1) Relativität des Begriffs des Nichts.
Der Begriff des Nichts ist wesentlich relativ und bezieht sich immer
nur auf ein bestimmtes Etwas, welches er negiert. Man hat diese
Eigenschaft nur dem
nihil privativum, welches das im Gegensatz
eines + mit — Bezeichnete ist, zugeschrieben, welches —, bei umgekehrtem
Gesichtspunkte, zu + werden könnte, und hat im Gegensatz zu
diesem
nihil privativum das
nihil negativum aufgestellt, welches in
jeder Beziehung Nichts wäre, wozu man als Beispiel den logischen,
sich selbst aufhebenden Widerspruch gebraucht. Näher betrachtet aber
ist kein absolutes Nichts auch nur denkbar. Selbst ein logischer
Widerspruch ist nur ein relatives Nichts. Er ist kein Gedanke der
Vernunft; aber er ist darum kein absolutes Nichts. (
W. I, 484.)
Das Nichts vor der Geburt und nach dem Tode, dieses empirische
Nichts, ist keineswegs ein absolutes, d. h. ein solches, welches in jedem
Sinne nichts wäre. (
W. II, 548. Vergl.
Entstehen und Vergehen
und
Tod.)
2) Das nach Verneinung der Welt übrig bleibende Nichts.
Auch nach Negation des allgemein als positiv Angenommenen, welches
wir das Seiende nennen, bleibt kein absolutes Nichts übrig,
sondern nur ein relatives. Ein Wechsel des Standpunkts würde die
Zeichen vertauschen lassen und das für uns Seiende (die Welt der
Vorstellung, d. i. die Objektität des Willens) als das Nichts und
das Nichts derselben als das Seiende zeigen. Was nach gänzlicher Aufhebung
des Willens übrig bleibt, ist für alle Die, welche noch des
Willens voll sind, allerdings Nichts. Aber auch umgekehrt ist Denen,
in welchen der Wille sich gewendet und verneint hat, diese unsere so
sehr reale Welt mit allen ihrer Sonnen und Milchstraßen — Nichts.
So lange wir der Wille zum Leben sind, kann freilich das nach Verneinung
der Welt Übrigbleibende von uns nur negativ erkannt und
bezeichnet werden. (
W. I, 485—487.)
3) Grund des Abscheus vor dem Nichts und Gegenmittel gegen denselben.
Das, was sich gegen die Verneinung der Welt als ein Zerfließen
ins Nichts sträubt, unsere Natur, ist ja eben nur der Wille zum
Leben, der wir selbst sind, wie er unsere Welt ist. Dass wir so sehr
das Nichts verabscheuen, ist nichts weiter, als ein anderer Ausdruck
davon, dass wir so sehr das Leben wollen, und nichts sind, als dieser
Wille, und nichts kennen, als eben ihn. Durch Betrachtung des Lebens
und Wandels der Heiligen haben wir den finsteren Eindruck jenes Nichts
zu verscheuchen. (
W. I, 486 fg.)