Pflanze.
1) Hauptcharakter der Pflanze.
Der Hauptcharakter der Pflanze ist die Reproduktionskraft. (N. 31.) Die Pflanze hat weder Irritabilität, noch Sensibilität, sondern in ihr objektiviert sich der Wille allein als Plastizität oder Reproduktionskraft. Daher hat sie weder Muskel, noch Nerv. (W. II, 329.) Die Pflanze ist durch und durch nur die Wiederholung des selben Triebes, ihrer einfachsten Faser, die sich zu Blatt und Zweig gruppiert; sie ist ein systematisches Aggregat gleichartiger, einander tragender Pflanzen, deren beständige Wiedererzeugung ihr einziger Trieb ist. Zur vollständigen Befriedigung desselben steigert sie sich, mittelst der Stufenleiter der Metamorphose, endlich bis zur Blüte und Frucht, jenem Kompendium ihres Daseins und Strebens, in welchem sie nun auf einem kürzeren Wege Das erlangt, was ihr einziges Ziel ist, und nunmehr mit Einem Schlage tausendfach vollbringt, was sie bis dahin im Einzelnen wirkte: Wiederholung ihrer selbst. (W. I, 326.)2) Das Wesen an sich der Pflanze.
Die Anerkennung einer Begierde, d. h. eines Willens, als Basis des Pflanzenlebens, finden wir zu allen Zeiten, mit mehr oder weniger Deutlichkeit des Begriffs, ausgesprochen. (W. II, 335.) Was für die Vorstellung als Pflanze, als bloße Vegetation, blind treibende Kraft erscheint, ist seinem Wesen an sich nach Wille. (W. I, 140.)
Die Wahrheit, dass Wille auch ohne Erkenntnis bestehen könne, ist
am Pflanzenleben augenscheinlich, man möchte sagen handgreiflich erkennbar.
Denn hier sehen wir ein entschiedenes Streben, durch Bedürfnisse
bestimmt, mannigfaltig modifiziert und der Verschiedenheit der
Umstände sich anpassend, — dennoch offenbar ohne Erkenntnis. —
Und eben weil die Pflanze erkenntnislos ist, trägt sie ihre Geschlechtsteile
prunkend zur Schau, in gänzlicher Unschuld; sie weiß nichts
davon. (W. II, 333—335.)
Die empirischen Bestätigungen davon, dass Wille in den Pflanzen
erscheint, rühren hauptsächlich von Franzosen her. (N. 59—66.)
Von der Erkenntnis oder Vorstellung, haben die Pflanzen bloß ein
Analogon, ein Surrogat; aber den Willen haben sie wirklich und ganz
unmittelbar selbst; denn er, als Ding an sich, ist das Substrat ihrer
Erscheinung, wie jeder. (N. 67.) Die Pflanze bedarf, da sie so sehr
viel weniger Bedürfnisse hat, als das Tier, keiner Erkenntnis. Auf
der niedrigen Stufe des Pflanzenlebens, wie auch des vegetativen Lebens
im tierischen Organismus vertritt, als Bestimmungsmittel der einzelnen
Äußerungen des Willens und als das Vermittelnde zwischen
der Außenwelt und den Veränderungen eines solchen Wesens, Reiz die
Stelle der Erkenntnis und stellt sich als ein Surrogat der Erkenntnis,
mithin als ein ihr bloß Analoges dar. Wir können nicht sagen, dass
die Pflanzen Licht und Sonne eigentlich wahrnehmen; allein wir sehen,
dass sie die Gegenwart oder Abwesenheit derselben verschiedentlich spüren,
dass sie sich nach ihnen neigen und wenden. Weil also die Pflanze
doch überhaupt Bedürfnisse hat, wenngleich nicht solche, die den Aufwand
eines Sensoriums und Intellekts erfordern, so muss etwas Analoges
an die Stelle treten, um den Willen in den Stand zu setzen,
wenigstens die sich ihm darbietende Befriedigung zu ergreifen, wenn
auch nicht sie aufzusuchen. Dieses nun ist die Empfänglichkeit für
Reiz. (N. 69 fg.)
3) Grundunterschied zwischen Pflanze und Tier.
Wenn es nicht objektiv einen ganz bestimmten Unterschied zwischen Pflanze und Tier gäbe; so würde die Frage, worin er eigentlich bestehe, keinen Sinn haben; denn sie verlangt nur diesen, mit Sicherheit, aber undeutlich von jedem verstandenen Unterschied auf deutliche Begriffe zurückgeführt zu sehen. (P. II, 188.)
Dieser Unterschied besteht nun in Folgendem. Während das Tier
als solches sich auf Motive bewegt, folglich Erkenntnis als das
Medium der Motive besitzt, das Charakteristikum des Tieres also
das Erkennen, das Vorstellen ist, so bewegt die Pflanze dagegen, so
wie auch das Pflanzliche im Tiere, sich auf bloße Reize, die Empfänglichkeit
für welche ein bloßes Analogon der Erkenntnis ist. (G.
47. N. 69. Über den Unterschied zwischen Motiv und Reiz s.
Ursache.) Alle Veränderungen und Entwicklungen der Pflanzen, und
alle bloß organische und vegetative Veränderungen oder Funktionen
tierischer Leiber gehen auf Reize vor sich. In dieser Art wirkt auf
sie das Licht, die Wärme, die Luft, die Nahrung, jedes Pharmakon,
jede Berührung, jede Befruchtung u. s. w. — Während dabei das
Leben der Tiere noch eine ganz andere Sphäre hat — die der Erkenntnis —
so geht hingegen das ganze Leben der Pflanzen ausschließlich
nach Reizen vor sich. Alle ihre Assimilation, Wachstum,
Hinstreben mit der Krone nach dem Licht, mit den Wurzeln nach
besserem Boden, ihre Befruchtung, Keimung u. s. w. ist Veränderung
auf Reize. Das Bestimmtwerden ausschließlich und ohne Ausnahme
durch Reize ist der Charakter der Pflanze. Mithin ist Pflanze
jeder Körper, dessen eigentümliche, seiner Natur angemessene Bewegungen
und Veränderungen alle Mal und ausschließlich auf Reize
erfolgen. Das Tier hingegen ist zu definieren
was erkennt. Keine andere Definition trifft das Wesentliche. (E. 31. G. 47. W. I, 24. 138 fg. F. 18.)
Das subjektive Dasein der Pflanze müssen wir uns denken als ein
schwaches Analogon, einen bloßen Schatten von Behagen und Unbehagen;
und selbst in diesem äußerst schwachen Grade weiß die Pflanze
allein von sich, nicht von irgend etwas außer ihr. Hingegen schon
das ihr am nächsten stehende, unterste Tier ist durch gesteigerte und
genauer spezifizierte Bedürfnisse veranlasst, die Sphäre seines Daseins
über die Grenze seines Leibes hinaus zu erweitern. Dies geschieht
durch die Erkenntnis. (W. II, 315. P. I, 276; II, 71.)
Nicht nur das Unorganische, sondern auch die Pflanze ist keines
Schmerzes fähig; so viele Hemmungen auch der Wille in Beiden erleiden
mag. Hingegen jedes Tier, selbst ein Infusorium, leidet
Schmerz, weil der Schmerz durch Erkenntnis bedingt ist und Erkenntnis,
sei sie noch so unvollkommen, der wahre Charakter der Tierheit
ist. (P. II, 319 fg.)
4) Die Form und Physiognomie der Pflanzen.
Jede Pflanze spricht mit Naivität ihren ganzen Charakter durch die bloße Gestalt aus und legt ihn offen dar, ihr ganzes Sein und Wollen offenbarend; wodurch die Physiognomien der Pflanzen so interessant sind. Die Pflanze ist um so viel naiver, als das Tier, wie das Tier naiver ist, als der Mensch. Im Tiere sehen wir den Willen zum Leben gleichsam nackter, als im Menschen, wo er durch die Fähigkeit der Verstellung verhüllt ist. Ganz nackt, aber auch viel schwächer, zeigt er sich in der Pflanze, als bloßer, blinder Drang zum Dasein, ohne Zweck und Ziel. Denn diese offenbart ihr ganzes Wesen dem ersten Blick und mit vollkommener Unschuld, die nicht darunter leidet, dass sie die Genitalien, welche bei allen Tieren den verstecktesten Platz erhalten haben, auf ihrem Gipfel zur Schau trägt. Diese Unschuld der Pflanze beruht auf ihrer Erkenntnislosigkeit. Jede Pflanze erzählt nun zunächst von ihrer Heimat, dem Klima derselben und der Natur des Bodens, dem sie entsprossen ist. Außerdem aber spricht jede Pflanze noch den speziellen Willen ihrer Gattung aus und sagt etwas, das sich in keiner anderen Sprache ausdrücken lasst. (W. I, 186.)
Die Verschiedenheit der Tiergestalten ist abzuleiten aus der verschiedenen
Lebensweise jeder Spezies und der aus dieser entspringenden
Verschiedenheit der Zwecke. (Vergl. unter Organisch: Verhältnis der
Organisation zur Lebensweise.) Von den Verschiedenheiten der Pflanzenformen
hingegen können mir im Einzelnen die Gründe lange nicht so
bestimmt angeben; sondern nur im Allgemeinen andeuten. Einiges an
den Pflanzen lässt sich teleologisch erklären, wie z. B. die abwärts gekehrten
niederhängenden Blüten der Fuchsia daraus, dass ihr Pistill sehr
viel länger ist, als die Stamina; daher diese Lage das Herabfallen
und Auffangen des Pollens begünstigt, u. dgl. m. Im Ganzen jedoch
lässt sich sagen, dass sich in der Erscheinung nichts darstellen kann,
was nicht in dem derselben zum Grunde liegenden Willen ein genau
dem entsprechend modifiziertes Streben hätte. Die endlose Mannigfaltigkeit
der Formen und sogar der Färbungen der Pflanzen muss doch
überall der Ausdruck eines eben so modifizierten subjektiven Wesens
sein; d. h. der Wille als Ding an sich, der sich darin darstellt, muss
durch sie genau abgebildet sein. (P. II, 188 fg.)
5) Die Metamorphose der Pflanzen.
Die sogenannte Metamorphose der Pflanzen, ein von Kaspar Wolf leicht hingeworfener Gedanke, den, unter dieser hyperbolischen Benennung, Göthe als eigenes Erzeugnis pomphaft und in schwierigem Vortrage darstellt, gehört zu den Erklärungen des Organischen aus der wirkenden Ursache; wiewohl er im Grunde bloß besagt, dass die Natur nicht bei jedem Erzeugnisse von vorne anfängt und aus nichts schafft, sondern, gleichsam im selben Stile fortschreitend, an das Vorhandene anknüpft, die früheren Gestaltungen benutzt, entwickelt und höher potenziert, ihr Werk weiter zu führen. Ja, die Blüte dadurch erklären, dass man in allen ihren Teilen die Form des Blattes nachweist, ist fast, wie die Struktur eines Hauses dadurch erklären, dass man zeigt, alle seine Teile, Stockwerk, Erker und Dachkammern seien nur aus Backsteinen zusammengesetzt und bloße Wiederholung der Ureinheit des Backsteins. Dagegen gibt die von einem Italiener herrührende Erklärung des Wesens der Blume aus ihrer Endursache einen viel befriedigenderen Aufschluss. Nach derselben ist der Zweck der Corolla: l) Schutz des Pistills und der Stamina; 2) werden mittelst ihrer die verfeinerten Säfte bereitet, welche im pollen und germen konzentriert sind; 3) sondert sich aus den Drüsen ihres Bodens das ätherische Öl ab, welches, als meistens wohlriechender Dunst, Antheren und Pistill umgebend, sie vor dem Einfluss der feuchten Luft einigermaßen schützt. (W. II, 380 fg.)6) Die ästhetische Beschaffenheit und Wirkung der Pflanzenwelt.
Es ist so auffallend, wie in der schönen Natur besonders die Pflanzenwelt zur ästhetischen Betrachtung auffordert und sich gleichsam derselben aufdrängt, dass man sagen möchte, dieses Entgegenkommen stände damit in Verbindung, dass diese organischen Wesen nicht selbst, wie die tierischen Leiber, unmittelbares Objekt der Erkenntnis sind (vergl. Leib), daher sie des fremden verständigen Individuums bedürfen, um aus der Welt des blinden Wollens in die der Vorstellung einzutreten, weshalb sie gleichsam nach diesem Eintritt sich sehnten, um wenigstens mittelbar zu erlangen, was ihnen unmittelbar versagt ist. (W. I, 237. Vergl. auch unter Natur: Die ästhetische Wirkung der Natur.)
Da Schönheit die entsprechende Darstellung des Willens durch seine
bloß räumliche Erscheinung, Grazie hingegen durch seine zeitliche
Erscheinung ist (vergl. Grazie); so ergibt sich, dass Pflanzen zwar
Schönheit, aber keine Grazie beigelegt werden kann, es sei denn
im figürlichen Sinn; Tieren und Menschen aber Beides, Schönheit
und Grazie. (W. I, 264.)