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Schopenhauers Kosmos

 

 Oper.

1) Verhältnis der Musik in der Oper zum Text.

Die Tonkunst zeigt am Operntext ihre Macht und höhere Befähigung, indem sie über die in den Worten ausgedrückte Empfindung oder die in der Oper dargestellte Handlung die tiefsten, letzten, geheimsten Aufschlüsse gibt, das eigentliche und wahre Wesen derselben ausspricht und uns die innerste Seele der Vorgänge und Begebenheiten kennen lehrt, deren bloße Hülle und Leib die Bühne darbietet. Hinsichtlich dieses Übergewichts der Musik, wie auch sofern sie zum Text und zur Handlung im Verhältnis des Allgemeinen zum Einzelnen, der Regel zum Beispiele steht, möchte es vielleicht passender scheinen, dass der Text zur Musik gedichtet würde, als dass man die Musik zum Texte komponiert. Inzwischen leiten, bei der üblichen Methode, die Worte und Handlungen des Textes den Komponisten auf die ihnen zum Grunde liegenden Affektionen des Willens und rufen in ihm selbst die auszudrückenden Empfindungen hervor, wirken mithin als Anregungsmittel seiner musikalischen Phantasie. (W. II, 511.)
Die Musik einer Oper, wie die Partitur sie darstellt, hat eine völlig unabhängige, gesonderte, gleichsam abstrakte Existenz für sich, welcher die Hergänge und Personen des Stücks fremd sind, und die ihre eigenen unwandelbaren Regeln befolgt; daher sie auch ohne den Text vollkommen wirksam ist. Diese Musik aber, da sie mit Rücksicht auf das Drama komponiert wurde, ist gleichsam die Seele desselben, indem sie, in ihrer Verbindung mit den Vorgängen, Personen und Worten, zum Ausdruck der inneren Bedeutung und der auf dieser beruhenden, letzten und geheimen Notwendigkeit aller jener Vorgänge wird. Dabei jedoch zeigt in der Oper die Musik ihre heterogene Natur und höhere Wesenheit durch ihre gänzliche Indifferenz gegen alles Materielle der Vorgänge, in Folge welcher sie den Sturm der Leidenschaften und das Pathos der Empfindungen überall auf gleiche Weise ausdrückt und mit dem selben Pomp ihrer Töne begleitet, mag Agamemnon und Achill, oder der Zwist einer Bürgerfamilie, das Materielle des Stücks liefern. Denn für sie sind bloß die Leidenschaften, die Willensbewegungen vorhanden; sie assimiliert sich nie dem Stoffe. (W. II, 512.)

2) Kritik der großen Oper.

Die große Oper ist eigentlich kein Erzeugnis des reinen Kunstsinnes, vielmehr des etwas barbarischen Begriffs von Erhöhung des ästhetischen Genuss mittelst Anhäufung der Mittel, Gleichzeitigkeit ganz verschiedenartiger Eindrücke und Verstärkung der Wirkung durch Vermehrung der wirkenden Masse und Kräfte; während doch die Musik, als die mächtigste aller Künste, für sich allein den für sie empfänglichen Geist vollkommen auszufüllen vermag; ja, ihre höchsten Produktionen, um gehörig aufgefasst und genossen zu werden, den ganzen, ungeteilten und unzerstreuten Geist verlangen, damit er sich ihnen hingebe und sich in sie versenke, um ihre so unglaublich innige Sprache ganz zu verstehen. Durch das bunte Gepränge der großen Oper wird dem Erreichen des musikalischen Hauptzweckes gerade entgegengearbeitet. (P. II, 465 fg.)
Streng genommen könnte man die Oper eine unmusikalische Erfindung zu Gunsten unmusikalischer Geister nennen. Ja, man kann sagen, die Oper sei zu einem Verderb der Musik geworden. (P. II, 466 fg.)

3) Vorzug der Messe vor der Oper.

(S. Messe.)

4) Die Ouvertüre der Oper.

Die Ouvertüre soll zur Oper vorbereiten, indem sie den Charakter der Musik und auch den Verlauf der Vorgänge ankündigt; jedoch darf Dies nicht zu explizit und deutlich geschehen; sondern nur so, wie man im Traum das Kommende vorhersieht. (P. II, 468 fg.)

5) Dauer der Oper.

Die große Oper ist, indem sie schon durch ihre dreistündige Dauer unsere musikalische Empfänglichkeit immer mehr abstumpft, während dabei der Schneckengang einer meistens sehr faden Handlung unsere Geduld auf die Probe stellt, an sich selbst, wesentlich und essentiell, langweiliger Natur. Man sollte daher suchen, die Oper mehr zu konzentrieren und zu kontrahieren, um sie, wo möglich, auf Einen Akt und Eine Stunde zu beschränken. Die längste Dauer einer Oper sollte zwei Stunden sein, die eines Dramas hingegen drei Stunden, weil die zu diesem erforderte Aufmerksamkeit und Geistesanspannung länger anhält, indem sie uns viel weniger angreift, als die unausgesetzte Musik, welche am Ende zu einer Nervenqual wird. (P. II, 468.)