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Schopenhauers Kosmos

 

 Menschenkenntnis.

1) Grundlage und Propädeutik zu aller Menschenkenntnis.

Die Grundlage und die Propädeutik zu aller Menschenkenntnis ist die Überzeugung, dass das Handeln des Menschen, im Ganzen und Wesentlichen, nicht von seiner Vernunft und deren Vorsätzen geleitet wird; daher Keiner Dieses oder Jenes dadurch wird, dass er es, wenn auch noch so gern, sein möchte; sondern aus seinem angeborenen und unveränderlichen Charakter geht sein Tun hervor, wird näher und im Besonderen bestimmt durch die Motive, ist folglich das notwendige Produkt dieser beiden Faktoren. (P. II, 247.)

2) Erkennbarkeit des Charakters aus Einzelzügen.

(S. Charakter.)

3) Worauf der Irrtum bei Beurteilung fremder Charaktere beruht.

Jede menschliche Vollkommenheit ist einem Fehler verwandt, in welchen überzugehen sie droht; jedoch auch umgekehrt, jeder Fehler einer Vollkommenheit. Daher beruht der Irrtum, in welchen wir hinsichtlich eines Menschen geraten, oft darauf, dass wir, im Anfang der Bekanntschaft, seine Fehler mit den ihnen verwandten Vollkommenheiten verwechseln, oder auch umgekehrt. Da scheint uns dann der Vorsichtige feige, der Sparsame geizig; oder auch der Verschwender liberal, der Grobian gerade und aufrichtig, der Dummdreiste als mit edlem Selbstvertrauen auftretend, u. dgl. m. (P. II, 224.)
(Über andere Quellen des Irrtums bei Beurteilung fremder Charaktere s. unter Individuation, Individualität: Psychologische Bemerkung über die Ursachen irriger Beurteilung fremder Individuen.)

4) Einfluss des Studiums der Dichter auf die Menschenkenntnis.

Durch das Studium der Dichter gewinnen wir an Menschenkenntnis für das wirkliche Leben, oder richtiger, wir werden dadurch fähiger zur Erwerbung von Menschenkenntnis im wirklichen Leben; denn es ist nicht so, dass wir auf Personen stießen, die das Original uns bekannter poetischer Charaktere wären und deren Tun wir dadurch beurteilen könnten, sondern nur so, dass wir durch das Studium poetischer Charaktere fähiger werden, die uns vorkommenden Individualitäten schnell und sicher aufzufassen und das Charakteristische in ihrem Betragen vom Zufälligen zu unterscheiden. Unser Blick für die Auffassung des Charakteristischen der Menschen wird dadurch eben so geschärft, wie durch Zeichnen der Blick für die Auffassung der räumlichen Verhältnisse geschärft wird. (H. 368.)