Gehirn.
1) Metaphysische Betrachtung des Gehirns.
Was im Selbstbewusstsein, also subjektiv, der Intellekt ist, das stellt sich im Bewusstsein anderer Dinge, also objektiv, als das Gehirn dar. (W. II, 277.) Das Gehirn und dessen Funktion, das Erkennen, also der Intellekt, gehört mittelbar zur Erscheinung des Willens; auch in ihm objektiviert sich, wie überhaupt im Organismus, der Wille und zwar als Wille zur Wahrnehmung der Außenwelt, also als ein Erkennenwollen. Wie der Intellekt physiologisch sich ergibt als die Funktion eines Organs des Leibes (des Gehirns); so ist er metaphysisch anzusehen als ein Werk des Willens, dessen Objektivation oder Sichtbarkeit der ganze Leib ist. Also der Wille zu erkennen, objektiv angeschaut, ist das Gehirn; wie der Wille zu gehen, objektiv angeschaut, der Fuß ist, der Wille zu greifen, die Hand; der Wille zu verdauen, der Magen; zu zeugen, die Genitalien u.s.w. (W. II, 293.) Das Gehirn selbst ist, sofern es vorgestellt wird, — also im Bewusstsein anderer Dinge, mithin sekundär, — selbst nur Vorstellung. An sich aber und sofern es darstellt, ist es der Wille, weil dieser das reale Substrat der ganzen Erscheinung ist; sein Erkennenwollen objektiviert sich als Gehirn und dessen Funktionen (W. II, 294.)
Die wahre Physiologie, auf ihrer Höhe, weist das Geistige im
Menschen (die Erkenntnis) als Produkt seines Physischen nach; aber
die wahre Metaphysik belehrt uns, dass dieses Physische selbst bloßes
Produkt, oder vielmehr Erscheinung, eines Geistigen (des Willens) sei,
ja, dass die Materie selbst durch die Vorstellung bedingt sei, in welcher
allein sie existiert. Das Anschauen und Denken wird immer mehr aus
dem Organismus erklärt werden, nie aber das Wollen, sondern aus
diesem der Organismus. Ich setze also erstlich den Willen, als
Ding an sich, völlig Ursprüngliches; zweitens seine bloße Sichtbarkeit
(Objektivation), den Leib; und drittens die Erkenntnis, als bloße
Funktion eines Teiles dieses Leibes (des Gehirns). Dieser Teil selbst
ist das objektivierte (Vorstellung gewordene) Erkennenwollen, indem
der Wille zu seinen Zwecken der Erkenntnis bedarf. Diese Funktion
nun aber bedingt wieder die ganze Welt als Vorstellung, mithin auch
den Leib selbst, sofern er anschauliches Objekt ist. (N. 20 fg.)
2) Physiologische Betrachtung des Gehirns.
a) Ursprung und Funktion des Gehirns.
Für die objektive Betrachtung ist das Gehirn die Effloreszenz des Organismus; daher erst, wo dieser seine höchste Vollkommenheit und Komplikation erlangt hat, es in seiner größten Entwicklung auftritt. (W. II, 311.) Das Gehirn ist nebst den ihm anhängenden Nerven und Rückenmark eine bloße Frucht, ein Produkt, ja, insofern ein Parasit des übrigen Organismus, als es nicht direkt eingreift in dessen Getriebe, sondern dem Zweck der Selbsterhaltung bloß dadurch dient, dass es die Verhältnisse desselben zur Außenwelt reguliert. (W. II, 224. P. II, 79.) Vielleicht ist es Tiedemann, welcher zuerst das zerebrale Nervensystem mit einem Parasiten verglichen hat. Der Vergleich ist treffend, sofern das Gehirn, nebst ihm anhängendem Rückenmark und Nerven, dem Organismus gleichsam eingepflanzt ist und von ihm genährt wird, ohne selbst seinerseits zur Erhaltung der Ökonomie desselben direkt etwas beizutragen; daher das Leben auch ohne Gehirn bestehen kann, wie bei den hirnlosen Missgeburten, auch bei Schildkröten, die nach abgeschnittenem Kopfe noch drei Wochen leben; nur muss dabei die medulla oblongata, als Organ der Respiration, verschont sein. Sogar eine Henne, der Flourens das ganze große Gehirn weggeschnitten, lebte noch zehn Monate und gedieh. Selbst beim Menschen führt die Zerstörung des Gehirns nicht direkt, sondern erst durch Vermittlung der Lunge und dann des Herzens den Tod herbei. Dagegen besorgt das Gehirn die Lenkung der Verhältnisse zur Außenwelt; dies allein ist sein Amt, und hierdurch trägt es seine Schuld an den es ernährenden Organismus ab; da dessen Existenz durch die äußeren Verhältnisse bedingt ist. Demgemäß bedarf es, unter allen Teilen allein, des Schlafes; weil nämlich seine Tätigkeit von seiner Erhaltung völlig gesondert ist, jene bloß Kräfte und Substanz verzehrt, diese vom übrigen Organismus als seiner Amme geleistet wird; indem also seine Tätigkeit zu seinem Bestand nichts beiträgt, wird sie erschöpft, und erst, wann sie pausiert, im Schlafe, geht seine Ernährung ungehindert von Statten. (W. II, 279.) Das Gehirn ist bloß das Ministerium des Äußern, wie das Gangliensystem das Ministerium des Inneren ist. Das Gehirn mit seiner Funktion des Erkennens ist nichts weiter, als eine vom Willen zu seinen draußen liegenden Zwecken aufgestellte Vedette, welche oben, auf der Warte des Kopfes, durch die Fenster der Sinne umherschaut, aufpasst, von wo Unheil drohe und wo Nutzen abzusehen sei, und nach deren Bericht der Wille sich entscheidet. (W. II, 273. N. 23 fg.)
(Über den Anteil des Gehirns an der Anschauung der
Außenwelt im Verhältnis zum Anteil der Sinne siehe: Anschauung.
Über das Verhältnis des Gehirns zu den Ganglien
siehe: Ganglien.)
Der Sammelplatz der Motive, woselbst ihr Eintritt in den einheitlichen
Focus des Bewusstseins Statt hat, ist das Gehirn. Hier
werden sie im vernunftlosen Bewusstsein bloß angeschaut, im vernünftigen
durch Begriffe verdeutlicht, woraus der Wille sich, seinem
individuellen Charakter gemäß, entscheidet, und so der Entschluss
hervorgeht, welcher nunmehr, mittelst des Cerebellums, des Marks und
der Nervenstämme, die äußeren Glieder in Bewegung setzt. (W. II, 284.)
Die Pflanze führt noch ein lediglich subjektives Dasein, in welchem
sie noch kein Bewusstsein von irgend etwas außer ihr hat. Hingegen
schon das der Pflanze am nächsten stehende, unterste Tier ist durch
gesteigerte und genauer spezifizierte Bedürfnisse veranlasst, die Sphäre
seines Daseins über die Grenze seines Leibes hinaus zu erweitern.
Dies geschieht durch die Erkenntnis; es hat eine dumpfe Wahrnehmung
seiner nächsten Umgebung, aus welcher ihm Motive für sein
Thun, zum Zweck seiner Erhaltung, erwachsen. Hierdurch tritt sonach
das Medium der Motive ein, die in Zeit und Raum objektiv dastehende
Welt, so dumpf und kaum dämmernd auch dieses erste und
niedrigste Exemplar derselben sein mag. Aber deutlicher und immer
deutlicher prägt sie sich aus in dem Maße, wie in der aufsteigenden
Tierreihe das Gehirn immer vollkommener wird. Diese Steigerung
der Gehirnentwickelung wird aber herbeigeführt durch das immer mehr
sich erhöhende und komplizierende Bedürfnis der Organismen. Denn
ohne Not bringt die Natur nichts, am wenigsten die schwierigste ihrer
Produktionen, ein vollkommenes Gehirn, hervor. Jedes Tier hat sie
ausgestattet mit den Organen, die zu seiner Erhaltung, den Waffen
die zu seinem Kampfe notwendig sind; nach dem nämlichen Maßstabe
daher erteilte sie jedem das wichtigste der nach außen gerichteten Organe,
das Gehirn, mit seiner Funktion, dem Erkennen. Demgemäß sehen
wir die Vorstellungskräfte und ihre Organe, Gehirn, Nerven und
Sinneswerkzeuge, immer vollkommener hervortreten, je höher wir in
der Stufenleiter der Tiere aufwärts gehen; und in dem Maße, wie
das Zerebralsystem sich entwickelt, stellt sich die Außenwelt immer
deutlicher, vielseitiger, vollkommener, im Bewusstsein dar. (W. II, 229. 315 fg.
P. II, 49. N. 48—52.)
Durch das Gehirn ist der tierische Organismus gewissermaßen
monarchisch konstruiert: das Gehirn allein ist der Lenker und Regierer,
das Hegemonikon. Wenngleich Herz, Lunge und Magen zum Bestand
des Ganzen viel mehr beitragen; so können diese Spießbürger darum
doch nicht lenken und leiten. Dies ist Sache des Gehirns allein und
muss von Einem Punkte ausgehen. (P. II, 271.)
Ein denkendes Wesen ohne Gehirn (als reiner, immaterieller Geist
gedacht) ist, wie ein verdauendes Wesen ohne Magen. (W. II, 70.)
An der Notwendigkeit des Schlafes, an den Veränderungen durch das
Alter und an den Unterschieden der anatomischen Konformation ist die
durchgängige Abhängigkeit des Geistes (Intellekts) von einem einzelnen
Organ, dem Gehirn, dessen Funktion er ist, wie das Greifen Funktion
der Hand, nachgewiesen. Der Geist (Intellekt) ist mithin physisch,
wie die Verdauung, nicht metaphysisch, wie der Wille. Wie gute
Verdauung einen gesunden starken Magen, wie Athletenkraft muskulöse
sehnige Arme erfordert; so erfordert außerordentliche Intelligenz ein
ungewöhnlich entwickeltes, schön gebautes, durch feine Textur ausgezeichnetes
und durch energischen Pulsschlag belebtes Gehirn. Hingegen
ist die Beschaffenheit des Willens von keinem Organ abhängig und aus
keinem zu prognostizieren. Der größte Irrtum in Galls Schädellehre
ist, dass er auch für moralische Eigenschaften Organe des Gehirns
aufstellt. — Kopfverletzungen mit Verlust von Gehirnsubstanz wirken in
der Regel sehr nachteilig auf den Geist (Intellekt); sie haben gänzlichen
oder teilweisen Blödsinn zur Folge, oder Vergessenheit der
Sprache, auf immer oder auf eine Zeit, bisweilen jedoch von mehreren
gewussten Sprachen nur einer, bisweilen wieder bloß der Eigennamen,
imgleichen den Verlust anderer besessener Kenntnisse. Dagegen wird der
Wille, der Charakter, als welcher seinen Sitz nicht im Gehirn hat,
sondern als das Metaphysische das prius des ganzen Leibes ist, durch
Gehirnverletzungen nicht verändert. — Nach gemachten Versuchen bleibt
eine Schnecke, der man den Kopf abgeschnitten, am Leben, und nach
einigen Wochen wächst ihr ein neuer Kopf, nebst Fühlhörnern; mit
diesem stellt sich Bewusstsein und Vorstellung wieder ein, während bis
dahin das Tier, durch ungeregelte Bewegungen, bloßen blinden Willen
zu erkennen gab. Auch hier also finden wir den Willen als die Substanz,
welche beharrt, den Intellekt hingegen bedingt durch sein Organ,
als das wechselnde Akzidenz. Er lässt sich bezeichnen als der Regulator
des Willens. (W. II, 277—279.)
b) Das Gehirn als Bedingung des Selbstbewusstseins.
Nicht nur die Anschauung der Außenwelt, oder das Bewusstsein anderer Dinge, ist durch das Gehirn und seine Funktionen bedingt, sondern auch das Selbstbewusstsein. Der Wille an sich selbst ist bewusstlos und bleibt es im größten Teile seiner Erscheinungen. Die sekundäre Welt der Vorstellung muss hinzutreten, damit er sich seiner bewusst werde; wie das Licht erst durch die es zurückwerfenden Körper sichtbar wird und außerdem sich wirkungslos in die Finsternis verliert. Indem der Wille, zum Zweck der Auffassung seiner Beziehungen zur Außenwelt, im tierischen Individuum ein Gehirn hervorbringt, entsteht erst in diesem das Bewusstsein des eigenen Selbst, mittelst des Subjekts des Erkennens, welches die Dinge als daseiend, das Ich als wollend auffasst. Nämlich die im Gehirn aufs Höchste gesteigerte, jedoch in die verschiedenen Teile desselben ausgebreitete Sensibilität muss zuvörderst alle Strahlen ihrer Tätigkeit zusammenbringen, sie gleichsam in einen Brennpunkt konzentrieren. Dieser Brennpunkt der gesamten Gehirntätigkeit ist Das, was Kant die synthetische Einheit der Apperzeption nannte; erst mittelst derselben wird der Wille sich seiner selbst bewusst, indem dieser Focus der Gehirntätigkeit, oder das Erkennende, sich mit seiner eigenen Basis, daraus er entsprungen ist, dem Wollenden, als identisch auffasst und so das Ich entsteht. (W. II, 313 fg.)c) Einfluss der Entwicklung und der Wandlungen des Gehirns auf die Intelligenz in den verschiedenen Lebensaltern.
Die frühe Kindheit bleibt der Albernheit und Dummheit preisgegeben; zunächst weil dem Gehirn noch die Vollendung fehlt, welche es sowohl seiner Größe, als seiner Textur nach erst im siebenten Jahre erreicht. Sodann aber ist zu seiner energischen Tätigkeit noch der Antagonismus des Genitalsystems erfordert; daher jene erst mit der Pubertät anfängt. Durch dieselbe aber hat alsdann der Intellekt erst die bloße Fähigkeit zu seiner psychischen Ausbildung erlangt; diese selbst kann allein durch Übung, Erfahrung und Belehrung gewonnen werden, weshalb man die vollkommene Reife erst ins vierzigste Jahr, das Schwabenalter, versetzt hat. Allein während diese psychische, auf Hilfe von außen beruhende Ausbildung noch im Wachsen ist, fängt die innere physische Energie des Gehirns bereits an wieder zu sinken. Diese nämlich hat, vermöge ihrer Abhängigkeit vom Blutandrang und der Einwirkung des Pulsschlags auf das Gehirn, und dadurch wieder vom Übergewicht des arteriellen Systems über das venöse, wie auch von der frischen Zartheit der Gehirnfasern, zudem auch durch die Energie des Genitalsystems, ihren eigentlichen Kulminationspunkt um das dreißigste Jahr; schon nach dem fünfunddreißigsten wird eine leise Abnahme derselben merklich, die durch das allmählich herankommende Übergewicht des venösen Systems über das arterielle, wie auch durch die immer fester und spröder werdende Konsistenz der Gehirnfasern, mehr und mehr eintritt und viel merklicher sein würde, wenn nicht andererseits die psychische Vervollkommnung durch Übung, Erfahrung, Zuwachs der Kenntnisse und erlangte Fertigkeit im Handhaben derselben ihr entgegenwirkte; welcher Antagonismus glücklicherweise bis ins späte Alter fortdauert, indem mehr und mehr das Gehirn einem ausgespielten Instrumente zu vergleichen ist. Aber dennoch schreitet die Abnahme der ursprünglichen, ganz auf organischen Bedingungen beruhenden Energie des Intellekts zwar langsam, aber unaufhaltsam weiter, und so geht es Schritt vor Schritt abwärts bis hinab in das kindische Alter. (W. II, 264 fg. 237.)d) Verhaltensregel in Bezug auf die Anstrengung des Gehirns.
Der Intellekt (das Gehirn) ist als ein Sekundäres und Physisches, wie alles Physische, der Vis inertiae unterworfen und ermüdet durch fortgesetzte Anstrengung bis zur gänzlichen Abstumpfung. Darum erfordert jede anhaltende Geistesarbeit Pausen und Ruhe. Eben wegen dieser seiner sekundären Natur bedarf der Intellekt auf fast ein Drittel seiner ganzen Lebenszeit der gänzlichen Suspension seiner Tätigkeit im Schlafe, d. h. der Ruhe des Gehirns. (W. II, 239 fg.)
Aus dieser physischen Beschaffenheit des Intellekts ergibt sich für
die Bewahrung und Befestigung der zum Lebensglück so notwendigen
Gesundheit die Regel: Man hüte das Gehirn vor gezwungener, zu
anhaltender, oder unzeitiger Anstrengung. Demnach lasse man es ruhen
während der Verdauung; weil dann eben die selbe Lebenskraft, welche
im Gehirn Gedanken bildet, im Magen und den Eingeweiden angestrengt
arbeitet, Chymus und Chylus zu bereiten; ebenfalls während,
oder auch nach bedeutender Muskelanstrengung. Denn, es verhält sich
mit den motorischen, wie mit den sensiblen Nerven, und wie der Schmerz,
den wir in verletzten Gliedern empfinden, seinen wahren Sitz im
Gehirn hat; so sind es eigentlich auch nicht die Beine und Arme,
welche gehen und arbeiten, sondern das Gehirn, nämlich der Teil
desselben, welcher, mittelst des verlängerten und Rückenmarks, die Nerven
jener Glieder erregt und dadurch diese in Bewegung setzt. Demgemäß
hat auch die Ermüdung, welche wir in den Beinen und Armen fühlen,
ihren wahren Sitz im Gehirn. Offenbar also wird das Gehirn
beeinträchtigt, wenn man ihm starke Muskeltätigkeit und geistige Anspannung
zugleich, oder auch nur dicht hinter einander abzwingt. Besonders
aber gebe man dem Gehirn das zu seiner refection nötige,
volle Maß des Schlafes. Dieses Maß wird um so größer sein,
je entwickelter und tätiger das Gehirn ist. Überhaupt begreife man
wohl, dass unser Denken nichts Anderes ist, als die organische Funktion
des Gehirns, und sonach sich, in Hinsicht auf Anstrengung und Ruhe,
jeder anderen organischen Tätigkeit analog verhält. Wie übermäßige
Anstrengung die Augen verdirbt, eben so das Gehirn. Mit Recht ist
gesagt worden, das Gehirn denkt, wie der Magen verdaut. Man soll
sich daher gewöhnen, seine Geisteskräfte durchaus als physiologische
Funktionen zu betrachten, um danach sie zu behandeln, zu schonen,
anzustrengen, u. s. w, und soll bedenken, dass jedes körperliche Leiden,
Beschwerde, Unordnung, in welchem Teil es auch sei, den Geist
affiziert. (P. I, 470 fg.)
Erzwungene Anstrengung eines Kopfes, zu Studien, denen er nicht
gewachsen ist, oder wann er müde geworden, oder überhaupt zu anhaltend,
stumpft das Gehirn so ab, wie Lesen im Mondschein die
Augen. Ganz besonders tut dies auch die Anstrengung des noch unreifen
Gehirns, in den frühen Kinderjahren. (W. II, 86.)
e) Vereinzelte Bemerkungen.
In der menschlichen Gattung sehen wir den Individualcharakter bedeutend hervortreten, während bei den Tieren der Gattungscharakter vorherrscht und je weiter abwärts, desto mehr jede Spur von Individualcharakter sich in den allgemeinen der Spezies verliert. Wahrscheinlich hängt es mit diesem Unterschied der Menschengattung von allen anderen zusammen, dass die Furchen und Windungen des Gehirns, welche bei den Vögeln noch ganz fehlen und bei den Nagetieren noch sehr schwach sind, selbst bei den oberen Tieren weit symmetrischer an beiden Seiten und konstanter bei jedem Individuum die selben sind, als beim Menschen. (W. I, 156.)
Wenn man erwägt, dass die Schädel der Idioten, wie auch der
Neger, allein in der Breitendimension, also von Schläfe zu Schläfe,
durchgängig gegen andere Schädel zurückstehen, und dass im Gegenteil
große Denker ungewöhnlich breite Köpfe haben; — wenn man ferner
dazu nimmt, dass das Weißwerden der Haare, welches mehr die Folge
der Geistesanstrengung, wie auch des Grams, als des Alters ist, —
von den Schläfen auszugehen pflegt; so wird man zu der Vermutung
geführt, dass der unter der Schläfengegend liegende Teil des Gehirns
der beim Denken vorzugsweise tätige sei. (P. II, 182.)
Stellt man sich die Denkoperationen als mit wirklichen, wenn auch
noch so kleinen, Bewegungen in der Gehirnmasse verknüpft vor, so
müsste durch den Druck der kleineren Teile auf einander der Einfluss
der Lage ein sehr großer und augenblicklicher sein. Dass er nun aber
dies nicht ist, beweist, dass die Sache nicht gerade mechanisch vor sich
gehe. Dennoch kann die Lage des Kopfes, da von ihr nicht nur jener
Druck der Gehirnteile auf einander, sondern auch der, jedenfalls wirksame,
größere oder geringere Blutzufluss abhängt, nicht gleichgültig sein.
Für das Denken scheint die vorteilhafteste Lage die, bei welcher die
basis encephali ganz horizontal zu liegen kommt. Daher man beim
tiefen Nachdenken den Kopf nach vorne senkt. (P. II, 183.)
Der Geniale ist nicht immer genial, sondern nur in lucidis intervallis.
Eben so ist der Vernünftige, der Kluge, der Gelehrte nicht zu
allen Stunden vernünftig, klug, gelehrt. Kurz, nemo omnibus horis
sapit. Alles Dieses scheint auf eine gewisse Flut und Ebbe der
Säfte des Gehirns, oder Spannung und Abspannung der Fibern
desselben, hinzudeuten. (P. II, 53 fg.)
In Hinsicht auf die Tatsache, dass aus der unbewussten Tiefe unseres
Inneren oft unerwartet und zu unserer eigenen Verwunderung Gedanken
aufsteigen, die uns wie Inspirationen erscheinen, obgleich sie Resultate
langer, unbewusster Rumination sind, — in Hinsicht auf diese Tatsache
möchte man beinahe es wagen, die physiologische Hypothese
aufzustellen, dass das bewusste Denken auf der Oberfläche des Gehirns,
das unbewusste im Inneren seiner Marksubstanz vor sich gehe.
(P. I, 59.)