Philosophie.
1) Ursprung der Philosophie.
Die Philosophie entspringt aus einer Verwunderung über die Welt und unser eigenes Dasein, indem diese sich dem Intellekt als ein Rätsel aufdrängen, dessen Lösung sodann die Menschheit ohne Unterlass beschäftigt. (W. II, 175—177. 188. Vergl. auch unter Metaphysik: Ursprung der Metaphysik.)
Unsere stets an Individualität gebundene und eben hierin ihre Beschränkung
habende Erkenntnis bringt es notwendig mit sich, dass
Jeder nur Eines sein, hingegen alles Andere erkennen kann, welche
Beschränkung eben eigentlich das Bedürfnis der Philosophie erzeugt.
(W. I, 125. H. 300.)
Der Trieb zu philosophieren, der sehr allgemein in der Menschheit
ist, der selbst des Rohesten sich bemächtigt, kommt nicht etwa daher,
dass der Mensch sich erhaben über die Natur fühlt, dass sein Geist
ihn in Sphären höherer Art, aus der Endlichkeit in die Unendlichkeit
zieht, das Irdische ihm nicht genügt u. dgl. m. Der Fall ist selten.
Sondern es kommt daher, dass der Mensch mittelst der Besonnenheit,
die ihm die Vernunft gibt, das Missliche seiner Lage einsieht, und es
ihm schlecht gefällt, sein Dasein als ganz prekär und sowohl in Hinsicht
auf dessen Anfang, als auf dessen Ende, ganz dem Zufall unterworfen
zu sehen, noch dazu es auf jeden Fall als äußerst kurz zwischen
zwei unendlichen Zeiten zu finden, ferner seine Person als verschwindend
klein im unendlichen Raume und unter zahllosen Wesen. Dieselbe
Vernunft, die ihn treibt, für die Zukunft in seinem Leben zu
sorgen, treibt ihn auch, über die Zukunft nach seinem Leben sich Sorge
zu machen. Er wünscht das All zu begreifen, hauptsächlich, um sein
Verhältnis zu diesem All zu erkennen. Sein Motiv ist hier, wie
meistens, egoistisch. (M. 739 fg.)
2) Aufgabe der Philosophie.
Der Satz vom Grunde erklärt Verbindungen der Erscheinungen, nicht diese selbst; daher kann Philosophie nicht darauf ausgehen, eine causa efficiens oder eine causa finalis der ganzen Welt zu suchen. Die wahre Philosophie sucht keineswegs, woher oder wozu die Welt da sei; sondern bloß was die Welt ist. Zwar könnte man sagen, das Was der Welt erkenne ein Jeder ohne weitere Hilfe, da er das Subjekt des Erkennens, dessen Vorstellung sie ist, selbst ist. Allein diese Erkenntnis ist eine anschauliche, ist in konkreto; dieselbe in abstrakto wiederzugeben, das sukzessive, wandelbare Anschauen und überhaupt alles Das, was der weite Begriff Gefühl umfasst, zu einem abstrakten, deutlichen, bleibenden Wissen zu erheben, ist die Aufgabe der Philosophie. Sie muss demnach eine Aussage in abstrakto vom Wesen der gesamten Welt sein, vom Ganzen, wie von allen Teilen. Um aber dennoch nicht in eine endlose Menge von einzelnen Urteilen sich zu verlieren, muss sie sich der Abstraktion bedienen und alles Einzelne im Allgemeinen denken, seine Verschiedenheiten aber auch wieder im Allgemeinen; daher wird sie teils trennen, teils vereinigen, um alles Mannigfaltige der Welt überhaupt, seinem Wesen nach, in wenige abstrakte Begriffe zusammengefasst, dem Wissen zu überliefern. Die Philosophie wird demnach eine Summe sehr allgemeiner Urteile sein, deren Erkenntnisgrund unmittelbar die Welt selbst in ihrer Gesamtheit ist, ohne irgend etwas auszuschließen; sie wird sein eine vollständige Wiederholung, gleichsam Abspiegelung der Welt in abstrakten Begriffen, welche allein möglich ist durch Vereinigung des wesentlich Identischen in einen Begriff und Aussonderung des Verschiedenen zu einem andern. (W. I, 98 fg. 453. 320.)
Jeder ist noch himmelweit von einer philosophischen Erkenntnis der
Welt entfernt, der vermeint, das Wesen derselben irgendwie historisch
fassen zu können; welches aber der Fall ist, sobald in seiner Ansicht
des Wesens an sich der Welt irgend ein Werden, oder Gewordensein,
oder Werdenwerden sich vorfindet. Solches historisches Philosophieren
liefert in den meisten Fällen eine Kosmogonie. Es laboriert an dem
Fehler, die Zeit für eine Bestimmung der Dinge an sich zu nehmen
und daher bei der Erscheinung stehen zu bleiben. Die echte philosophische
Betrachtungsweise der Welt, d. h. diejenige, welche uns ihr
inneres Wesen erkennen lehrt und so über die Erscheinung hinausführt,
ist gerade die, welche nicht nach dem Woher und Wohin und Warum,
sondern immer und überall nur nach dem Was der Welt fragt, d. h.
welche die Dinge nicht nach irgend einer Relation, nicht nach einer
der Gestalten des Satzes vom Grunde betrachtet; sondern umgekehrt
gerade Das, was nach Aussonderung dieser ganzen Betrachtungsart
noch übrig bleibt, das in allen Relationen erscheinende, selbst aber ihnen
nicht unterworfene, immer sich gleiche Wesen der Welt, die Ideen
derselben, zum Gegenstand hat. (W. I, 322 fg.)
Die Philosophie soll immanent sein und nicht sich versteigen zu
überweltlichen Dingen, sondern sich darauf beschränken, die gegebene
Welt von Grund aus zu verstehen; diese gibt Stoff genug. (W. II, 94.)
Philosophie ist eigentlich das Bestreben, durch die Vorstellung hindurch
Das zu erkennen, was nicht Vorstellung ist und doch auch in
uns selbst zu finden sein muss, sonst wir bloße Vorstellungen wären.
(H. 338.)
Die Philosophie ist so lange vergeblich versucht worden, weil man
sie auf dem Wege der Wissenschaft, statt auf dem der Kunst suchte.
Man suchte das Warum, statt das Was zu betrachten; man strebte
nach der Ferne, statt das überall Nahe zu ergreifen; man ging nach
Außen in allen Richtungen, statt in sich zu gehen, wo jedes Rätsel
zu lösen ist. (M. 718—720. H. 299. 302 fg.) Die wahre Weisheit
ist nicht dadurch zu erlangen, dass man die Grenzenlose Welt
ausmisst, oder, was noch zweckmäßiger wäre, den endlosen Raum
persönlich durchflöge; sondern vielmehr dadurch, dass man irgend
ein Einzelnes ganz erforscht, indem man das wahre und eigentliche
Wesen desselben vollkommen erkennen und verstehen zu lernen sucht.
(W. I, 153.)
3) Unterschied der Philosophie von den Wissenschaften.
Die Philosophie oder Metaphysik, als Lehre vom Bewusstsein und dessen Inhalt überhaupt, oder vom Ganzen der Erfahrung als solcher, tritt nicht ein in die Wissenschaften; weil sie nicht ohne Weiteres der Betrachtung, die der Satz vom Grunde heischt, nachgeht, sondern zuvörderst diesen selbst zum Gegenstande hat. Sie ist als der Grundbass aller Wissenschaften anzusehen, ist aber höherer Art, als diese, und der Kunst fast so sehr, als der Wissenschaft, verwandt. (W. II, 140.)
Die Philosophie hat zwar zu ihrem Gegenstande die Erfahrung,
aber nicht, gleich den übrigen Wissenschaften, diese oder jene bestimmte
Erfahrung; sondern die Erfahrung selbst, überhaupt und als solche,
ihrer Möglichkeit, ihrem Gebiete, ihrem wesentlichen Inhalte, ihren
inneren und äußeren Elementen, ihrer Form und Materie nach. (P. II, 18.)
Da, wo die Naturwissenschaft, ja jede Wissenschaft, die Dinge stehen
lässt, indem nicht nur ihre Erklärung derselben, sondern sogar das
Prinzip dieser Erklärung, der Satz vom Grunde, nicht über diesen
Punkt hinausführt, da nimmt eigentlich die Philosophie die Dinge auf
und betrachtet sie nach ihrer, von jener ganz verschiedenen Weise. —
Die Philosophie hat das Eigene, dass sie gar nichts als bekannt voraussetzt,
sondern Alles ihr in gleichem Maße fremd und ein Problem
ist, nicht nur die Verhältnisse der Erscheinungen, sondern auch diese
selbst, ja, der Satz vom Grunde selbst, auf welchen Alles zurückzuführen
die anderen Wissenschaften zufrieden sind, durch welche Zurückführung
bei ihr aber nichts gewonnen wäre, da ein Glied der Reihe
ihr so fremd ist, wie das andere, ferner auch jene Art des Zusammenhanges
selbst ihr eben so gut Problem ist, als das durch ihn Verknüpfte,
und dieses wieder nach aufgezeigter Verknüpfung so gut, als
vor derselben. Denn eben Jenes, was die Wissenschaften voraussetzen,
und ihren Erklärungen zum Grunde legen und zur Grenze setzen, ist
gerade des eigentliche Problem der Philosophie, die folglich insofern
da anfängt, wo die Wissenschaften aufhören. (W. I, 96 fg. Vergl.
auch unter Metaphysik: Verhältnis der Metaphysik zur Physik.)
Der Philosoph bleibt nicht bei der Maschinerie der Welt stehen,
wie der Astronom, sondern sucht den Sinn derselben zu enträtseln.
(P. II, 685; I, 136.)
4) Gegensatz zwischen Philosophie und Theologie.
Das Reden von einer christlichen Philosophie kommt ungefähr so heraus, wie wenn man von einer christlichen Arithmetik reden wollte, die fünf gerade sein ließe. Dergleichen von Glaubenslehren entnommene Epitheta sind zudem der Philosophie offenbar unanständig, da sie sich für den Versuch der Vernunft gibt, aus eigenen Mitteln und unabhängig von aller Auktorität das Problem des Daseins zu lösen. Als Wissenschaft hat sie durchaus nicht damit zu tun, was geglaubt werden darf, oder soll, oder muss; sondern bloß damit, was sich wissen lässt. Sollte dieses nun auch als etwas ganz Anderes sich ergeben, als was man zu glauben hat; so würde selbst dadurch der Glaube nicht beeinträchtigt sein; denn dafür ist er Glaube, dass er enthält, was man nicht wissen kann. (P. I, 155.)
Die Philosophie ist wesentlich Weltweisheit; ihr Problem ist die
Welt, mit dieser allein hat sie es zu tun und lässt die Götter in
Ruhe, erwartet aber dafür, auch von ihnen in Ruhe gelassen zu werden.
(W. II, 209.) Die Philosophie muss Kosmologie bleiben und
kann nicht Theologie werden. (W. II, 700.)
Die, welche die Philosophie als spekulative Theologie betrachten und
behandeln, wissen nichts davon, dass man frei und unbefangen an das
Problem des Daseins gehen und die Welt nebst dem Bewusstsein, darin
sie sich darstellt, als das allein Gegebene, das Problem, das Rätsel
der alten Sphinx, vor die man hier kühn getreten ist, betrachten soll.
Sie ignorieren klüglich, dass Theologie, wenn sie Eingang in die Philosophie
verlangt, gleich allen anderen Lehren, erst ihr Kreditiv vorzuweisen
hat. Die Philosophie ist keine Kirche und keine Religion.
Sie ist das kleine Fleckchen auf der Welt, wo die stets und
überall gehasste und verfolgte Wahrheit ein Mal alles Druckes und
Zwangs ledig sein, ja sogar die Prärogative und das große Wort
haben, absolut allein herrschen und kein Anderes neben sich gelten lassen
soll. (P. I, 205 fg.)
Die Philosophie macht den Anspruch und hat daher die Verpflichtung,
in Allem, was sie sagt, sensu stricto et proprio wahr zu
sein; denn sie wendet sich an das Denken und die Überzeugung. Die
Religion hingegen, für die Unzähligen bestimmt, welche, der Prüfung
und des Denkens unfähig, die tiefsten und schwierigsten Wahrheiten
sensu proprio nimmermehr fassen würden, hat auch nur die Verpflichtung,
sensu allegorico wahr zu sein. Nackt kann die Wahrheit vor
dem Volke nicht erscheinen. (W. II, 183. 721. H. 296. Vergl. auch
unter Metaphysik: Unterschied zweier Arten von Metaphysik.)
5) Verhältnis der Philosophie zur Kunst.
(S. unter Kunst: Verwandtschaft der Kunst mit der Philosophie und Unterschied beider.)6) Verhältnis der Philosophie zur Geschichte.
(S. Geschichte.)7) Methode der Philosophie.
Der gegebene Stoff jeder Philosophie ist kein anderer, als das empirische Bewusstsein, welches in das Bewusstsein des eigenen Selbst (Selbstbewusstsein) und in das Bewusstsein anderer Dinge (äußere Anschauung) zerfällt. Denn dies allein ist das Unmittelbare, das wirklich Gegebene. Jede Philosophie, die statt hiervon auszugehen, beliebig gewählte abstrakte Begriffe, wie z. B. Absolutum, absolute Substanz, Gott, Unendliches, Endliches, absolute Identität, Sein, Wesen u. s. w. zum Ausgangspunkte nimmt, schwebt ohne Anhalt in der Luft, kann daher nie zu einem wirklichen Ergebnis führen. Eine Philosophie aus bloßen Begriffen würde eigentlich unternehmen, aus bloßen Teilvorstellungen (denn das sind die Abstraktionen) herauszubringen, was in den vollständigen Vorstellungen (den Anschauungen), daraus jene durch Weglassen abgezogen sind, nicht zu finden ist. Die Möglichkeit der Schlüsse verleitet hierzu, weil hier die Zusammenfügung der Urteile ein neues Resultat gibt; wiewohl mehr scheinbar, als wirklich, indem der Schluss nur heraushebt, was in den gegebenen Urteilen schon lag; da ja die Konklusion nicht mehr enthalten kann, als die Prämissen. Begriffe sind freilich das Material der Philosophie, aber nur so, wie der Marmor das Material des Bildhauers ist; sie soll nicht aus ihnen, sondern in sie arbeiten, d. h. ihre Resultate in ihnen niederlegen, nicht aber von ihnen, als dem Gegebenen, ausgehen. (W. II, 89 fg.)
Allgemeine Begriffe sollen zwar der Stoff sein, in welchen die
Philosophie ihre Erkenntnis absetzt und niederlegt, jedoch nicht die
Quelle, aus der sie solche schöpft, also der terminus ad quem, nicht
a quo. Sie ist nicht, wie Kant sie definiert, eine Wissenschaft aus
Begriffen, sondern in Begriffen, aus der anschaulichen Erkenntnis, der
alleinigen Quelle aller Evidenz, geschöpft. (W. II, 48; I, 537.)
Ist doch das ganze Eigentum der Begriffe nichts Anderes, als was
darin niedergelegt worden, nachdem man es der anschaulichen Erkenntnis
abgeborgt und abgebettelt hatte, dieser wirklichen und unerschöpflichen
Quelle aller Einsicht. Daher lässt eine wahre Philosophie sich
nicht herausspinnen aus bloßen abstrakten Begriffen, sondern muss gegründet
sein auf Beobachtung und Erfahrung, sowohl innere als
äußere. Auch nicht durch Kombinationsversuche mit Begriffen in der
Weise Fichtes, Schellings, Hegels wird je etwas Rechtes in der Philosophie
geleistet werden. (P. II, 9.) Wenn alle Lehren einer Philosophie
bloß eine aus der anderen und zuletzt wohl gar aus einem ersten
Satze abgeleitet sind; so muss sie arm und mager, mithin auch langweilig
ausfallen; da aus keinem Satze mehr folgen kann, als was er
eigentlich schon selbst besagt; zudem hängt dann Alles von der Richtigkeit
eines Satzes ab, und durch einen einzigen Fehler in der Ableitung
wäre die Wahrheit des Ganzen gefährdet. (W. II, 207. P.
I, 142 fg. — Vergl. auch unter Abstrakt: Gegen das Ausgehen
von abstrakten Begriffen in der Philosophie; ferner unter Metaphysik:
Erkenntnisquellen der Metaphysik; und unter Methode: Allgemeine
Regel zur Methode alles Philosophierens.)
Der philosophische Schriftsteller ist der Führer und sein Leser der
Wanderer. Sollen sie zusammen ankommen, so müssen sie vor allen
Dingen zusammen ausgehen. Daher ist nur das uns Allen gemeinsame
empirische Bewusstsein der richtige Ausgangspunkt. Verkehrt hingegen
ist es, den Ausgang nehmen zu wollen vom Standpunkte einer
angeblich Intellektuellen Anschauung hyperphysischer Verhältnisse, oder
auch einer das Übersinnliche vernehmenden Vernunft, u. s. w.; denn
das Alles heißt vom Standpunkte nicht unmittelbar mitteilbarer Erkenntnisse
ausgehen. (P. II, 6 fg.)
Im Großen und Ganzen betrachtet, stehen sich in der Philosophie
als zwei grundverschiedene Weisen Rationalismus und Illuminismus,
d. h. der Gebrauch der objektiven und der subjektiven Erkenntnisquelle
gegenüber. Der Illuminismus, wesentlich nach innen
gerichtet, hat innere Erleuchtung, intellektuelle Anschauung, u. s. w.
zum Organon und schätzt den Rationalismus als das
Licht der Naturgering. Sein Grundgebrechen ist, dass seine Erkenntnis eine nicht mitteilbare ist. Als nicht mitteilbar ist eine dergleichen Erkenntnis auch unerweislich. Allein die Philosophie soll mitteilbare Erkenntnis, muss daher Rationalismus sein und darf daher nicht unternehmen, die letzten Aufschlüsse über das Dasein der Welt zu geben, sondern nur so weit gehen, als es auf dem objektiven, rationalistischen Wege möglich ist. Das laute Berufen auf Intellektuelle Anschauung und die dreiste Erzählung ihres Inhalts, mit dem Anspruch auf objektive Gültigkeit derselben, wie bei Fichte und Schelling, ist unverschämt und verwerflich. Die Systeme, welche von einer Intellektuellen Anschauung, d. i. einer Art Ekstase oder Hellsehen, ausgehen, geben keine Gewährleistung; jede so gewonnene Erkenntnis muss als subjektiv, individuell und folglich problematisch, abgewiesen werden. (P. II, 9—11. W. II, 207.)
An sich selbst ist zwar der Illuminismus ein natürlicher und insofern
zu rechtfertigender Versuch zur Ergründung der Wahrheit. Denn
der nach Außen gerichtete Intellekt, als bloßes Organ für die Zwecke
des Willens und folglich als bloß Sekundäres, ist doch nur ein
Teil unseres gesamten menschlichen Wesens. Was kann also natürlicher
sein, als, wenn es mit dem objektiv erkennenden Intellekt misslungen
ist, nunmehr unser ganzes übriges Wesen, welches doch auch
Ding an sich sein muss, mit ins Spiel zu bringen, um durch selbiges
Hilfe zu suchen. Aber die allein richtige und objektiv gültige Art,
solches auszuführen, ist, dass man die empirische Tatsache eines in
unserm Inneren sich kundgebenden, ja dessen alleiniges Wesen ausmachenden
Willens auffasse und sie zur Erklärung der objektiven, äußern
Erkenntnis anwende. Hingegen führt der Weg des Illuminismus aus
den dargelegten Gründen nicht zum Zwecke. (P. II, 11 fg. Vergl.
auch unter Mystik: Gegensatz zwischen Mystik und Philosophie.)
Jedes angebliche voraussetzungslose Verfahren in der Philosophie
ist Windbeutelei; denn immer muss man irgend etwas als gegeben
ansehen, um davon auszugehen. Ein solcher Ausgangspunkt des
Philosophierens, ein solches einstweilen als gegeben Genommenes, muss
aber nachmals wieder kompensiert und gerechtfertigt werden. Dasselbe
wird nämlich entweder ein Subjektives sein, also etwa das Selbstbewusstsein,
die Vorstellung; oder aber ein Objektives, etwa die
reale Welt, die Natur, die Materie u. s. w. Um nun also die hierin
begangene Willkürlichkeit wieder auszugleichen und die Voraussetzung
zu rektifizieren, muss man nachher den Standpunkt wechseln und auf
den entgegengesetzten treten, von welchem aus man nun das Anfangs
als gegeben Genommene in einem ergänzenden Philosophem wieder ableitet.
(P. II, 35.) Jede unvollständige und einseitige Auffassung der
Welt hat nur relative Wahrheit und bedarf einer Ergänzung; denn
nur der höchste, Alles übersehende und in Rechnung bringende Standpunkt
kann absolute Wahrheit liefern. (P. II, 13 fg.)
8) Einteilung der Philosophie.
Die Einteilung der Philosophie in theoretische und praktische ist zu verwerfen. Alle Philosophie ist immer theoretisch, indem es ihr wesentlich ist, sich, was auch immer der nächste Gegenstand der Untersuchung sei, stets rein betrachtend zu verhalten und zu forschen, nicht vorzuschreiben. Hingegen praktisch zu werden, das Handeln zu leiten, den Charakter umzuschaffen, sind alte Ansprüche, die sie, bei gereifter Einsicht endlich aufgeben sollte. (W. I, 319 fg.)
Da die Philosophie die Erfahrung, nicht diese oder jene bestimmte,
sondern die Erfahrung überhaupt, zu ihrem Gegenstande
hat, so hat sie zuerst das Medium zu betrachten, in welchem die Erfahrung
überhaupt sich darstellt, die Vorstellung. Deshalb hat jede
Philosophie mit der Untersuchung des Erkenntnisvermögens anzufangen.
Diese zerfällt in die Betrachtung der primären, d. i. anschaulichen
Vorstellungen (Dianoiologie oder Verstandeslehre), und
in die Betrachtung der sekundären, d. i. abstrakten Vorstellungen
(Logik oder Vernunftlehre).
Die auf diese Untersuchungen folgende Philosophie im engeren Sinne
ist sodann Metaphysik. (P. II, 18—20. Über die Metaphysik
und ihre Einteilung s. Metaphysik.)
9) Geschichte der Philosophie.
a) Quelle für das Studium der Geschichte der Philosophie.
Statt der selbsteigenen Werke der Philosophen allerlei Darlegungen ihrer Lehren, oder überhaupt Geschichte der Philosophie zu lesen, ist wie wenn man sich sein Essen von einem Anderen kauen lassen wollte. Würde man wohl Weltgeschichte lesen, wenn es Jedem freistünde, die ihn interessierenden Begebenheiten der Vorzeit mit eigenen Augen zu schauen? Hinsichtlich der Geschichte der Philosophie nun aber ist eine solche Autopsie ihres Gegenstandes wirklich zugänglich in den selbsteigenen Schriften der Philosophen. Aus diesen also ist das Wesentliche ihrer Lehren authentisch und unverfälscht kennen zu lernen. — Sehr zweckmäßig würde eine mit Sorgfalt und Sachkenntnis verfertigte große und allgemeine Chrestomathie aus den Werken sämtlicher Hauptphilosophen, in chronologisch-pragmatischer Ordnung zusammengestellt, sein. (P. I, 35 fg.)b) Übersicht über den Zusammenhang und Entwicklungsgang in der Geschichte der Philosophie.
Es ist ein Zusammenhang in der Geschichte der Philosophie und auch ein Fortschritt, so gut als in der Geschichte anderer Wissenschaften. Wenn in der Philosophie, wie die Feinde derselben behaupten, noch nie etwas geleistet worden, noch kein Fortschritt gemacht worden und eine Philosophie so viel wert wäre, als die andere; so wären nicht nur Plato, Aristoteles und Kant Narren, sondern diese unnützen Träumereien hätten auch nie die übrigen Wissenschaften weiterfördern können. Davon ist aber das Gegenteil aus dem tatsächlichen Einfluss der Philosophie auf alle Wissenschaften zu ersehen. Auch nimmt man, wenn man die Geschichte der Philosophie im Ganzen überblickt, sehr deutlich einen Zusammenhang und einen Fortschritt wahr, dem ähnlich, den unser eigener Gedankengang hat, wenn wir bei einer Untersuchung eine Vermutung nach der anderen verwerfen, eben dadurch der Gegenstand immer mehr aufgehellt wird, und wir zuletzt erkennen, entweder wie sich die Sache verhält, oder doch wie weit sich etwas davon wissen lässt. Nehmen wir nun eine gewisse notwendige Entwickelung und Fortschreitung in der Geschichte der Philosophie an, so müssen wir auch die Irrtümer und Fehler als im gewissen Sinne notwendige erkennen, müssen sie ansehen, wie im Leben des einzelnen vorzüglichen Menschen die Verirrungen seiner Jugend, die nicht verhindert werden durften, damit er eben vom Leben selbst diejenige Art der Belehrung und Selbstkenntnis erhielte, die eben nur durch Erfahrung erlangt wird. Demnach konnte die Geschichte der Philosophie nicht mit Kant, statt mit Thales, anfangen. Ist aber eine solche mehr oder minder genau bestimmte Notwendigkeit in der Geschichte der Philosophie, so wird man, um Kant vollständig zu verstehen, auch seine Vorgänger kennen müssen, zuerst die nächsten, den Chr. Wolf, den Hume, den Locke, dann aufwärts bis auf Thales (M. 741—745.)
Im Geiste des Einzelnen ist die Anlage und der Hang, denselben
Gang zu gehen, den die Erkenntnis des ganzen Menschengeschlechts
gegangen ist. Dieser Gang fängt an mit dem Nachdenken über die
Außenwelt, aber er endigt mit dem Nachdenken über sich selbst. Man
fängt damit an, über das Objekt, über die Dinge der Welt bestimmte
Aussprüche zu tun, wie sie an sich sind und sein müssen; dies Verfahren
heißt Dogmatismus. Dann erheben sich Zweifler, Leugner,
dass man irgend etwas davon wissen könne, d. i. der Skeptizismus.
Spät erschien, nämlich mit Kant, der Kritizismus, der als Richter
Beide hört, ihre Ansprüche abwägt, durch eine Untersuchung nicht der
Dinge, sondern des Erkenntnisvermögens überhaupt. In der
okzidentalischen Philosophie, welche wir von der orientalischen in Hindustan,
die gleich Anfangs einen viel kühneren Flug nahm, gänzlich
unterscheiden müssen, finden wir diesen natürlichen Gang vom Dogmatismus
durch den Skeptizismus hindurch zum Kritizismus. (M.
751 fg. P. II, 9. H. 297.)
c) Hindernis des Fortschritts der Philosophie.
(S. unter Metaphysik: Ursache der geringen Fortschritte der Metaphysik.)10) Gegensatz zwischen vulgärer und höherer Philosophie.
Wegen der großen Intellektuellen Verschiedenheit der Menschen passt nicht Eine Philosophie für Alle, sondern eine jede zieht, nach Gesetzen der Wahlverwandtschaft, dasjenige Publikum an sich, dessen Bildung und Geisteskräften sie angemessen ist. Daher gibt es allezeit eine niedrige Schulmetaphysik, für den gelehrten Plebs, und eine höhere, für die Elite. Musste doch z. B. auch Kants hohe Lehre erst für die Schulen herabgezogen, und verdorben werden durch Fries, Krug, Salat und ähnliche Leute. (P. II, 363 fg. H. 303 fg.)
Dass dieselbe Philosophie für Narren und Weise taugen solle, ist
eine unbillige Forderung, angesehen, dass die Intellektuelle Verschiedenheit
der Menschen so groß ist, wie die moralische, und das will viel
sagen. (H. 304 fg.)