Menschenkenntnis.
1) Grundlage und Propädeutik zu aller Menschenkenntnis.
Die Grundlage und die Propädeutik zu aller Menschenkenntnis ist die Überzeugung, dass das Handeln des Menschen, im Ganzen und Wesentlichen, nicht von seiner Vernunft und deren Vorsätzen geleitet wird; daher Keiner Dieses oder Jenes dadurch wird, dass er es, wenn auch noch so gern, sein möchte; sondern aus seinem angeborenen und unveränderlichen Charakter geht sein Tun hervor, wird näher und im Besonderen bestimmt durch die Motive, ist folglich das notwendige Produkt dieser beiden Faktoren. (P. II, 247.)2) Erkennbarkeit des Charakters aus Einzelzügen.
(S. Charakter.)3) Worauf der Irrtum bei Beurteilung fremder Charaktere beruht.
Jede menschliche Vollkommenheit ist einem Fehler verwandt, in welchen überzugehen sie droht; jedoch auch umgekehrt, jeder Fehler einer Vollkommenheit. Daher beruht der Irrtum, in welchen wir hinsichtlich eines Menschen geraten, oft darauf, dass wir, im Anfang der Bekanntschaft, seine Fehler mit den ihnen verwandten Vollkommenheiten verwechseln, oder auch umgekehrt. Da scheint uns dann der Vorsichtige feige, der Sparsame geizig; oder auch der Verschwender liberal, der Grobian gerade und aufrichtig, der Dummdreiste als mit edlem Selbstvertrauen auftretend, u. dgl. m. (P. II, 224.)
(Über andere Quellen des Irrtums bei Beurteilung fremder
Charaktere s. unter Individuation, Individualität: Psychologische
Bemerkung über die Ursachen irriger Beurteilung fremder
Individuen.)