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Schopenhauers Kosmos

 

 Freiheit.

I. Die Freiheit als metaphysische Eigenschaft.

1) Begriff der Freiheit.

Der Begriff der Freiheit ist eigentlich ein negativer, indem sein Inhalt bloß die Verneinung der Notwendigkeit, d. h. des als Folge durch einen Grund Bestimmtseins, ist. In metaphysischer Hinsicht bedeutet also Freiheit so viel als Grundlosigkeit, Ursprünglichkeit. (W. I, 338.)

2) Subjekt der Freiheit.

Da die Erscheinung durchweg dem Satz vom Grund unterworfen und Notwendigkeit durchaus identisch ist mit Folge aus gegebenem Grunde, so ist Alles, was zur Erscheinung gehört, durchweg notwendig bestimmt, kann daher in keiner Beziehung anders sein, als es ist. Freiheit kann daher nur Demjenigen zukommen, was nicht Erscheinung, sondern Ding an sich und als solches nicht dem Satz vom Grund unterworfen, nicht als Folge durch einen Grund bestimmt ist, also nur dem Willen, dem Kern aller Erscheinung. (W. I, 338.)

3) Vereinigung der Freiheit mit der Notwendigkeit.

Jedes Ding ist als Erscheinung, als Objekt, durchweg notwendig; dasselbe ist aber an sich Wille und als solcher für alle Ewigkeit frei. Die Erscheinung, das Objekt, ist notwendig und unabänderlich in der Verkettung der Gründe und Folgen bestimmt, die keine Unterbrechung haben kann. Das Dasein überhaupt aber dieses Objekts und die Art seines Daseins, d. h. die Idee, welche in ihm sich offenbart, oder mit anderen Worten sein Charakter, ist unmittelbar Erscheinung des Willens. In Gemäßheit der Freiheit dieses Willens könnte es also überhaupt nicht dasein, oder auch ursprünglich und wesentlich ein ganz Anderes sein; wo dann aber auch die ganze Kette, von der es ein Glied ist, die selbst Erscheinung desselben Willens ist, eine ganz andere wäre; aber einmal da und vorhanden, ist es in die Reihe der Gründe und Folgen eingetreten, in ihr stets notwendig bestimmt und kann demnach weder ein Anderes werden, d. h. sich ändern, noch auch aus der Reihe austreten, d. h. verschwinden. (W. I, 338 fg. E. 96. 174—178.)

4) Unvereinbarkeit der Freiheit mit dem Theismus.

Dem Theismus zufolge ist der Mensch seinem ganzen Sein und Wesen (Existentia und Essentia) nach das Werk Gottes. Allein wie soll man sich vorstellig machen, dass ein Wesen, welches seiner ganzen Existentia und Essentia nach das Werk eines Anderen ist, doch sich selbst uranfänglich und vom Grund aus bestimmen und demnach für sein Tun verantwortlich sein könne? Aus dem Satz Operari sequitur esse, d. h. die Wirkungen jedes Wesens folgen aus seiner Beschaffenheit, ergibt sich, dass der Urheber seiner Beschaffenheit auch der Urheber seiner Wirkungen, oder Handlungen, und als solcher für dieselben verantwortlich ist. Wenn eine schlechte Handlung aus der Natur, d. h. der angeborenen Beschaffenheit des Menschen entspringt, so liegt die Schuld offenbar am Urheber dieser Natur. Was würde man von dem Uhrmacher sagen, der seiner Uhr zürnte, weil sie unrichtig ginge? Ohne Aseität ist die Freiheit und Verantwortlichkeit undenkbar. (E. 71 fg. P. I, 135; II, 252. Vergl. auch Aseität.)

II. Die praktische Freiheit.

1) Begriff der praktischen Freiheit.

Auch in praktischer Hinsicht ist der Begriff der Freiheit ein negativer. Wir denken durch ihn nur die Abwesenheit alles Hindernden und Hemmenden; dieses hingegen muss, als Kraft äußernd, ein Positives sein. (E. 3.)

2) Einteilung der praktischen Freiheit.

Der möglichen Beschaffenheit des Hemmenden entsprechend hat der Begriff dieser Freiheit drei sehr verschiedene Unterarten: physische, Intellektuelle und moralische Freiheit. (E. 3.)
a) Physische Freiheit ist die Abwesenheit der materiellen Hindernisse jeder Art. In dieser physischen Bedeutung des Begriffs der Freiheit, in welcher er als das Prädikat animalischer Wesen gebraucht wird, werden Tiere und Menschen dann frei genannt, wann weder Bande, noch Kerker, noch Lähmung, also überhaupt kein materielles Hindernis ihre Handlungen hemmt, sondern diese ihrem Willen gemäß vor sich gehen. Diese Freiheit bezieht sich also nur auf das Können. Ihr ist die politische Freiheit beizuzählen. Diese Bedeutung des Begriffs der Freiheit ist die ursprüngliche und populäre (E. 4.)
b) Intellektuelle Freiheit. Diese besteht darin, dass der Intellekt oder das Erkenntnisvermögen, welches das Medium der Motive ist, durch welches hindurch sie auf den Willen wirken, sich in einem normalen Zustande befindet, seine Funktionen regelrecht vollzieht und daher die Motive unverfälscht, wie sie in der realen Außenwelt vorliegen, dem Willen zur Wahl darstellt, so dass dieser sich seiner Natur, d. h. dem individuellen Charakter des Menschen gemäß, entscheiden, also ungehindert, nach seinem selbsteigenen Wesen sich äußeren kann.
Aufgehoben wird diese Intellektuelle Freiheit teils durch dauernde oder vorübergehende Zerrüttung des Erkenntnisvermögens, wie Wahnsinn, Delirium, Paroxysmus, Schlaftrunkenheit, teils durch äußere Umstände, welche die Auffassung der Motive verfälschen, indem sie Irrtum veranlassen, wie z. B. wenn Jemand Gift statt Arznei eingießt.
Vermindert oder partiell aufgehoben wird die Intellektuelle Freiheit durch den Affekt und durch den Rausch.
Als in Intellektueller Unfreiheit begangen sind also alle die Taten anzusehen, bei denen der Mensch entweder nicht wusste, was er tat, oder schlechterdings nicht fähig war, zu bedenken, was ihn davon hätte abhalten sollen, nämlich die Folgen der Tat. (E. 98—101.)
c) Moralische Freiheit. Während die physische Freiheit sich auf das Können bezieht, bezieht sich die moralische auf das Wollen. Man warf nämlich, ausgehend von der Erfahrung, dass ein Mensch manchmal ohne durch materielle Hindernisse gehemmt zu sein, durch bloße Motive, wie etwa Drohungen, Versprechungen, Gefahren u. s. w. abgehalten wird so zu handeln, wie es außerdem seinem Willen gemäß wäre, die Frage auf, ob der Wille in dem Sinne frei ist, dass er, ohne durch Motive als Gründe zu einer Entscheidung genötigt zu sein, sich von selbst, d. h. ohne allen Grund oder, was gleichbedeutend ist, ohne alle Notwendigkeit, zu dem Einen oder Anderen entscheiden kann. Die Freiheit in diesem Sinne heißt liberum arbitrium indifferentiae. Ihr wesentliches Merkmal ist, dass einem mit ihr begabtem Individuum unter gegebenen, ganz individuell und durchgängig bestimmten äußeren Umständen, zwei einander diametral entgegengesetzte Handlungen gleich möglich sind. Ob es eine solche Freiheit gibt, das ist zu untersuchen. (E. 5—9. 13.)

3) Kritik der Indifferenz des Willens.

a) Aussage des Selbstbewusstseins.

Das Selbstbewusstsein sagt zwar die Freiheit des Thuns aus — unter Voraussetzung des Wollens; aber über die Freiheit des Wollens, d. h. über die Unabhängigkeit unserer Willensakte von Motiven, über die Möglichkeit also, im einzelnen Falle Entgegengesetztes wollen, sich auf entgegengesetzte Weise bestimmen zu können, sagt es nichts aus und kann es nichts aussagen. Die Hauptquelle des Scheins, vermöge dessen der philosophisch Rohe in einem gegebenen Falle entgegengesetzte Willensakte für gleich möglich hält, ist Verwechselung des Wünschens mit Wollen. Wünschen kann er Entgegengesetztes aber Wollen nur Eins davon, und welches dieses sei, offenbart dem Selbstbewusstsein allererst die Tat. Über die gesetzmäßige Notwendigkeit aber, vermöge deren von entgegengesetzten Wünschen der eine und nicht der andere zum Willensakt und zur Tat wird, kann eben deshalb das Selbstbewusstsein nichts enthalten, da es das Resultat so ganz a posteriori erfährt, nicht aber a priori weiß. Entgegengesetzte Wünsche mit ihren Motiven steigen vor ihm auf und nieder; über jeden derselben sagt das Selbstbewusstsein aus, dass er zur Tat werden wird, wenn er zum Willensakt wird. Aber diese subjektive Möglichkeit ist eben ganz hypothetisch. Über die objektive, den Ausschlag gebende Möglichkeit hingegen sagt das Selbstbewusstsein, welchem sie als in der objektiven Welt liegend fremd ist, nichts aus. Jene subjektive Möglichkeit ist gleicher Art mit der, welche im Steine liegt, Funken zu geben, jedoch bedingt ist durch den Stahl, an welchem die objektive Möglichkeit haftet. (E. 16—18. 42 fg.)
Abgesehen davon, dass, weil der Wille, als das wahre Ding an sich, ein wirklich Ursprüngliches und Unabhängiges ist, auch im Selbstbewusstsein das Gefühl der Ursprünglichkeit und Eigenmächtigkeit seine, obwohl schon determinierten Akte begleiten muss, — entsteht der Schein einer empirischen Freiheit des Willens (statt der transzendentalen, die ihm allein beizulegen ist), also einer Freiheit der einzelnen Taten, aus der gesonderten und subordinierten Stellung des Intellekts gegen den Willen. Der Intellekt erfährt nämlich die Beschlüsse des Willens erst a posteriori und empirisch. Demnach hat er bei einer vorliegenden Wahl kein Datum darüber, wie der Wille sich entscheiden werde. Denn der intelligible Charakter (vergl. Charakter), vermöge dessen, bei gegebenen Motiven, nur eine Entscheidung möglich und diese demnach eine notwendige ist, fällt nicht in die Erkenntnis des Intellekts, sondern bloß der empirische wird ihm durch seine einzelnen Akte sukzessive bekannt. Daher also scheint dem erkennenden Bewusstsein (Intellekt), dass, in einem vorliegenden Fall, dem Willen zwei entgegengesetzte Entscheidungen gleich möglich wären. Hiermit aber verhält es sich gerade so, wie wenn man bei einer senkrecht stehenden, aus dem Gleichgewicht und ins Schwanken geratenen Stange, sagt sie kann nach der rechten oder nach der linken Seite umschlagen, welches kann doch nur eine subjektive Bedeutung hat und eigentlich besagt hinsichtlich der uns bekannten Data; denn objektiv ist die Richtung des Falls schon notwendig bestimmt, sobald das Schwanken eintritt. So demnach ist auch die Entscheidung des eigenen Willens bloß für seinen Zuschauer, den eigenen Intellekt, indeterminiert, mithin nur relativ und subjektiv; hingegen an sich selbst und objektiv ist die Entscheidung determiniert und notwendig, wenngleich diese Determination erst durch die erfolgende Entscheidung ins Bewusstsein tritt. (W. I, 342 fg.)

b) Aussage des Verstandes.

Die allgemeinste und grundwesentlichste Form des Verstandes, des Organs der Anschauung der objektiven Welt (vergl. Verstand), ist das Gesetz der Kausalität. Mit dem Verstande nun die in der Erfahrung vorkommenden wollenden, vom Willen bewegten Wesen betrachtend, finden wir zwar, dass eine große Verschiedenheit in der Art stattfindet, wie die Kausalität ihr Recht an ihnen geltend macht, indem die unorganischen Körper durch Ursachen (im engsten Sinne des Worts), die Pflanzen durch Reize, die Tiere durch Motive bewegt werden; aber durch diese Unterschiede der Kausalität wird das allgemeine, a priori gewisse Gesetz, dass jede Veränderung, also auch jeder Willensakt, eine Ursache hat, folglich notwendig eintritt, nicht beeinträchtigt. Der Mensch, so frei er auch scheint, macht doch keine Ausnahme von dem Gesetze der Kausalität, diesem allgemeinen Naturgesetze. Seine Freiheit ist nur eine relative, komparative, hat nur den Sinn, dass er vermöge seiner Vernunft und Deliberationsfähigkeit frei ist vom unmittelbaren Zwang der anschaulich gegenwärtigen, auf seinen Willen als Motive wirkenden Objekte, welchem das Tier unterworfen ist, indem er sich nach Gedanken, welche seine Motive sind, bestimmt. Durch diese relative Freiheit ist aber ganz allein die Art der Motivation geändert, hingegen die Notwendigkeit der Wirkung der Motive nicht im Mindesten aufgehoben, oder auch nur verringert. Daher kann nur eine sehr oberflächliche Ansicht jene relative und komparative Freiheit für eine absolute, ein liberum arbitrium indifferentiae halten. Der Mensch ist, wie alle Gegenstände der Erfahrung, eine Erscheinung in Zeit und Raum, und da das Gesetz der Kausalität für alle diese a priori und folglich ausnahmslos gilt, muss auch er ihm unterworfen sein. So sagt es der reine Verstand a priori, so bestätigt es die durch die ganze Natur geführte Analogie und so bezeugt es die Erfahrung, wenn man sich nicht durch die geistige, immaterielle Beschaffenheit der den Menschen bestimmenden Ursachen (Gedanken) täuschen lässt. Bei dem Versuch, das liberum arbitrium indifferentiae sich vorstellig zu machen, steht einem der Verstand still, weil er keine Form hat, so etwas zu denken. Überdies ist mit der Annahme einer solchen Willensfreiheit, die darin besteht, dass jedem Menschen, in jeder Lage, entgegengesetzte Handlungen gleich möglich sein sollen, die tatsächliche, angeborene Grundverschiedenheit der Charaktere unvereinbar. (Vergl. Charakter.) Der Charakter des Individuums müsste von Hause aus eine tabula rasa sein, wenn ihm entgegengesetzte Handlungen gleich möglich sein sollten. Wie von Außen alle Wirkungen durch die Ursachen, so sind sie von Innen durch das Wesen des Dinges bestimmt, welches Wesen beim Menschen der individuelle Charakter ist; oder, wie die Scholastiker es ausdrückten, operari sequitur esse. Wie jede Wirkung in der unbelebten Natur ein notwendiges Produkt zweier Faktoren ist, nämlich der hier sich äußernden allgemeinen Naturkraft, und der diese Äußerung hier hervorrufenden einzelnen Ursache; gerade so ist jede Tat eines Menschen das notwendige Produkt seines Charakters und des eingetretenen Motivs. Sind diese beiden gegeben, so erfolgt sie unausbleiblich. Damit eine andere entstünde, müsste entweder ein anderes Motiv oder ein anderer Charakter gesetzt werden. (E. 26— 60. G. 48.)
Könnte ein Mensch unter gleichen Umständen das eine Mal so, das andere Mal anders handeln; so müsste sein Wille selbst sich inzwischen geändert haben und daher in der Zeit liegen, da nur in dieser Veränderung möglich ist. Dann aber müsste entweder der Wille eine bloße Erscheinung, oder die Zeit eine Bestimmung des Dinges an sich sein. Demnach dreht jener Streit über die Freiheit des einzelnen Thuns (über das liberum arbitrium indifferentiae) sich eigentlich um die Frage, ob der Wille in der Zeit liege, oder nicht. Ist er das Ding an sich, außer der Zeit und jeder Form des Satzes vom Grunde; so muss nicht allein das Individuum in gleicher Lage stets auf gleiche Weise handeln, und nicht nur jede böse Tat der feste Bürge für unzählige andere sein, die es vollbringen muss und nicht lassen kann; sondern es ließe sich auch, wie Kant sagt, wenn nur der empirische Charakter und die Motive vollständig gegeben wären, des Menschen Verhalten auf die Zukunft wie eine Sonnen- und Mondfinsternis ausrechnen. Wie die Natur konsequent ist, so ist es der Charakter; Ihm gemäß muss jede einzelne Handlung ausfallen, wie jedes Phänomen dem Naturgesetz gemäß ausfällt. Die Ursache im letzteren Fall und das Motiv im ersteren sind nur die Gelegenheitsursachen. Der Wille, dessen Erscheinung das ganze Sein und Leben des Menschen ist, kann sich im einzelnen Fall nicht verleugnen, und was der Mensch im Ganzen will, wird er auch stets im Einzelnen wollen. (W. I, 344 fg.)

4) Geschichtliche Bestätigungen.

Alle wirklich tiefen Denker aller Zeiten, so verschieden auch ihre sonstigen Ansichten sein mochten, stimmten darin überein, dass sie die Notwendigkeit der Willensakte bei eintretenden Motiven behaupteten und die Willensfreiheit (das liberum arbitrium indifferentiae) verwarfen, während die oberflächlichen Geister mit dem großen Haufen der Willensfreiheit anhängen. Hobbes zuerst, dann Spinoza, dann Hume, auch Hollbach im Systéme de la nature, und endlich am ausführlichsten und gründlichsten Priestley, haben die vollkommene und strenge Notwendigkeit der Willensakte bei eintretenden Motiven so deutlich bewiesen, dass sie den vollkommen demonstrierten Wahrheiten beizuzählen ist. Und nicht bloß große Philosophen, sondern auch große Theologen, wie Augustinus und Luther, und große Dichter, wie Shakespeare, Göthe, Schiller, haben diese Wahrheit gelehrt, so dass nur noch Unwissende und Rohe von einer Freiheit des Menschen in den einzelnen Handlungen zu reden fortfahren können. Es gibt aber noch einen Mittelschlag, welcher, sich verlegen fühlend, hin und her laviert, sich und Anderen den Zielpunkt verrückt, sich hinter Worte und Phrasen flüchtet, oder die Frage so lange dreht und verdreht, bis man nicht mehr weiß, worauf sie hinauslief. So hat es z. B. Leibniz gemacht. (E. 58 fg. 63—89. 174. N. 23. W. I, 598. G. 49.)

5) Zusammenhang der falschen Freiheitslehre mit der falschen Psychologie.

Die Behauptung einer empirischen Freiheit des Willens, eines liberi arbitrii indifferentiae hängt auf das genaueste damit zusammen, dass man das Wesen des Menschen in eine Seele setzte, die ursprünglich ein erkennendes, ja eigentlich ein abstrakt denkendes Wesen wäre und nur erst in Folge hiervon auch ein wollendes, dass man also den Willen sekundärer Natur machte, statt dass in Wahrheit die Erkenntnis dies ist. Danach nun wäre jeder Mensch das, was er ist, erst in Folge seiner Erkenntnis geworden; er käme als moralische Null auf die Welt, erkennte die Dinge in dieser, und beschlösse darauf, Der oder Der zu sein, so oder so zu handeln, könnte also auch in Folge neuer Erkenntnis ein ganz Anderer werden. Diese Ansicht ist eine Umkehrung des wahren Verhältnisses. Der Wille ist das Erste und ursprüngliche, die Erkenntnis bloß hinzugekommen, zur Erscheinung des Willens als ein Werkzeug gehörig. Durch die hinzugekommene Erkenntnis erfährt er im Laufe der Erfahrung was er ist, d. h. er lernt seinen Charakter kennen. Er erkennt sich also in Folge und Gemäßheit der Beschaffenheit seines Willens; statt dass er nach der alten Ansicht will in Folge und Gemäßheit seines Erkennens. (W. I, 345. E. 152.) Weit entfernt, dass der Charakter das Werk vernünftiger Wahl und Überlegung wäre, hat der Intellekt beim Handeln nichts weiter zu tun, als dem Willen die Motive vorzuhalten; dann aber muss er als bloßer Zuschauer und Zeuge zusehen, wie aus ihrer Wirkung auf den gegebenen Charakter der Lebenslauf sich gestaltet, dessen sämtliche Vorgänge, genau genommen, mit derselben Notwendigkeit eintreten, wie die Bewegungen eines Uhrwerks. (P. II, 250.)

6) Wo die moralische Freiheit liegt.

Die Verneinung der empirischen Willensfreiheit ist nicht gleichbedeutend mit Verneinung der Willensfreiheit überhaupt. Die Leugnung der Willensfreiheit schlechthin widerstritte der Tatsache des Gefühls der Verantwortlichkeit für Das, was wir tun, der Zurechnungsfähigkeit für unsere Handlungen. Da nun aber die Freiheit weder in den Handlungen, noch im empirischen Charakter liegt, so muss sie wo anders gesucht werden. Nur durch die Kantische Unterscheidung zwischen empirischem und intelligiblem Charakter gelangen wir zur wahren, höheren Ansicht über die Freiheit. (Vergl. unter Charakter: Verhältnis des intelligiblen zum empirischen Charakter.) Der empirische Charakter ist, als Gegenstand der Erfahrung, eine bloße Erscheinung, daher an die Formen aller Erscheinung, Zeit, Raum und Kausalität gebunden und deren Gesetzen unterworfen; hingegen ist die als Ding an sich von diesen Formen unabhängige und deshalb keinem Zeitunterschied unterworfene, mithin beharrende und unveränderliche Bedingung und Grundlage dieser ganzen Erscheinung sein intelligibler Charakter, d. h. sein Wille als Ding an sich, welchem, in solcher Eigenschaft, allerdings auch absolute Freiheit, d. h. Unabhängigkeit vom Gesetze der Kausalität zukommt. Diese Freiheit aber ist eine transzendentale, d. h. nicht in der Erscheinung hervortretende, sondern nur insofern vorhandene, als wir von der Erscheinung und allen ihren Formen abstrahieren, um zu dem zu gelangen, was, außer aller Zeit, als das innere Wesen des Menschen an sich selbst zu denken ist. Vermöge dieser Freiheit sind alle Taten des Menschen sein eigenes Werk, so notwendig sie auch aus dem empirischen Charakter bei seinem Zusammentreffen mit den Motiven hervorgehen; weil dieser empirische Charakter bloß die Erscheinung des intelligiblen ist. Demzufolge ist zwar der Wille frei, aber nur an sich selbst und außerhalb der Erscheinung; in dieser hingegen stellt er sich schon mit einem bestimmten Charakter dar, welchem alle seine Taten gemäß sein und daher, wenn durch die hinzugetretenen Motive näher bestimmt, notwendig so und nicht anders ausfallen müssen.
Das Werk unserer Freiheit haben wir demnach nicht in unsern einzelnen Handlungen, sondern im ganzen Sein und Wesen zu suchen. Die Freiheit, welche im Operari nicht anzutreffen ist, muss im Esse liegen. Hierauf, dass der Mensch Das ist, was er sein will, beruht das Bewusstsein der Verantwortlichkeit und die moralische Tendenz des Lebens. (E. 90—98. P. II, 242.)
Jeder erkennt sich ohne Weiteres als den Willen, d. h. als Dasjenige, was als Ding an sich nicht dem Satz vom Grunde unterworfen ist und das selbst von Nichts, von dem vielmehr alles Andere abhängt; aber nicht Jeder unterscheidet zugleich mit philosophischer Kritik und Besonnenheit sich als schon in der Zeit eingetretene und bestimmte Erscheinung dieses Willens, man könnte sagen Willensakt, von jenem Willen zum Leben selbst und sucht daher, statt sein ganzes Dasein als Akt seiner Freiheit zu erkennen, diese vielmehr in seinen einzelnen Handlungen, also an einem falschen Orte. (W. I, 597 fg.)
Die moralische Freiheit ist nirgends in der Natur, sondern nur außerhalb der Natur zu suchen. Sie ist ein Metaphysisches, aber in der physischen Welt ein Unmögliches. Demnach sind unsere einzelnen Taten keineswegs frei; hingegen ist der individuelle Charakter anzusehen als seine freie Tat. Er selbst ist ein Solcher, weil er ein für alle Mal ein Solcher sein will. (P. II, 242.)
Der täuschende Schein einer Freiheit in den einzelnen Handlungen beruht auf der im Menschen eintretenden deutlichen Sonderung des Intellekts vom Willen und folglich des Motivs von der Handlung. Wo im Unorganischen Ursachen, im Vegetabilischen Reize die Wirkung hervorrufen, ist, wegen der Einfachheit der Kausalverbindung, nicht der mindeste Schein von Freiheit. Aber schon beim animalischen Leben, wo, was bis dahin Ursache oder Reiz war, als Motiv auftritt, folglich in einem anderen Gebiete, im Gebiete der Vorstellung liegt, ist der kausale Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nicht mehr so augenfällig. Zwar ist er beim Tiere noch unverkennbar. Aber beim Menschen, dem eine unsichtbare Gedankenwelt im Kopfe Motive und Gegenmotive für sein Tun liefert, da entzieht sich jener Zusammenhang der Beobachtung (N. 77 fg.)

7) Teleologische Erklärung der Illusion der Freiheit bei jeder einzelnen Handlung.

Die Endursache des natürlichen Scheins der Freiheit des Willens bei jeder einzelnen Handlung ist folgende. Indem die Freiheit und Ursprünglichkeit, welche in Wahrheit allein dem intelligiblen Charakter eines Menschen, dessen bloße Auffassung durch den Intellekt sein Lebenslauf ist, zukommt, jeder einzelnen Handlung anzuhängen scheint und so das ursprüngliche Werk für das empirische Bewusstsein scheinbar in jeder einzelnen Handlung aufs Neue vollbracht wird; so erhält hierdurch unser Lebenslauf die größtmögliche moralische Ermahnung (νουτεθησις), indem sämtliche schlechte Seiten unseres Charakters uns dadurch erst recht fühlbar werden. Jede Tat nämlich begleitet das Gewissen mit dem Kommentar: Du könntest auch anders handeln, — obwohl dessen wahrer Sinn ist: Du könntest auch ein Anderer sein. (P. II, 250.)

8) Eintritt der Freiheit in die Erscheinung beim Menschen.

Im Menschen als der vollkommensten Erscheinung des Willens kann der Wille zum völligen Selbstbewusstsein, zum deutlichen und erschöpfenden Erkennen seines eigenen Wesens, wie es sich in der ganzen Welt abspiegelt, gelangen. Aus dem wirklichen Vorhandensein dieses Grades von Erkenntnis geht nicht nur die Kunst hervor (s. Kunst), sondern es wird durch sie auch, indem der Wille sie auf sich selbst bezieht, eine Aufhebung und Selbstverneinung desselben in seiner vollkommensten Erscheinung möglich; so dass die Freiheit, welche sonst, als nur dem Ding an sich zukommend, nie in der Erscheinung sich zeigen kann, in solchem Fall auch in dieser hervortritt und, indem sie das der Erscheinung zum Grunde liegende Wesen aufhebt, während diese selbst in der Zeit noch fortdauert, einen Widerspruch der Erscheinung mit sich selbst hervorbringt und gerade dadurch die Phänomene der Heiligkeit und Selbstverleugnung darstellt. Der Mensch unterscheidet sich also von allen anderen Erscheinungen des Willens dadurch, dass die Freiheit, d. h. Unabhängigkeit vom Satz des Grundes, welche nur dem Willen als Ding an sich zukommt und der Erscheinung widerspricht, dennoch bei ihm möglicherweise auch in die Erscheinung eintreten kann, wo sie aber dann notwendig als ein Widerspruch der Erscheinung mit sich selbst sich darstellt. In diesem Sinne kann nicht nur der Wille an sich, sondern sogar der Mensch allerdings frei genannt und dadurch von allen anderen Wesen unterschieden werden. (W. I, 339 fg. 355. 476—478.)