Optimismus.
1) Ursprung des Optimismus.
Die Erklärung der Welt aus einem Anaxagorischen νους, d. h. aus einem von Erkenntnis geleiteten Willen, verlangt zu ihrer Beschönigung notwendig den Optimismus, der alsdann, dem laut schreienden Zeugnis einer ganzen Welt voll Elend zum Trotz, aufgestellt und verfochten wird. (W. II, 663.)
Den eigentlichen, aber verheimlichten Ursprung des Optimismus,
nämlich heuchelnde Schmeichelei gegen Gott, mit beleidigendem Vertrauen
auf ihren Erfolg, hat schonungslos, aber mit siegender Wahrheit
David Hume aufgedeckt in seiner Natural history of religion.
(W. II, 665. 667.)
2) Unvereinbarkeit des Optimismus mit der Beschaffenheit der Welt.
Es ist eine schreiende Absurdität, dieser Welt, diesem Tummelplatz gequälter und geängstigter Wesen, welche nur dadurch bestehen, dass eines das andere verzehrt, und in welcher mit der Erkenntnis die Fähigkeit Schmerz zu empfinden wächst, welche daher im Menschen ihren höchsten Grad erreicht, — das System des Optimismus anpassen und diese Welt als die beste unter den möglichen demonstrieren zu wollen. (W. II, 664 fg. 205.) Wie schon Voltaire im Candide durch den Namen seines Helden andeutet, bedarf es nur der Aufrichtigkeit, um das Gegenteil des Optimismus zu erkennen. Wirklich macht auf diesem Schauplatz der Sünde, des Leidens und des Todes der Optimismus eine so seltsame Figur, dass man ihn für Ironie halten müsste, hätte man nicht an der von Hume aufgedeckten geheimen Quelle desselben eine hinlängliche Erklärung seines Ursprungs. (W. II. 667. P. II, 326 fg. 599.)3) Widerlegung der aus der Schönheit und Zweckmäßigkeit der Welt geschöpften Beweise für den Optimismus.
Ein Optimist heißt uns die Augen öffnen und hineinsehen in die Welt, wie sie so schön sei im Sonnenschein mit ihren Bergen, Tälern, Strömen, Pflanzen, Tieren u. s. w. — Aber ist denn die Welt ein Guckkasten? Zu sehen sind diese Dinge freilich schön; aber sie zu sein ist ganz etwas Anderes. — Dann kommt ein Teleologe und preist uns die weise Einrichtung der Welt. Aber wenn man zu den Resultaten des gepriesenen Werkes fortschreitet und die sündhaften und unglücklichen, von Gier und Leiden gepeinigten Spieler betrachtet, die auf der so dauerhaft gezimmerten Weltbühne agieren, — da wird, wer nicht heuchelt, schwerlich zu Hallelujas gestimmt sein. (W. II, 665. 676.)4) Beweis des dem Optimismus entgegengesetzten Satzes.
Den handgreiflich sophistischen Beweisen Leibniz', dass diese Welt die beste unter den möglichen sei, lässt sich ernstlich und ehrlich der Beweis entgegenstellen, dass sie die schlechteste unter den möglichen sei. Denn möglich heißt nicht, was Einer etwa sich vorphantasieren mag, sondern was wirklich existieren und bestehen kann. Nun ist diese Welt so eingerichtet, wie sie sein musste, um mit genauer Not bestehen zu können; wäre sie aber noch ein wenig schlechter, so könnte sie schon nicht mehr bestehen. Folglich ist eine schlechtere, da sie nicht bestehen könnte, gar nicht möglich, sie selbst also unter den möglichen die schlechteste. — Die Versteinerungen der unseren Planeten ehemals bewohnenden, ganz andersartigen Tiergeschlechter liefern uns die Dokumente von Welten, deren Bestand nicht mehr möglich war, die mithin noch etwas schlechter waren, als die schlechteste unter den möglichen. (W. II, 667 fg.)5) Schädlichkeit des Optimismus.
Der Optimismus ist in den Religionen, wie in den Philosophien, ein Grundirrtum, der aller Wahrheit den Weg vertritt. (W. II, 717.)
Der Optimismus ist im Grunde das unberechtigte Selbstlob des
eigentlichen Urhebers der Welt, des Willens zum Leben, der sich
wohlgefällig in seinem Werke spiegelt, und demgemäß ist er nicht nur
eine falsche, sondern auch eine verderbliche Lehre. Denn er stellt uns
das Leben als einen wünschenswerten Zustand, und als Zweck desselben
das Glück des Menschen dar. Davon ausgehend, glaubt dann Jeder
den gerechten Anspruch auf Glück und Genuss zu haben; werden nun
diese, wie es zu geschehen pflegt, ihm nicht zu Teil, so glaubt er,
ihm geschehe Unrecht, ja er verfehle den Zweck seines Daseins; —
während es viel richtiger ist, Arbeit, Entbehrung, Not und Leiden,
gekrönt durch den Tod, als den Zweck unseres Lebens zu betrachten,
weil diese es sind, die zur Verneinung des Willens zum Leben leiten.
(W. II, 669.)
Der Optimismus, wo er nicht etwa das gedankenlose Reden Solcher
ist, unter deren platten Stirnen nichts als Worte herbergen, ist nicht
bloß eine absurde, sondern auch eine wahrhaft ruchlose Denkungsart,
ein bitterer Hohn über die namenlosen Leiden der Menschheit.
(W. I, 385.)