Musik.
1) Unterschied der Musik von den anderen Künsten.
Die Musik steht ganz abgesondert von den anderen schönen Künsten. Sie ist nicht die Nachbildung, Wiederholung irgend einer Idee der Wesen in der Welt; dennoch muss sie sich, analog den übrigen Künsten, zur Welt in irgend einem Sinne wie Darstellung zum Dargestellten, wie Nachbild zum Vorbild verhalten. Auch muss ihre nachbildliche Beziehung zur Welt eine sehr innige, unendlich wahre und richtig treffende sein, weil sie von Jedem augenblicklich verstanden wird und eine gewisse Unfehlbarkeit dadurch zu erkennen gibt, dass ihre Form sich auf ganz bestimmte, in Zahlen auszudrückende Regeln zurückführen lässt. Worin besteht nun diese eigentümliche nachbildliche Beziehung der Musik zur Welt, durch die sie sich von den anderen Künsten unterscheidet? In Folgendem. Zweck aller anderen Künste ist, die Erkenntnis der Ideen durch Darstellung einzelner Dinge anzuregen. Sie alle objektivieren also den Willen nur mittelbar, nämlich mittelst der Ideen. Die Musik hingegen, die Ideen übergehend, ist eine so unmittelbare Objektivation und Abbild des ganzen Willens, wie die Welt selbst es ist, ja wie die Ideen es sind. Die Musik ist also keineswegs, gleich den anderen Künsten, das Abbild der Ideen; sondern Abbild des Willens selbst, dessen Objektität auch die Ideen sind. Deshalb eben ist die Wirkung der Musik so sehr viel mächtiger, als die der andern Künste; denn diese reden nur vom Schatten, sie aber vom Wesen. Da es inzwischen der selbe Wille ist, der sich sowohl in den Ideen, als in der Musik, nur in jedem von beiden auf verschiedene Weise, objektiviert; so muss ein Parallelismus, eine Analogie sein zwischen der Musik und den Ideen. (W. I, 302—304.)
Die Musik ist darin von allen anderen Künsten verschieden, dass sie
nicht Abbild der Erscheinung oder, richtiger, der adäquaten Objektität
des Willens, sondern unmittelbar Abbild des Willens selbst ist und
also zu allem Physischen der Welt das Metaphysische, zu aller Erscheinung
das Ding an sich darstellt. Man könnte demnach die Welt
ebenso wohl verkörperte Musik, als verkörperten Willen nennen. (W.
I, 310.) Gesetzt daher, es gelänge eine vollkommen richtige, vollständige
und ins Einzelne gehende Erklärung der Musik, also eine ausführliche
Wiederholung dessen, was sie ausdrückt, in Begriffen zu geben,
so würde diese sofort auch eine genügende Wiederholung und Erklärung
der Welt in Begriffen, oder einer solchen ganz gleichlautend, also die
wahre Philosophie sein. (W. I, 312 fg.) Allgemein und zugleich
populär redend kann man sagen: die Musik überhaupt ist die Melodie,
zu der die Welt der Text ist. (P. II, 463.)
(Über den Gegensatz zwischen Musik und Architektur und die Analogie
beider s. unter Architektur: Vergleichung der Baukunst mit
den übrigen Künsten.)
2) Analogie zwischen der Musik und der erscheinenden Welt.
In den tiefsten Tönen der Harmonie, im Grundbass, sind die niedrigsten Stufen der Objektivation des Willens wiederzuerkennen, die unorganische Natur, die Masse des Planeten, auf der Alles ruht und aus der sich Alles erhebt und entwickelt. In den gesamten die Harmonie hervorbringenden Ripienstimmen, zwischen dem Bass und der leitenden, die Melodie singenden Stimme, ist die gesamte Stufenfolge der Ideen wiederzuerkennen, in denen der Wille sich objektiviert. Die dem Bass näher stehenden sind die niedrigeren jener Stufen, die noch unorganischen, aber schon mehrfach sich äußernden Körper; die höher liegenden repräsentieren die Pflanzen- und Tierwelt. — In der Melodie, in der hohen, singenden, das Ganze leitenden und in bedeutungsvollem Zusammenhang eines Gedankens von Anfang bis zum Ende fortschreitenden, ein Ganzes darstellenden Hauptstimme ist die höchste Stufe der Objektivation des Willens wiederzuerkennen, das besonnene Leben und Streben des Menschen. Die Melodie drückt in ihrem Abweichen, Abirren vom Grundton, auf tausend Wegen, das vielgestaltete Streben des Willens aus, aber immer auch, durch das endliche Wiederfinden einer harmonischen Stufe, und noch mehr des Grundtones, die Befriedigung. — Wie schneller Übergang vom Wunsch zur Befriedigung und von dieser zum neuen Wunsch Glück und Wohlsein ist, so sind rasche Melodien, ohne große Abirrungen, fröhlich; langsame, auf schmerzliche Dissonanzen geratende und erst durch viele Takte sich wieder zum Grundton zurückwindende sind, als analog der verzögerten, erschwerten Befriedigung, traurig. Die Unerschöpflichkeit möglicher Melodien entspricht der Unerschöpflichkeit der Natur an Verschiedenheit der Individuen, Physiognomien und Lebensläufe. (W. I, 304—308. 183. 378; II, 509 fg. 515. P. I, 42.)
So wie die höchste Stufe der Objektivation des Willens, der Mensch,
nicht allein und abgerissen in der Natur erscheinen konnte, sondern die
unter ihm stehenden Stufen und diese immer wieder die tieferen voraussetzten;
ebenso nun ist die Musik erst vollkommen in der vollständigen
Harmonie. Die hohe leitende Stimme der Melodie bedarf, um ihren
ganzen Eindruck zu machen, der Begleitung aller anderen Stimmen, bis
zum tiefsten Bass, welcher als der Ursprung aller anzusehen ist; die
Melodie greift selbst als integrierender Teil in die Harmonie ein, wie
auch diese in jene; und wie nur so, im vollstimmigen Ganzen, die
Musik ausspricht, was sie auszusprechen bezweckt, so findet der eine
und außerzeitliche Wille seine vollkommene Objektivation nur in der
vollständigen Vereinigung aller der Stufen, welche in unzähligen Graden
gesteigerter Deutlichkeit sein Wesen offenbaren. (W. I, 313 fg.)
Eine fernere sehr merkwürdige Analogie ist folgende. In der Natur
bleibt, ungeachtet des Sichanpassens aller Willenserscheinungen zu einander
in Hinsicht auf die Arten, dennoch ein nicht aufzuhebender Widerstreit
zwischen jenen Erscheinungen als Individuen, ist auf allen Stufen
derselben sichtbar und macht die Welt zu einem beständigen Kampfplatz
aller jener Erscheinungen des einen und selben Willens, dessen
innerer Widerspruch mit sich selbst dadurch sichtbar wird. Diesem entsprechend
ist in der Musik ein vollkommen reines harmonisches System
der Töne nicht nur physisch, sondern sogar schon arithmetisch unmöglich.
Daher lässt eine vollkommen richtige Musik sich nicht einmal
denken, geschweige ausführen, und deshalb weicht jede mögliche Musik
von der vollkommenen Reinheit ab. (W. I, 314.)
3) Allgemeinheit der Sprache der Musik bei durchgängiger Bestimmtheit.
Da die Musik nie die Erscheinung, sondern allein das innere Wesen, das Ansich aller Erscheinung, den Willen selbst ausspricht, so ist ihre Sprache eine im höchsten Grad allgemeine. Sie drückt nicht diese oder jene einzelne und bestimmte Freude, diese oder jene Betrübnis, oder Schmerz, oder Entsetzen, oder Gemütsruhe aus; sondern die Freude, die Betrübnis, den Schmerz, das Entsetzen, die Gemütsruhe selbst, gewissermaßen in abstrakto, das Wesentliche derselben, ohne alles Beiwerk, also auch ohne die Motive dazu. Dennoch verstehen wir sie in dieser abgezogenen Quintessenz vollkommen. Überall drückt die Musik nur die Quintessenz des Lebens und seiner Vorgänge aus, nie diese selbst, deren Unterschiede daher auf jene nicht allemal einfließen. Gerade diese ihr ausschließlich eigene Allgemeinheit, bei genauester Bestimmtheit, gibt ihr den hohen Wert, welchen sie als Panakeion aller unserer Leiden hat. Die im höchsten Grad allgemeine Sprache der Musik verhält sich sogar zur Allgemeinheit der Begriffe ungefähr, wie diese zu den einzelnen Dingen. Dennoch ist ihre Allgemeinheit keineswegs jene leere der Abstraktion, sondern ganz anderer Art und ist verbunden mit durchgängiger deutlicher Bestimmtheit. Sie gleicht hierin den geometrischen Figuren und den Zahlen, welche als die allgemeinen Formen aller möglichen Objekte der Erfahrung und auf alle a priori anwendbar, doch nicht abstrakt, sondern anschaulich und durchgängig bestimmt sind. (W. I, 302. 309. fg. P. II, 462.)4) Die physische und arithmetische Grundlage der Musik in ihrer Beziehung zur metaphysischen Bedeutung.
Die Musik ist ein Mittel, rationale und irrationale Zahlenverhältnisse nicht etwa, wie die Arithmetik, durch Hilfe des Begriffs fasslich zu machen, sondern dieselben zu einer ganz unmittelbaren und simultanen sinnlichen Erkenntnis zu bringen. Die Verbindung der metaphysischen Bedeutung der Musik mit dieser ihrer physischen und arithmetischen Grundlage beruht nun darauf, dass das unserer Apprehension Widerstrebende, das Irrationale, oder die Dissonanz, zum natürlichen Bilde des unserm Willen Widerstrebenden wird; und umgekehrt wird die Konsonanz, oder das Rationale, indem sie unserer Auffassung sich leicht fügt, zum Bilde der Befriedigung des Willens. Da nun ferner jenes Rationale und Irrationale in den Zahlenverhältnissen der Vibrationen unzählige Grade, Nuancen, Folgen und Abweichungen zulässt; so wird, mittelst seiner, die Musik der Stoff, in welchem alle Bewegungen des menschlichen Herzens, d. i. des Willens, deren Wesentliches immer aus Befriedigung und Unzufriedenheit, wiewohl in unzähligen Graden hinausläuft, sich in allen ihren feinsten Schattierungen und Modifikationen getreu abbilden und wiedergeben lassen, welches mittelst Erfindung der Melodie geschieht. Wir sehen also hier die Willensbewegungen auf das Gebiet der bloßen Vorstellung hinübergespielt, als welche der ausschließliche Schauplatz der Leistungen aller schönen Künste ist. Die Musik erregt in ihrem Stoffe nicht den Willen selbst, sondern gibt nur ein Bild der Befriedigung des Willens, so wie seiner Hemmung und seines Leidens. (W. II, 513—515. P. I, 42.)
Die Melodie besteht aus zwei Elementen, einem rhythmischen und
harmonischen, und ist wesentlich eine abwechselnde Entzweiung und
Versöhnung derselben. Diese beständige Entzweiung und Versöhnung
ihrer beiden Elemente ist, metaphysisch betrachtet, das Abbild der Entstehung
neuer Wünsche und sodann ihrer Befriedigung. Näher betrachtet,
sehen wir in diesem Hergang der Melodie eine gewissermaßen
innere Bedingung (die harmonische) mit einer äußeren (der rhythmischen)
wie durch einen Zufall zusammentreffen, — welchen freilich
der Komponist herbeiführt und der insofern dem Reim in der Poesie
zu vergleichen ist. Dies aber eben ist das Abbild des Zusammentreffens
unserer Wünsche mit den von ihnen unabhängigen günstigen,
äußeren Umständen, also das Bild des Glücks. — Durchgängig besteht
die Musik in einem steten Wechsel von mehr oder minder beunruhigenden,
d. i. Verlangen erregenden Akkorden mit mehr oder minder beruhigenden
und befriedigenden; eben wie das Leben des Herzens (der
Wille) ein steter Wechsel von größerer oder geringerer Beunruhigung,
durch Wunsch oder Furcht, mit eben so verschieden gemessener Beruhigung
ist. Demgemäß besteht die harmonische Fortschreitung in der
kunstgerechten Abwechselung der Dissonanz und Konsonanz. Ja, es
gibt eigentlich in der ganzen Musik nur zwei Grundakkorde: den
dissonanten Septimenakkord und den harmonischen Dreiklang, als auf
welche alle vorkommenden Akkorde zurückzuführen sind. Dies ist eben
Dem entsprechend, dass es für den Willen im Grunde nur Unzufriedenheit
und Befriedigung gibt. Und wie es zwei allgemeine Grundstimmungen
des Gemüts gibt, Heiterkeit und Betrübnis; so hat die
Musik zwei allgemeine Tonarten, Dur und Moll, welche jenen entsprechen.
(W. II, 516—521.)
5) Beziehung der Musik zu untergelegten einzelnen Szenen und Bildern des Lebens.
Auf der Allgemeinheit der Sprache der Musik beruht es, dass man ein Gedicht als Gesang, oder eine anschauliche Darstellung als Pantomime, oder beides als Oper der Musik unterlegen kann. Solche einzelne Bilder des Menschenlebens, der allgemeinen Sprache der Musik untergelegt, sind nie mit durchgängiger Notwendigkeit ihr verbunden, oder entsprechend; sondern sie stehen zu ihr nur im Verhältnis eines beliebigen Beispiels zu einem allgemeinen Begriff. Dem allgemeinen Sinn der einer Dichtung beigegebenen Melodie könnten noch andere, eben so beliebig gewählte Beispiele des in ihr ausgedrückten Allgemeinen in gleichem Grade entsprechen; daher passt die selbe Komposition zu vielen Strophen, daher auch das Vaudeville. Dass aber überhaupt eine Beziehung zwischen einer Komposition und einer anschaulichen Darstellung möglich ist, beruht darauf, dass beide nur ganz verschiedene Ausdrücke des selben inneren Wesens der Welt sind. Wenn nun im einzelnen Fall eine solche Beziehung wirklich vorhanden ist, also der Komponist die Willensregungen, welche den Kern einer Begebenheit ausmachen, in der allgemeinen Sprache der Musik auszusprechen gewusst hat; dann ist die Melodie des Liedes, die Musik der Oper ausdrucksvoll. Die vom Komponisten aufgefundene Analogie zwischen jenen beiden muss aber aus der unmittelbaren Erkenntnis des Wesens der Welt, seiner Vernunft unbewusst hervorgegangen, darf also nicht bewusste, absichtliche Nachahmung sein; sonst spricht die Musik nicht das innere Wesen, den Willen selbst, aus, sondern ahmt nur seine Erscheinung nach, wie dies alle eigentlich nachbildende Musik, z. B.die Jahreszeiten, auch
die Schöpfungvon Haydn in vielen Stellen tut. Solche malende Musik ist gänzlich zu verwerfen. (W. I, 310—312; II, 510 fg. P. II, 462.)
Wenn die Musik zu sehr sich den Worten anzuschließen und nach
den Begebenheiten zu modeln sucht, so ist sie bemüht, eine Sprache zu
reden, welche nicht die ihrige ist. Von diesem Fehler hat Keiner sich
so rein gehalten, wie Rossini; daher spricht seine Musik so deutlich
und rein ihre eigene Sprache, dass sie der Worte gar nicht bedarf
und daher auch mit bloßen Instrumenten ausgeführt ihre volle Wirkung
tut. (W. I, 309.)
Die Musik steht in analoger, wiewohl nicht ebenso unvermeidlicher
Dienstbarkeit zum Text, oder den sonstigen ihr ausgelegten Realitäten,
wie die Architektur als bloß schöne Kunst zu den wirklichen Bauwerken
mit ihren nützlichen Zwecken. Sie muss eine gewisse Homogenität
mit dem Texte annehmen und eben so auch den Charakter der übrigen,
ihr etwa gesetzten, willkürlichen Zwecke tragen und demnach Kirchen-,
Opern-, Militär-, Tanz-Musik u. dgl. m. sein. Das Alles aber ist
ihrem Wesen so fremd, wie der rein ästhetischen Baukunst die menschlichen
Nützlichkeitszwecke, denen also Beide sich zu bequemen und ihre
selbsteigenen den ihnen fremden Zwecken unterzuordnen haben. Der
Baukunst ist Dies fast immer unvermeidlich, der Musik nicht also; sie
bewegt sich frei im Konzerte, in der Sonate und vor Allem in der
Symphonie, ihrem schönsten Tummelplatz, auf welchem sie ihre Saturnalien
feiert. (P. II, 463 fg.) Dass übrigens die Zugabe der Dichtung
zur Musik uns so willkommen ist, und ein Gesang mit verständlichen
Worten uns so innig erfreut, beruht darauf, dass dabei unsere
unmittelbarste und unsere mittelbarste Erkenntnisweise zugleich und im
Verein angeregt werden. Bei der Sprache der Empfindung mag die
Vernunft nicht gern ganz müßig sitzen. Die Musik vermag zwar an
eigenen Mitteln jede Bewegung des Willens, jede Empfindung, auszudrücken;
aber durch die Zugabe der Worte erhalten wir nun überdies
auch noch die Gegenstände dieser, die Motive, welche jene veranlassen.
(W. II, 511. P. II, 465.)
6) Wirkung der Musik.
Weil die Musik nicht, gleich allen anderen Künsten, die Ideen, oder Stufen der Objektivation des Willens, sondern unmittelbar den Willen selbst darstellt; so ist hieraus erklärlich, dass sie auf den Willen, d. i. die Gefühle, Leidenschaften und Affekte des Hörers, unmittelbar einwirkt, so dass sie dieselben schnell erhöht, oder auch umstimmt. (W. II, 510.) — Aus der Allgemeinheit der Sprache der Musik entspringt es, dass unsere Phantasie so leicht durch sie erregt wird und nun versucht, jene ganz unmittelbar zu uns redende, unsichtbare und doch so lebhaft bewegte Geisterwelt zu gestalten und sie mit Fleisch und Bein zu bekleiden, also dieselbe in einem analogen Beispiel zu verkörpern. Dies ist der Ursprung des Gesanges mit Worten und endlich der Oper. (W. I, 309.)
Aus dem innigen Verhältnis, welches die Musik zum wahren Wesen
aller Dinge hat, ist es zu erklären, dass wenn zu irgend einer Szene,
Handlung, Vorgang, Umgebung, eine passende Musik ertönt, diese uns
den geheimsten Sinn derselben aufzuschließen scheint und als der richtigste
und deutlichste Kommentar dazu auftritt; imgleichen, dass es Dem,
der sich dem Eindruck einer Symphonie ganz hingibt, ist, als sähe er
alle möglichen Vorgänge des Lebens und der Welt an sich vorüber
ziehen; dennoch kann er, wenn er sich besinnt, keine Ähnlichkeit angeben
zwischen jenem Tonspiel und den Dingen, die ihm vorschweben.
(W. I, 310; II, 512 fg.)
Das unaussprechlich Innige aller Musik, vermöge dessen sie als ein
so ganz vertrautes und doch ewig fernes Paradies an uns vorüberzieht,
so ganz verständlich und doch so unerklärlich ist, beruht darauf, dass sie
alle Regungen unseres innersten Wesens wiedergibt, aber ganz ohne
die Wirklichkeit und fern von ihrer Qual. Imgleichen ist der ihr
wesentliche Ernst, welcher das Lächerliche aus ihrem unmittelbar eigenen
Gebiet ganz ausschließt, daraus zu erklären, dass ihr Objekt nicht die
Vorstellung ist, in Hinsicht auf welche Täuschung und Lächerlichkeit
allein möglich sind; sondern ihr Objekt unmittelbar der Wille ist und
dieser wesentlich das Allerernsteste, als wovon Alles abhängt. (W. I, 312.)
Da die Musik in ihren Tönen und Zahlenverhältnissen nicht den
Willen selbst, den sie abbildet, erregt, sondern eben nur ein Bild seines
Strebens, seines Schmerzes und seiner Befriedigung gibt, also,
wie alle schönen Künste, nur auf die Vorstellung wirkt; so bleibt sie
auch in ihren schmerzlichsten Akkorden noch erfreulich, und wir vernehmen
gern in ihrer Sprache die geheime Geschichte unseres Willens,
selbst noch in den wehmütigsten Melodien. Wo hingegen in der
Wirklichkeit und ihren Schrecken unser Wille selbst das so Erregte
und Gequälte ist, da haben wir es nicht mit Tönen und ihren Zahlenverhältnissen
zu tun, sondern sind vielmehr jetzt selbst die gespannte,
gekniffene und zitternde Saite. (W. II, 514.) Die Musik ist ein
Kathartikon des Gemütes, wie eine schöne Aussicht ein Kathartikon
des Geistes ist. (W. II, 460.)
Keine Kunst wirkt auf den Menschen so unmittelbar, so tief ein, als
die Musik, weil keine uns das wahre Wesen der Welt so tief und
unmittelbar erkennen lässt, als diese. Das Anhören einer großen, vollstimmigen
und schönen Musik ist gleichsam ein Bad des Geistes; es
spült alles Unreine, alles Kleinliche, alles Schlechte weg, stimmt Jeden
hinauf auf die höchste geistige Stufe, die seine Natur zulässt, und
während des Anhörens einer großen Musik fühlt Jeder deutlich, was
er im Ganzen wert ist, oder vielmehr, was er wert sein könnte.
(H. 373.)
Aus der passiven Natur des Gehörs erklärt sich die so eindringende,
so unmittelbare, so unfehlbare Wirkung der Musik auf den
Geist, nebst der ihr bisweilen folgenden, in einer besonderen Erhabenheit
der Stimmung bestehenden Nachwirkung. Die in kombinierten,
rationalen Zahlenverhältnissen erfolgenden Schwingungen der Töne
versetzen nämlich die Gehirnfibern selbst in gleiche Schwingungen.
(W. II, 36.)
7) Wie die Musik perzipiert wird.
Die Musik wird einzig und allein in und durch die Zeit perzipiert, mit gänzlicher Ausschließung des Raums, auch ohne Einfluss der Erkenntnis der Kausalität, also des Verstandes; denn die Töne machen schon als Wirkung und ohne dass wir auf ihre Ursache, wie bei der Anschauung zurückgingen, den ästhetischen Eindruck. (W. I, 314.)8) Der Komponist.
Die Erfindung der Melodie, die Aufdeckung aller tiefsten Geheimnisse des menschlichen Wollens und Empfindens in ihr, ist das Werk des Genius, dessen Wirken hier augenscheinlicher, als irgendwo, fern von aller Reflexion und bewusster Absichtlichkeit liegt und eine Inspiration heißen könnte. Der Begriff ist hier, wie überall in der Kunst, unfruchtbar. Der Komponist offenbart das innerste Wesen der Welt und spricht die tiefste Weisheit aus, in einer Sprache, die seine Vernunft nicht versteht; wie eine magnetische Somnambule Aufschlüsse gibt über Dinge, von denen sie wachend keinen Begriff hat. Daher ist in einem Komponisten, mehr als in irgend einem anderen Künstler, der Mensch vom Künstler ganz getrennt und unterschieden. (W. I, 307.)9) Gegensatz zwischen Musik und Schauspiel in Hinsicht auf die Ausführung.
In der Musik überwiegt der Wert der Komposition den der Ausführung; hingegen beim Schauspiel verhält es sich gerade umgekehrt. Nämlich eine vortreffliche Komposition, sehr mittelmäßig, nur eben rein und richtig ausgeführt, gibt viel mehr Genuss, als die vortrefflichste Ausführung einer schlechten Komposition. Hingegen leistet ein schlechtes Theaterstück, von ausgezeichneten Schauspielern gegeben, viel mehr, als das vortrefflichste, von Stümpern gespielt. (P. II, 469.)10) Abweg, auf welchem sich die Musik heutigen Tages befindet.
Der Abweg, auf welchem sich unsere Musik befindet, ist dem analog, auf welchen die römische Architektur unter den späteren Kaisern geraten war, wo nämlich die Überladung mit Verzierungen die wesentlichen, einfachen Verhältnisse teils versteckte, teils sogar verrückte; sie bietet nämlich vielen Lärm, viele Instrumente, viel Kunst, aber gar wenig deutliche, eindringende und ergreifende Grundgedanken. Zudem findet man in den schalen, nichtssagenden, melodielosen Kompositionen des heutigen Tages denselben Zeitgeschmack wieder, welcher die undeutliche, schwankende, nebelhafte, rätselhafte, ja sinnleere Schreibart sich gefallen lässt, deren Ursprung hauptsächlich in der miserablen Hegelei und ihrem Scharlatanismus zu suchen ist. — In den Kompositionen jetziger Zeit ist es mehr auf die Harmonie, als die Melodie abgesehen. Die Melodie ist jedoch der Kern der Musik, zu welchem die Harmonie sich verhält, wie zum Braten die Sauce. (P. II, 464.)
(Über die große Oper vergl. Oper.)