlig unberechtigte grundlose und erdichtete Annahme ist. (E. 115 fg. 120 fg. Vergl. unter Gesetz: Verschiedene Bedeutungen des Begriffs des Gesetzes, und unter Moral: Kritik der imperativen Form der Moral.)
Fichte hat die imperative Form der Kant'schen Ethik, das Sittengesetz
und das absolute Soll, weiter geführt, bis ein System des
moralischen Fatalismus daraus geworden, dessen Ausführung bisweilen
in das Komische übergeht. Der kategorische Imperativ ist
bei Fichte herangewachsen zu einem despotischen Imperativ. (E.
180 fg.)