1) Die reine Rechtslehre.
Die reine Rechtslehre ist ein Kapitel der Moral und bezieht
sich direkt bloß auf das Thun, nicht auf das Leiden. Denn nur
jenes ist Äußerung des Willens, und diesen allein betrachtet die Moral.
Leiden ist bloß Begebenheit; bloß indirekt kann die Moral auch das
Leiden berücksichtigen, nämlich allein um nachzuweisen, dass, was bloß
geschieht, um kein Unrecht zu leiden, kein Unrechttun ist. — Die
Ausführung jenes Kapitels der Moral würde zum Inhalt haben die
genaue Bestimmung der Grenze, bis zu welcher ein Individuum in
der Bejahung des schon in seinem Leibe objektivierten Willens gehen
kann, ohne dass dieses zur Verneinung eben jenes Willens, sofern er
in einem anderen Individuum erscheint, werde, und sodann auch der
Handlungen, welche diese Grenze überschreiten, folglich Unrecht sind und
daher auch wieder ohne Unrecht abgewehrt werden können. Immer also
bliebe das eigene Tun das Augenmerk der Betrachtung. (
W. I, 404.)
2) Verhältnis der reinen Rechtslehre zur positiven Gesetzgebung.
Die reine Rechtslehre, oder das Naturrecht, besser moralisches Recht,
liegt jeder rechtlichen positiven Gesetzgebung so zum Grunde, wie die
reine Mathematik jedem Zweige der angewandten. Die wichtigsten
Punkte der reinen Rechtslehre, wie die Philosophie sie der Gesetzgebung
zu überliefern hat, sind folgende:
1) Erklärung der inneren und eigentlichen
Bedeutung und des Ursprungs der Begriffe Unrecht und Recht,
und ihrer Anwendung und Stelle in der Moral.
2) Die Ableitung
des Eigentumsrechts.
3) Die Ableitung der moralischen Gültigkeit
der Verträge, da diese die moralische Grundlage des Staatsvertrages
ist.
4) Die Erklärung der Entstehung und des Zweckes des Staates,
des Verhältnisses dieses Zweckes zur Moral und der in Folge dieses
Verhältnisses zweckmäßigen Übertragung der moralischen Rechtslehre,
durch Umkehrung, auf die Gesetzgebung. (Vergl.
Gesetzgebung.)
5) Die
Ableitung des Strafrechtes. (
W. I, 409 fg.)