1) Wer mit viel Phantasie begabt ist.
Viel Phantasie hat der, dessen anschauende Gehirntätigkeit
stark genug ist, nicht jedes Mal der Erregung der Sinne zu bedürfen,
um in Aktivität zu geraten. (
P. II, 639.)
2) Wann die Phantasie am tätigsten ist.
Die Phantasie ist um so tätiger, je weniger äußere Anschauung
uns durch die Sinne zugeführt wird. Lange Einsamkeit, im Gefängnis,
oder in der Krankenstube, Stille, Dämmerung, Dunkelheit sind
ihrer Tätigkeit förderlich; unter dem Einfluss derselben beginnt sie
unaufgefordert ihr Spiel. Umgekehrt, wann der Anschauung viel realer
Stoff von außen gegeben wird, wie auf Reisen, im Weltgetümmel, am
hellen Mittag dann feiert die Phantasie. (
P. II, 639 fg.)
3) Die Nahrung der Phantasie.
Obgleich die Phantasie gerade dann feiert, wann der Anschauung
viel realer Stoff von außen geboten wird; so muss sie doch, um sich
fruchtbar zu erweisen, vielen Stoff von der Außenwelt empfangen
haben; denn diese allein füllt ihre Vorratskammer. Aber es ist mit
der Nahrung der Phantasie, wie mit der des Leibes. Wann diesem
so eben von außen viel Nahrung zugeführt worden, die er zu verdauen
hat, dann ist er gerade am untüchtigsten zu jeder Leistung und feiert
gern; und doch ist es eben diese Nahrung, der er alle Kräfte verdankt,
welche er nachher zur rechten Zeit äußert. (
P. II, 640.)
4) Die Phantasie als Werkzeug des Denkens.
Alles Urdenken geschieht in Bildern; darum ist die Phantasie ein
so notwendiges Werkzeug desselben, und werden phantasielose Köpfe
nie etwas Großes leisten, — es sei denn in der Mathematik.
(
W. II, 77.)
5) Die Phantasie als Hilfsmittel des Gedächtnisses.
(S. unter
Gedächtnis: Einfluss der Anschaulichkeit der
Vorstellungen.)
6) Die Phantasie als wesentlicher Bestandteil der Genialität.
(S.
Genie. Genialität.)
7) Unterschied zwischen Phantasiebildern und Träumen.
(S.
Traum.)
8) Die Zügelung der Phantasie als eine Bedingung des Lebensglücks.
In Allem, was unser Wohl und Wehe betrifft, sollen wir die
Phantasie im Zügel halten; also zuvörderst keine Luftschlösser bauen,
weil diese zu kostspielig sind, indem wir, gleich darauf, sie unter Seufzern
wieder einzureißen haben. Aber noch mehr sollen wir uns hüten,
durch das Ausmalen bloß möglicher Unglücksfälle unser Herz zu ängstigen.
Wir sollen die Dinge, welche unser Wohl und Wehe betreffen,
bloß mit dem Auge der Vernunft und der Urteilskraft betrachten, die
Phantasie soll dabei aus dem Spiele bleiben; denn urteilen kann sie
nicht, sondern bringt bloße Bilder vor die Augen, welche das Gemüt
unnützer und oft sehr peinlicher Weise bewegen. Zur anempfohlenen
Zügelung der Phantasie gehört auch, ihr nicht die Wiedervergegenwärtigung
und Ausmalung ehemals erlittener Verluste, Beleidigungen,
Kränkungen u. s. w. zu gestatten, weil wir dadurch den längst schlummernden
Unwillen, Zorn und alle das Gemüt verunreinigenden Leidenschaften
wieder aufregen. (
P. I, 461—464. 468.)