1) Das Gesetz, welches die Meinung befolgt.
Die Meinung befolgt das Gesetz der Pendelschwingung; ist sie auf
einer Seite über den Schwerpunkt hinausgewichen, so muss sie es danach
eben so weit auf der andern. Erst mit der Zeit findet sie den
rechten Ruhepunkt und steht fest. (
P. II, 640.)
2) Die Allgemeinheit einer Meinung ist kein Beweis ihrer Richtigkeit.
Die Allgemeinheit einer Meinung ist kein Beweis, ja nicht einmal
ein Wahrscheinlichkeitsgrund ihrer Richtigkeit. Die, welche das Gegenteil
behaupten, müssen annehmen: l) dass die Entfernung in der Zeit
jener Allgemeinheit ihre Beweiskraft raubt; sonst müssten sie alle alten
Irrtümer zurückrufen, die einmal allgemein für Wahrheit galten,
z. B. das Ptolemäische System, oder müssten in allen protestantischen
Ländern den Katholizismus herstellen; 2) dass die Entfernung im Raum
dasselbe leistet; sonst wird sie die Allgemeinheit der Meinung in den
Bekennern des Buddhismus, des Christentums und des Islam in
Verlegenheit setzen. (
H. 28 fg.)
3) Entstehungsart der sogenannten allgemeinen Meinung.
Was man so die allgemeine Meinung nennt, ist, beim Lichte
betrachtet, die Meinung zweier oder dreier Personen, wovon wir uns
überzeugen würden, wenn wir der Entstehungsart so einer allgemein
gültigen Meinung zusehen könnten. Wir würden dann finden, dass
zwei oder drei Leute es sind, die solche zuerst aufstellten, und denen
man so gütig war, die gründliche Prüfung derselben zuzutrauen. Auf
das Vorurteil der hinlänglichen Fähigkeit Dieser nahmen zuerst einige
Andere die Meinung ebenfalls an. Diesen wieder folgten aus Trägheit
Andere. So wuchs von Tag zu Tag die Zahl solcher trägen
und leichtgläubigen Anhänger, und die noch Übrigen waren, um nicht
für unruhige Köpfe zu gelten, genötigt, die angenommene Meinung
gelten zu lassen. Jetzt wurde die Beistimmung Pflicht. Nunmehr
mussten die wenigen Urteilsfähigen schweigen. (
H. 29.)
4) Wert der Meinung Anderer von uns für unser Lebensglück.
Der übertriebene Wert, den wir in Folge einer besonderen Schwäche
unserer Natur auf die Meinung Anderer von uns oder auf unser Dasein
in der fremden Meinung legen, wirkt auf unser eigenes Glück,
zunächst auf die diesem so wesentliche Gemütsruhe und Unabhängigkeit,
mehr störend und nachteilig, als förderlich ein. Viel wesentlicher
für das Lebensglück ist, was man in und für sich selbst ist, als
Das, was man bloß in den Augen Anderer ist. Zum Ersteren gehört
die ganze Ausfüllung der Zeit unseres eigenen Daseins, der
innere Gehalt desselben, mithin alle die Güter, welche die Eudämonologie
unter den Titeln
was Einer ist
und
was Einer hat
betrachtet.
(S.
Glückseligkeitslehre.) Denn der Ort, in welchem alles
Dieses seine Wirkungssphäre hat, ist das eigene Bewusstsein. Hingegen
ist der Ort dessen, was wir für Andere sind, das fremde
Bewusstsein. Dies nun ist nur von mittelbarem Wert, sofern das
Betragen der Anderen gegen uns dadurch bestimmt wird. Zunächst und
wirklich lebt doch Jeder in seiner eigenen Haut, nicht aber in der
Meinung Anderer; demnach ist unser realer und persönlicher Zustand,
wie er durch Gesundheit, Temperament, Fähigkeiten, Einkommen, Weib,
Kind, Freunde, Wohnort u. s. w. bestimmt wird, für unser Glück
hundert mal wichtiger, als was es Anderen beliebt aus uns zu machen.
Der entgegengesetzte Wahn macht unglücklich. Viel zu viel Wert auf
die Meinung Anderer zu legen ist ein allgemein herrschender Irrwahn,
dem entgegenzuwirken ist. (
P. I, 373—376. — Vergl. auch
Eitelkeit
und
Ehre.)
5) Wie man sich gegen die Meinungen der Menschen verhalten soll.
Man bestreite keines Menschen Meinung; sondern bedenke, dass wenn
man alle Absurditäten, die er glaubt, ihm ausreden wollte, man
Methusalems Alter erreichen könnte, ohne damit fertig zu werden.
(
P. I, 493.)