1) Verschiedene Bedeutungen des Begriffs des Gesetzes.
Die eigentliche und ursprüngliche Bedeutung desselben beschränkt sich
auf das bürgerliche Gesetz,
lex,
νομος, eine menschliche Einrichtung,
auf menschlicher Willkür beruhend. Eine zweite, abgeleitete, tropische,
metaphorische Bedeutung hat der Begriff Gesetz in seiner Anwendung
auf die Natur, deren teils
a priori erkannte, teils ihr empirisch abgemerkte,
sich stets gleichbleibende Verfahrensweisen wir, metaphorisch,
Naturgesetze nennen. Für den menschlichen Willen als solchen
gibt es auch ein Gesetz, sofern der Mensch zur Natur gehört, und
zwar ein ausnahmsloses, das Gesetz der Motivation, eine Form
des Kausalitätsgesetzes. Es besagt, dass jede Handlung nur in Folge
eines zureichenden Motivs eintreten kann. Es ist, wie das Kausalitätsgesetz
überhaupt, ein Naturgesetz. Hingegen moralische Gesetze,
unabhängig von menschlicher Satzung, Staatseinrichtung oder Religionslehre,
dürfen ohne Beweis nicht als vorhanden angenommen werden.
Kant begeht also durch die Vorausnahme des Moralgesetzes eine
petitio
principii. (
E. 120—122.)
2) Ursprung des politischen Gesetzes.
Die den menschlichen Individuen gemeinsame, das Ganze überdenkende
Vernunft hat sie auf Mittel bedacht gemacht, das aus dem Egoismus
durch Unrechttun für Alle entspringende Leiden zu verringern, oder
wo möglich aufzuheben durch ein gemeinschaftliches Opfer, welches jedoch
von dem gemeinschaftlich daraus hervorgehenden Vorteil überwogen
wird. Die Vernunft sah ein, dass sowohl um das über Alle verbreitete
Leiden zu mindern, als um es möglichst gleichförmig zu verteilen,
das beste und einzige Mittel sei, Allen den Schmerz des Unrechtleidens
zu ersparen dadurch, dass auch Alle dem durch das Unrechttun zu
erlangenden Genuss entsagten. Dieses also von dem, durch den Gebrauch
der Vernunft methodisch verfahrenden und seinen einseitigen
Standpunkt verlassenden Egoismus leicht ersonnene und allmählich vervollkommnte
Mittel ist der Staatsvertrag oder das Gesetz.
(
W. I, 404 fg.)
3) Zweck der Strafgesetze und Voraussetzung derselben.
Die Strafgesetze gehen aus von der richtigen Voraussetzung, dass
der Wille nicht frei (unbestimmbar durch Motive) sei, in welchem Fall
man ihn nicht lenken könnte; sondern dass er der Nötigung durch
Motive unterworfen sei. Demgemäß wollen sie allen etwaigen Motiven
zu Verbrechen stärkere Gegenmotive in den angedrohten
Strafen entgegenstellen, und ein Kriminalcodex ist nichts Anderes, als
ein Verzeichnis von Gegenmotiven zu verbrecherischen Handlungen.
(
E. 99.
W. I, 407.)