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Schopenhauers Kosmos

 

 Spiel. Spiele.

1) Ursprung des Spiels.

Nach der sehr richtigen Bemerkung des Aristoteles setzt jeglicher Genuss irgend eine Aktivität, also die Anwendung irgend einer Kraft voraus und kann ohne solche nicht bestehen. Nun ist die ursprüngliche Bestimmung der Kräfte, mit welchen die Natur den Menschen ausgerüstet hat, der Kampf gegen die Not, die ihn von allen Seiten bedrängt. Wenn aber dieser Kampf ein Mal rastet, da werden ihm die unbeschäftigten Kräfte zur Last; er muss daher jetzt mit ihnen spielen, d. h. sie zwecklos gebrauchen; denn sonst fällt er der andern Quelle des menschlichen Leidens, der Langeweile, sogleich anheim. (P. I, 353. Vergl. unter Langeweile: Wirkungen der Langeweile.)

2) Die Wahl der Spiele.

Jedes unbeschäftigte Individuum wird, je nach der Art der in ihm vorwaltenden Kräfte, sich ein Spiel zu ihrer Beschäftigung wählen, etwa Kegel, oder Schach; Jagd, oder Malerei; Wettrennen, oder Musik; Kartenspiel, oder Poesie; Heraldik, oder Philosophie u. s. w. Die Sache lässt sich sogar methodisch untersuchen, indem wir auf die Wurzel aller menschlichen Kraftäußerungen zurückgehen, also auf die drei physiologischen Grundkräfte (vergl. unter Lebenskraft: Die Lebenskraft an sich und ihre drei Erscheinungsformen), welche wir demnach hier in ihrem zwecklosen Spiel zu betrachten haben, in welchem sie als die Quelle dreier Arten möglicher Genüsse auftreten (vergl. Genuss), aus denen jeder Mensch, je nachdem die eine oder die andere jener Kräfte in ihm vorwaltet, die ihm angemessenen erwählen wird. (P. I, 354 fg.)

3) Über Karten- und Hasardspiel.

Dem normalen, gewöhnlichen Menschen kann eine Sache allein dadurch lebhafte Teilnahme abgewinnen, dass sie seinen Willen anregt, also ein persönliches Interesse für ihn hat. Ein absichtliches Erregungsmittel desselben, und zwar mittelst so kleiner Interessen, dass sie nur momentane und leichte, nicht bleibende und ernstliche Schmerzen verursachen können, sonach als ein bloßes Kitzeln des Willens zu betrachten sind, ist das Kartenspiel, diese durchgängige Beschäftigung der guten Gesellschaft aller Orten. (P. I, 356. W. I, 371. P. II, 74.)
Das Kartenspiel ist aus besagtem Grunde in allen Landen die Hauptbeschäftigung aller Gesellschaft geworden; es ist der Maßstab des Wertes derselben und der deklarierte Bankrott an allen Gedanken. Weil sie nämlich keine Gedanken auszutauschen haben, tauschen sie Karten aus und suchen einander Gulden abzunehmen. Indessen ließe sich zur Entschuldigung des Kartenspiels allenfalls anführen, dass es eine Vorübung zum Welt- und Geschäftsleben sei, sofern man dadurch lernt, die vom Zufall unabänderlich gegebenen Umstände (Karten) klug zu benutzen, um daraus was immer angeht zu machen, zu welchem Zwecke man sich denn auch gewöhnt, Contenance zu halten, indem man zum schlechten Spiel eine heitere Miene aufsetzt. Aber eben deshalb hat andererseits das Kartenspiel einen demoralisierenden Einfluss. Der gewinnsüchtige Geist des Spiels greift über in das praktische Leben. (P. I, 350 fg.)
Von der Langeweile sind vor Allen gemartert die Großen und Reichen. Bei diesen muss in der Jugend die Muskelkraft und die Zeugungskraft herhalten. Aber späterhin bleiben nur die Geisteskräfte; fehlt es dann an diesen, oder an ihrer Ausbildung und dem angesammelten Stoffe zu ihrer Tätigkeit, so ist der Jammer groß. Weil nun der Wille die einzige unerschöpfliche Kraft ist, so wird er jetzt angereizt durch Erregung der Leidenschaften, z. B. durch hohe Hasardspiele, dieses wahrhaft degradierende Laster. (P. I, 353 fg.)