1) Bedingung jedes Genuss.
Jeder Genuss besteht nur darin, dass eine Entbehrung aufgehoben,
ein Schmerz gestillt wird, ist also negativer Natur. (Vergl.
Befriedigung.)
Daher ist Bedürfnis und Wunsch die Bedingung jedes
Genuss.
Il n’est de vrais plaisirs, qu'avec de vrais besoins, wie
Voltaire sagt. (
E. 210.) In dem Maße, als die Genüsse zunehmen,
nimmt die Empfänglichkeit für sie ab; das Gewohnte wird nicht
mehr als Genuss empfunden. (
W. II, 657.)
2) Drei Arten von Genüssen.
Die drei physiologischen Grundkräfte bilden die Quellen
dreier Arten möglicher Genüsse. Es gibt demnach Genüsse der
Reproduktionskraft, Genüsse der Irritabilität und Genüsse der
Sensibilität. Je nach dem Vorwalten der einen oder der andern
dieser drei Kräfte, strebt der Mensch überwiegend nach der einen oder
der anderen dieser Arten des Genuss. Je edlerer Art die dem Genuss
zu Grunde liegende Kraft ist, desto edlerer Art wird der Genuss
sein. Der Vorrang, den in dieser Hinsicht die Sensibilität, deren
entschiedenes Überwiegen das Auszeichnende des Menschen vor den
übrigen Tiergeschlechtern ist, vor den beiden anderen physiologischen
Grundkräften hat, als welche in gleichem und sogar in höherem Grade
den Tieren einwohnen, ist unleugbar. Der Sensibilität gehören
unsere Erkenntniskräfte an; daher befähigt das Überwiegen derselben
zu den im Erkennen bestehenden, also den geistigen Genüssen, und
zwar zu um so größeren, je entschiedener jenes Überwiegen ist. (
P. I,
354 fg.) Der größte dem Menschen mögliche Genuss ist die intuitive
Erkenntnis der Wahrheit. (
M. 334.
H. 298.)
3) Wert der irdischen Genüsse.
Jedem Vorgang unseres Lebens gehört nur auf einen Augenblick
das Ist; sodann für immer das War. Die Zeit ist das, vermöge
dessen Alles jeden Augenblick unter unseren Händen zu Nichts wird;
wodurch es allen wahren Wert verliert. Real ist allein die Gegenwart,
weshalb vor der bedeutendsten Vergangenheit die unbedeutendste
Gegenwart die Wirklichkeit voraus hat. Auf Betrachtungen dieser
Art kann man nun allerdings die Lehre gründen, dass die Gegenwart
zu genießen die größte Weisheit sei, weil ja jene allein real, alles
Andere nur Gedankenspiel sei. Aber eben so gut könnte man es die
größte Torheit nennen; denn was im nächsten Augenblicke nicht
mehr ist, was verschwindet wie ein Traum, ist nimmermehr eines ernstlichen
Strebens Wert. (
P. II, 303 fg.) Wie töricht, zu bedauern,
dass man in vergangener Zeit die Gelegenheit zu diesem oder jenem
Genuss unbenutzt gelassen hat! — Was hätte man denn jetzt mehr
davon, als die dürre Mumie einer Erinnerung? — Die Form der
Zeit ist geradezu das Mittel und wie darauf berechnet, uns die
Nichtigkeit aller irdischen Genüsse beizubringen. (
P. II, 309.)