Grazie.
1) Unterschied zwischen Grazie und Schönheit.
Schönheit ist die entsprechende Darstellung (adäquate Objektivation)
des Willens überhaupt durch seine bloß räumliche Erscheinung;
Grazie hingegen ist die entsprechende Darstellung des Willens durch
seine zeitliche Erscheinung, d. h. der vollkommen richtige und angemessene
Ausdruck jedes Willensaktes durch die ihn objektivierende
Bewegung und Stellung. Da Bewegung und Stellung den Leib
schon voraussetzen, so sagt
Winckelmann richtig:
Die Grazie ist das
eigentümliche Verhältnis der handelnden Person zur Handlung. Die
Grazie besteht darin, dass jede Bewegung und Stellung auf die leichteste,
angemessenste und bequemste Art ausgeführt werde und sonach
der rein entsprechende Ausdruck ihrer Absicht, oder des Willensaktes
sei, ohne Überflüssiges, was als zweckwidriges, bedeutungsloses Handtieren
oder verdrehte Stellung, ohne Ermangelndes, was als hölzerne Steifheit
sich darstellt. (
W. I, 263 fg.)
2) Gegensatz der Pflanze gegen Tier und Mensch in
Beziehung auf Grazie.
Da die Pflanze eine bloß räumliche Erscheinung des Willens ist, da
keine Bewegung und folglich keine Beziehung auf die Zeit (abgesehen
von ihrer Entwicklung) zum Ausdruck ihres Wesens gehört, die Grazie
hingegen in der Bewegung sich zeigt, so folgt, dass Pflanzen zwar
Schönheit, aber keine Grazie beigelegt werden kann, es sei denn im
figürlichen Sinn, Tieren und Menschen aber Beides, Schönheit und
Grazie. (
W. I, 264.)
3) Was die Grazie als ihre Bedingung voraussetzt.
Die Grazie setzt ein richtiges Ebenmaß aller Glieder, einen regelrechten,
harmonischen Körperbau als ihre Bedingung voraus; da nur
mittelst dieser die vollkommene Leichtigkeit und augenscheinliche Zweckmäßigkeit
in allen Stellungen und Bewegungen möglich ist. Also ist
die Grazie nie ohne einen gewissen Grad der Schönheit des Körpers.
Beide vollkommen und im Verein sind die deutlichste Erscheinung des
Willens auf der obersten Stufe seiner Objektivation. (W. I, 264 fg.)