1) Der Instinkt als ein zweckmäßiges Wirken ohne
Erkenntnis des Zwecks.
Dass der Wille auch da wirkt, wo keine Erkenntnis ihn leitet,
sehen wir an dem Instinkt und den Kunsttrieben der Tiere. Dass sie
Vorstellungen und Erkenntnis haben, kommt hier gar nicht in Betracht,
da der Zweck, zu dem sie (in den Instinkthandlungen) gerade so hinwirken,
als wäre er ein erkanntes Motiv, von ihnen ganz unerkannt
bleibt. Der einjährige Vogel hat keine Vorstellung von den Eiern,
für die er ein Nest baut; die junge Spinne nicht von dem Raube,
zu dem sie ein Netz wirkt; noch der Ameisenlöwe von der Ameise, der
er zum ersten Male eine Grube gräbt, u. s. w. In solchem Thun
der Tiere ist doch offenbar wie in ihrem übrigen, der Wille tätig;
aber er ist in blinder Tätigkeit, die zwar von Erkenntnis begleitet,
aber nicht von ihr geleitet ist. (
W. I, 136. 180; II, 391.)
2) Verhältnis der Instinktleitung zur Leitung durch
Motivation.
Der Gegensatz zwischen dem Bewegtwerden des Willens entweder
durch Instinkt (von Innen), oder durch Motivation (von Außen),
ist kein so scharfer, wie es scheint, sondern läuft im Grunde auf einen
Unterschied des Grades zurück. Denn das Motiv wirkt ebenfalls nur
unter Voraussetzung eines inneren Triebes, d. h. einer bestimmten Beschaffenheit
des Willens, welche man den Charakter desselben nennt,
und welchen das jedesmalige Motiv nur für den konkreten Fall individualisiert.
Andererseits wirkt der Instinkt, obwohl ein entschiedener
Trieb des Willens, nicht durchaus nur von Innen, sondern auch er
wartet auf einen dazu notwendig erforderten äußeren Umstand, welcher
wenigstens den Zeitpunkt seiner Äußerung bestimmt. Hieraus folgt,
dass bei den Werken der Kunsttriebe zunächst der Instinkt, untergeordnet
jedoch auch der Intellekt tätig ist, der Instinkt nämlich gibt das
Allgemeine, die Regel, der Intellekt das Besondere, die Anwendung,
indem er dem Detail der Ausführung vorsteht, bei welchem daher die
Instinkt-Arbeit offenbar sich den jedesmaligen Umständen anpasst.
(
W. II, 391 fg. 395 fg. E. 34.) Demnach ist der Unterschied des
Instinkts vom bloßen Charakter so fest zu stellen, dass jener ein
Charakter ist, der nur durch ein ganz speziell bestimmtes Motiv
in Bewegung gesetzt wird; während der Charakter zwar ebenfalls eine
bleibende Willensbeschaffenheit ist, jedoch eine durch sehr verschiedene
Motive bewegbare und diesen sich anpassende. Man könnte demnach
den Instinkt erklären als einen über alle Maßen einseitigen und
streng determinierten Charakter. (
W. II, 392.)
3) Antagonismus zwischen Instinkt und Leitung durch
Motivation.
Das Bestimmtwerden durch bloße Motivation setzt schon eine
gewisse Weite der Erkenntnissphäre, mithin einen vollkommener entwickelten
Intellekt voraus; daher es den oberen Tieren, vorzüglich aber
dem Menschen eigen ist; während das Bestimmtwerden durch Instinkt
nur so viel Intellekt erfordert, wie nötig ist, das ganz speziell bestimmte
eine Motiv, welches allein und ausschließlich Anlass zur
Äußerung des Instinkts wird, wahrzunehmen; weshalb es in der
Regel nur bei den Tieren der unteren Klassen namentlich den Insekten,
Statt findet. Daher ist auch das Gehirn bei diesen Tieren nur
schwach entwickelt und ihre äußeren Handlungen stehen großenteils
unter der selben Leitung mit den inneren, auf bloße Reize vor sich
gehenden Funktionen, also dem Gangliensystem, welches daher bei ihnen
überwiegend entwickelt ist. Diesem Allen gemäß stehen Instinkt und
Leitung durch bloße Motivation in einem gewissen Antagonismus,
in Folge dessen jener sein Maximum bei den Insekten, diese ihres
beim Menschen hat und zwischen beiden die Aktuierung der übrigen
Tiere liegt, mannigfaltig abgestuft, je nachdem das Zerebral- oder
Gangliensystem überwiegend entwickelt ist. (
W. II, 392 fg.) Jedoch
ist beim Menschen die Geschlechtsliebe und der Zeugungsakt dem Instinkt
unterworfen. (
W. II, 585. 614—618. Vergl. unter
Geschlechtsliebe:
Die Rolle des Instinkts in der Geschlechtsliebe.)
4) Verwandtschaft des Instinkts mit dem Somnambulismus.
Dass das instinktive Tun und die Kunstverrichtungen der Insekten
hauptsächlich vom Gangliensystem aus geleitet werden, dies gibt diesem
Tun eine bedeutsame Ähnlichkeit mit dem der Somnambulen, als
welches ja ebenfalls daraus erklärt wird, dass, statt des Gehirns, der
sympathische Nerv die Leitung auch der äußeren Aktion übernommen
hat; die Insekten sind demnach gewissermaßen natürliche Somnambule.
Was bei Somnambulen vorkommt, dass ihnen ist, als müssten sie eine
bestimmte Handlung verrichten, ohne dass sie wissen warum, das geht
auch in den Insekten bei den Kunsttrieben vor; der jungen Spinne ist,
als müsste sie ihr Netz weben, obgleich sie den Zweck desselben nicht
kennt, noch versteht. Auch werden wir dabei an das Dämonion des
Sokrates und an alle die merkwürdigen Fälle erinnert, wo Menschen,
aus einer dunkeln Ahndung, also ohne Kenntnis des Grundes, gewisse
Handlungen zu unterlassen sich getrieben fühlen. (
W. II, 393 fg.)
5) Wechselseitige Erläuterung des Instinkts und des
organisierenden Wirkens der Natur.
Es ist, als hätte die Natur zu ihrem Wirken nach Endursachen
und der dadurch herbeigeführten bewunderungswürdigen Zweckmäßigkeit
ihrer organischen Produktionen dem Forscher einen erläuternden Kommentar
an die Hand geben wollen in den Insekten und Kunsttrieben
der Tiere. Denn so, wie in diesen die Tiere auf einen Zweck hinarbeiten,
ohne ihn zu erkennen, gerade so wirkt auch die organisierende
Natur, weshalb sich von der Endursache (im organisierenden
Wirken der Natur) die paradoxe Erklärung geben lässt, dass sie ein
Motiv sei, welches wirkt, ohne erkannt zu werden. Und wie im Wirken
aus dem Kunsttriebe das darin Tätige augenscheinlich der Wille ist;
so ist er es auch im organisierenden Wirken der Natur. (
W. II, 391.)
Ganz ungezwungen kann man im Ameisenhaufen oder im Bienenstock
das Abbild eines auseinander gelegten Organismus erblicken. Wie
im tierischen Organismus, so in der Insektengesellschaft ist die
vita
propria jedes Teiles dem Leben des Ganzen untergeordnet, und die
Sorge für das Ganze geht der, für die eigene Existenz vor. (
W. II,
394 fg.) Die Instinkte und die tierische Organisation erläutern
einander wechselseitig, besonders auch durch die in beiden hervortretende
Antizipation des Zukünftigen. (
W. II, 397.
N. 47 fg. S.
Antizipation.)