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Schopenhauers Kosmos

 

 Quietiv.

1) Gegensatz zwischen Quietiv und Motiv.

Der Wille ist zwar in allen seinen Erscheinungen der Notwendigkeit unterworfen, aber an sich selbst ist er frei, ja allmächtig. (Vergl. unter Freiheit: Die Freiheit als metaphysische Eigenschaft.) Diese Freiheit, diese Allmacht nun, als deren Äußerung und Abbild die ganze sichtbare Welt, ihre Erscheinung, dasteht und den Gesetzen gemäß, welche die Form der Erkenntnis mit sich bringt, sich fortschreitend entwickelt, — kann auch, und zwar da, wo ihr in ihrer vollendetsten Erscheinung (im Menschen) die vollkommen adäquate Kenntnis ihres eigenen Wesens aufgegangen ist, von Neuem sich äußern, indem sie nämlich entweder auch hier, auf dem Gipfel der Besinnung und des Selbstbewusstseins, das Selbe will, was sie blind und sich selbst nicht kennend wollte, wo dann die Erkenntnis, wie im Einzelnen, so im Ganzen, für sie stets Motiv bleibt; oder aber auch umgekehrt, diese Erkenntnis wird ihr ein Quietiv, welches alles Wollen beschwichtigt und aufhebt. Dies ist der Gegensatz der Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben. (W. I, 363.) Der Wille bejaht sich selbst, besagt: indem in seiner Objektität, d. i. der Welt und dem Leben, sein eigenes Wesen ihm als Vorstellung vollständig und deutlich gegeben wird, hemmt diese Erkenntnis sein Wollen keineswegs; sondern eben dieses so erkannte Leben wird auch als solches von ihm gewollt, wie bis dahin ohne Erkenntnis, als blinder Drang, so jetzt mit Erkenntnis bewusst und besonnen. — Das Gegenteil hiervon, die Verneinung des Willens zum Leben zeigt sich, wenn auf jene Erkenntnis das Wollen endet, indem sodann nicht mehr die erkannten einzelnen Erscheinungen als Motive des Wollens wirken, sondern die ganze durch Auffassung der Ideen erwachsene Erkenntnis des Wesens der Welt, die den Willen spiegelt, zum Quietiv des Willens wird und so der Wille frei sich selbst aufhebt. (W. I, 336.)

2) Beschaffenheit der als Quietiv wirkenden Erkenntnis.

Die als Quietiv wirkende Erkenntnis ist keine abstrakte, sondern eine intuitive, in der lebendigen Durchschauung des principii individuationis bestehende. Während Der, welcher noch im principio individuationis, folglich im Egoismus, befangen ist, nur einzelne Dinge und ihr Verhältnis zu seiner Person erkennt, und jene dann zu immer erneuerten Motiven seines Wollens werden; so fasst hingegen die zum Quietiv alles und jedes Wollens werdende Erkenntnis das Ganze, das Wesen der Dinge an sich intuitiv auf. (W. I, 336. 448. 299. Vergl. auch unter Individuation: Die im principio individuationis befangene Erkenntnis im Gegensatze zu der es durchschauenden.)

3) Darstellung der als Quietiv wirkenden Erkenntnis durch die Kunst.

In den höchsten und bewundernswürdigsten Leistungen der Malerkunst, den Bildern, welche den eigentlichen, d. h. den ethischen Geist des Christentums für die Anschauung offenbaren, durch Darstellung von Menschen, welche dieses Geistes voll sind, also in den Heiligenbildern, besonders in den Augen der Heiligen, sehen wir den Ausdruck, den Widerschein der vollkommensten Erkenntnis derjenigen nämlich, welche nicht auf einzelne Dinge gerichtet ist, sondern die Ideen, also das ganze Wesen der Welt und des Lebens, vollkommen aufgefasst hat, welche Erkenntnis in ihnen auf den Willen zurückwirkend, nicht, wie jene andere, Motive für dieselben liefert, sondern im Gegenteil ein Quietiv alles Wollens geworden ist. (W. I, 274 fg.)
Auch das echte Trauerspiel führt uns Individuen vor, deren Erkenntnis, geläutert und gesteigert durch das Leiden, den Punkt erreicht, wo die Erscheinung, der Schleier der Maja, sie nicht mehr täuscht, die Form der Erscheinung, das principium individuationis, von ihr durchschaut wird, der auf diesem beruhende Egoismus eben damit erstirbt, wodurch nunmehr die vorhin so gewaltigen Motive ihre Macht verlieren, und statt ihrer die vollkommene Erkenntnis des Wesens der Welt, als Quietiv des Willens wirkend, die Resignation herbeiführt. (W. I, 298 fg.; II, 494 fg.)