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Schopenhauers Kosmos

 

 Schrift.

1) Die Aufgabe aller Schrift.

Die Aufgabe aller Schrift ist, in der Vernunft des Anderen durch sichtbare Zeichen Begriffe zu erwecken. (P. II, 607.)

2) Wert der Schrift für die Geschichte der Menschheit.

(S. unter Denkmale: Wert der historischen Denkmale.)

3) Vorzug der Schrift vor der mündlichen Tradition.

Das Organ, womit man zur Menschheit redet, ist allein die Schrift; mündlich redet man bloß zu einer Anzahl Individuen; daher, was so gesagt wird, im Verhältnis zum Menschengeschlechte Privatsache bleibt. Die Tradition wird bei jedem Schritte verfälscht; die Schrift allein ist die treue Aufbewahrerin der Gedanken. Auch kommen die Gedanken zu möglichster Deutlichkeit und Bestimmtheit erst durch die Schrift; denn der schriftliche Vortrag ist ein wesentlich anderer, als der mündliche, indem er allein die höchste Präzision, Konzision und prägnante Kürze zulässt. Jeder tiefdenkende Geist hat daher das Bedürfnis, seine Gedanken durch die Schrift festzuhalten. Es wäre in einem Denker ein wunderlicher Übermut, die wichtigste Erfindung des Menschengeschlechts unbenutzt lassen zu wollen. Sonach wird es schwer, an den eigentlich großen Geist Derer zu glauben, die nicht geschrieben haben. (P. I, 45.)

4) Vergleichung der Schrift der Chinesen mit der Buchstabenschrift.

Wir verachten die Wortschrift der Chinesen. Aber, da die Aufgabe aller Schrift ist, in der Vernunft des Anderen durch sichtbare Zeichen Begriffe zu erwecken; so ist es offenbar ein großer Umweg, dem Auge zunächst nur ein Zeichen des hörbaren Zeichens derselben vorzulegen und allererst dieses zum Träger des Begriffs selbst zu machen, wodurch unsere Buchstabenschrift nur ein Zeichen des Zeichens ist. Es fragt sich demnach, welchen Vorzug denn das hörbare Zeichen vor dem sichtbaren habe, um uns zu vermögen, den geraden Weg vom Auge zur Vernunft liegen zu lassen und einen so großen Umweg einzuschlagen, wie der ist, das sichtbare Zeichen erst durch Vermittlung des hörbaren zum fremden Geiste reden zu lassen, während es offenbar einfacher wäre, nach Weise der Chinesen das sichtbare Zeichen unmittelbar zum Träger des Begriffes zu machen und nicht zum bloßen Zeichen des Lautes. Die hier nachgefragten Gründe nun würden folgende sein: 1) Wir greifen von Natur zuerst zum hörbaren Zeichen und gelangen so zu einer Sprache für das Ohr, ehe wir nur daran gedacht haben, eine für das Gesicht zu erfinden. Nachmals aber ist es kürzer, diese letztere auf jene andere zurückzuführen, als eine ganz neue, ja andersartige Sprache für das Auge zu erfinden. 2) Das Gesicht kann zwar mannigfaltigere Modifikationen fassen, als das Ohr; aber solche für das Auge hervorzubringen, vermögen wir nicht wohl ohne Werkzeuge, wie doch für das Ohr. Auch würden wir die sichtbaren Zeichen nimmer mit der Schnelligkeit hervorbringen und wechseln lassen können, wie, vermöge der Volubilität der Zunge, die hörbaren. Dieses also macht von Hause aus das Gehör zum wesentlichen Sinne der Sprache und dadurch der Vernunft. Doch, die Sache abstrakt, rein theoretisch und a priori betrachtet, bleibt das Verfahren der Chinesen das eigentlich richtige. Auch hat die Erfahrung einen überaus großen Vorzug der chinesischen Schrift zu Tage gebracht. Man braucht nämlich nicht Chinesisch zu können, um sich darin auszudrücken; sondern jeder liest sie in seiner eigenen Sprache ab, gerade so, wie unsere Zahlzeichen, welche überhaupt für die Zahlenbegriffe Das sind, was die chinesischen Schriftzeichen für alle Begriffe; und die algebraischen Zeichen sind es sogar für abstrakte Größenbegriffe. (P. II, 607—609.)