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Schopenhauers Kosmos

 

 Rationalismus.

I. Der philosophische Rationalismus.

In der Philosophie besteht ein Gegensatz zwischen Rationalismus und Illuminismus. (S. unter Philosophie: Methode der Philosophie.)

II. Der theologische Rationalismus.

1) Der Streit zwischen Supranaturalismus und Rationalismus.

Auf dem Verkennen der allegorischen Natur jeder Religion beruht der in unseren Tagen so anhaltend geführte Streit zwischen Supranaturalisten und Rationalisten. Beide nämlich wollen das Christentum sensu proprio wahr haben; in diesem Sinne wollen die ersteren es ohne Abzug, gleichsam mit Haut und Haar, behaupten, wobei sie den Kenntnissen und der allgemeinen Bildung des Zeitalters gegenüber einen schweren Stand haben. Die Anderen hingegen suchen alles eigentümlich Christliche hinauszuexegesieren, wonach sie etwas übrig behalten, das weder sensu proprio, noch sensu allegorico wahr ist, vielmehr eine bloße Plattitüde, beinahe nur Judentum, oder höchstens Pelagianismus, und, was das Schlimmste, niederträchtiger Optimismus, der dem eigentlichen Christentum durchaus fremd ist. (W. II, 184. 692. G. 122.)
Die Rationalisten sind ehrliche Leute, jedoch platte Gesellen, die vom tiefen Sinne des neutestamentlichen Mythos (von der Erbsünde und der Versöhnung durch den Erlöser) keine Ahndung haben und nicht über den jüdischen Optimismus hinaus können. Sie wollen die nackte trockene Wahrheit im Historischen, wie im Dogmatischen. Man kann sie dem Euhemerismus des Altertums vergleichen. Freilich ist, was die Supranaturalisten bringen, im Grunde eine Mythologie; aber dieselbe ist das Vehikel wichtiger, tiefer Wahrheiten, welche dem Verständnis des großen Haufens nahe zu bringen auf anderem Wege nicht möglich wäre. Der gemeinsame Irrtum beider Parteien ist, dass sie in der Religion die unverschleierte, trockene, buchstäbliche Wahrheit suchen, während sie doch nur eine Wahrheit hat, wie sie dem Volke angemessen ist, eine indirekte, symbolische, allegorische. Die Supranaturalisten wollen die Allegorie des Christentums als an sich wahr behaupten; die Rationalisten wollen sie umdeuteln und modeln, bis sie, so nach ihrem Maßstabe, an sich wahr sein könne. Die Rationalisten sagen zu den Supranaturalisten: eure Lehre ist nicht wahr. Diese hingegen zu jenen: eure Lehre ist kein Christentum. Beide haben Recht. Während aber doch der Supranaturalismus allegorische Wahrheit hat, kann man dem Rationalismus gar keine zuerkennen. Wer ein Rationalist sein will, muss ein Philosoph sein und als solcher sich von aller Auktorität emanzipieren. Will man aber ein Theologe sein; so sei man konsequent und verlasse nicht das Fundament der Auktorität. Entweder glauben, oder philosophieren! was man erwählt, sei man ganz. Aber glauben, bis auf einen gewissen Punkt und nicht weiter, und eben so philosophieren bis auf einen gewissen Punkt und nicht weiter, — Dies ist die Halbheit, welche den Grundcharakter des Rationalismus ausmacht. Hingegen sind die Rationalisten moralisch gerechtfertigt, sofern sie ganz ehrlich zu Werke gehen und nur sich selbst täuschen; während die Supranaturalisten doch wohl mit ihrem Ausgeben einer bloßen Allegorie für bare Wahrheit meistens absichtlich Andere zu täuschen suchen. Während die Rationalisten flache Gesellen ohne Sinn für den Geist des Christentums sind, so sind die Supranaturalisten bisweilen etwas viel Schlimmeres, nämlich Pfaffen im ärgsten Sinne des Wortes. (P. II, 415—418. 689.)

2) Gefährlichkeit des Rationalismus für die Religion.

Der Versuch, eine Religion aus der Vernunft zu begründen, versetzt sie in die andere Klasse der Metaphysik, in die, welche ihre Beglaubigung in sich selbst hat (vergl. unter Metaphysik: Unterschied zweier Arten von Metaphysik), also auf einen fremden Boden, auf den der philosophischen Systeme, und sonach in den Kampf, den diese, auf ihrer eigenen Arena, gegen einander führen, folglich unter das Gewehrfeuer des Skeptizismus und das schwere Geschütz der Kritik der reinen Vernunft; sich aber dahin zu begeben, wäre für sie offenbare Vermessenheit. (W. II, 185.)
In der christlichen Religion ist das Dasein Gottes eine ausgemachte Sache und über alle Untersuchung erhaben. So ist es Recht; denn dahin gehört es und ist daselbst durch Offenbarung begründet. Es ist daher ein Missgriff der Rationalisten, wenn sie, in ihren Dogmatiken, das Dasein Gottes anders, als aus der Schrift, zu beweisen versuchen; sie wissen in ihrer Unschuld nicht, wie gefährlich diese Kurzweil ist. (P. I, 115.)

3) Widerspruch des Rationalismus mit der Bibel.

Die Versuche, den Theismus vom Anthropomorphismus zu reinigen, greifen, indem sie nur an der Schale zu arbeiten wähnen, geradezu sein innerstes Wesen an; durch ihr Bemühen, seinen Gegenstand abstrakt zu fassen, sublimieren sie ihn zu einer undeutlichen Nebelgestalt, deren Umriss unter dem Streben, die menschliche Figur zu vermeiden, allmählich ganz verfließt, wodurch denn der kindliche Grundgedanke selbst endlich zu nichts verflüchtigt wird. Den rationalistischen Theologen, denen dergleichen Versuche eigentümlich sind, kann man überdies vorwerfen, dass sie geradezu mit der heiligen Urkunde in Widerspruch treten, welche sagt: Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde; zum Bilde Gottes schuf er ihn. (P. I, 127.)