1) Das Wort Liebe in den alten und in den neueren Sprachen.
Armut der Sprache kann eine dauernde Äquivokation und dadurch
Verwirrung der Begriffe veranlassen. So bedeutet Liebe im Deutschen
1) caritas, αγαπη, welche Mitleid ist, das im tiefsten Grunde
auf Erkenntnis der metaphysischen Identität mit dem Anderen beruht;
2) amor, ερως, welcher der Wille der Gattung als solcher ist.
Amour,
love,
amore sind eben so äquivok wie
Liebe
; also stehen
hierin alle neueren Sprachen den alten nach. (
H. 403.)
2) Wesen aller wahren und reinen Liebe.
Da jede Befriedigung nur ein hinweggenommener Schmerz, kein
positives Gut ist, die Freuden also nur negativer Natur sind und nur
das Ende eines Übels, so ist, was auch Güte, Liebe und Edelmut
für Andere tun, immer nur Linderung ihrer Leiden, und folglich ist
was sie bewegen kann zu guten Taten und Werken der Liebe, immer
nur die Erkenntnis des fremden Leidens, aus dem eigenen
unmittelbar verständlich und diesem gleichgesetzt. Hieraus aber ergibt
sich, dass die reine Liebe (
αγαπη,
caritas) ihrer Natur nach Mitleid
ist. Alle wahre und reine Liebe ist Mitleid, und jede Liebe, die nicht
Mitleid ist, ist Selbstsucht. Selbstsucht ist der
ερως; Mitleid ist die
αγαπη. Mischungen von beiden finden häufig Statt. (
W. I, 443 fg.)
3) Gemeinschaftliche Wurzel von caritas und amor.
Caritas und
amor haben ganz in der Tiefe eine gemeinschaftliche
Wurzel. In beiden nämlich handelt durch das Individuum sein jenseits
der Erscheinung und der Individualität liegendes metaphysisches Substrat,
der Wille zum Leben, einmal als Geist der Gattung, indem er
sie zu perpetuieren und ihren Typus rein zu halten strebt (vgl.
Geschlechtsliebe),
— im anderen Fall, indem er sich auch hier über die
Individualität erhebt und in verschiedenen Individuen seine eigene
Identität erkennend, eines für das andere sorgen lässt. (
H. 405.)