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Schopenhauers Kosmos

 

 Kunstwerk.

1) Tendenz des Kunstwerks.

Jedes Kunstwerk ist eigentlich bemüht, uns das Leben und die Dinge so zu zeigen, wie sie in Wahrheit sind, aber, durch den Nebel objektiver und subjektiver Zufälligkeiten hindurch, nicht von Jedem unmittelbar erfasst werden können. Diesen Nebel nimmt die Kunst hinweg. (W. II, 462.)

2) Konzeption des Kunstwerks.

a) Verhältnis des Objekts zum Subjekt in der Konzeption.

Der Ausdruck Konzeption für das Entstehen des Grundgedankens zu einem Kunstwerke ist sehr treffend; denn sie ist, wie zum Entstehen des Menschen die Zeugung, das Wesentlichste. Das Objekt übt gleichsam als Männliches einen beständigen Zeugungsakt auf das Subjekt als Weibliches aus. Dieser wird jedoch nur in einzelnen glücklichen Augenblicken und bei begünstigten Subjekten fruchtbar. Und eben auch wie bei der physischen Zeugung, hängt die Fruchtbarkeit viel mehr vom weiblichen, als vom männlichen Teile ab; ist jener (das Subjekt) in der zum Empfangen geeigneten Stimmung, so wird fast jedes jetzt in seine Apperzeption fallende Objekt anfangen, zu ihm zu reden, d. h. einen lebhaften, eindringenden und originellen Gedanken in ihm zu erzeugen. (P. II, 460 fg.)

b) Verhältnis der Konzeption zur Ausführung des Kunstwerks.

Eine rein objektive, vom Willen und seinen Zwecken freie Auffassung muss es allemal sein, welche der Konzeption, d. i. der ersten, allemal intuitiven Erkenntnis vorsteht, die nachmals den eigentlichen Stoff und Kern, gleichsam die Seele eines echten Kunstwerks ausmacht. Hingegen bei der Ausführung des Werkes, als wo die Mitteilung und Darstellung des also Erkannten der Zweck ist, kann, ja muss, eben weil ein Zweck vorhanden ist, der Wille wieder tätig sein; demnach herrscht hier auch wieder der Satz vom Grunde, welchem gemäß Kunstmittel zu Kunstzwecken gehörig angeordnet werden. So, wo den Maler die Richtigkeit der Zeichnung und die Behandlung der Farben, den Dichter die Anordnung des Plans, sodann Ausdruck und Metrum beschäftigen. (P. II, 450 fg.) Denken soll freilich der Künstler bei der Anordnung seines Werkes; aber nur das Gedachte, was geschaut wurde, ehe es gedacht war, hat nachmals, bei der Mitteilung, anregende Kraft und wird dadurch unvergänglich. (W. II, 465.)

3) Verwerflichkeit der vom Begriff ausgehenden Kunstwerke.

Da der Zweck der Kunst Erleichterung der Erkenntnis der Ideen der Welt ist, die Ideen aber wesentlich ein Anschauliches und daher in seinen näheren Bestimmungen Unerschöpfliches sind, so kann die Mitteilung eines solchen nur auf dem Wege der Anschauung geschehen. Der bloße Begriff hingegen ist ein vollkommen Bestimmbares, daher zu Erschöpfendes, deutlich Gedachtes, seinem ganzen Inhalt nach durch Worte kalt und nüchtern Mitteilbares. Ein Solches nun aber durch ein Kunstwerk mitteilen zu wollen, ist ein sehr unnützer Umweg. Ein Kunstwerk, dessen Konzeption aus bloßen deutlichen Begriffen hervorgegangen, ist allemal ein unechtes und erregt Ekel und Unwillen. Ganz befriedigt durch den Eindruck eines Kunstwerks sind wir nur dann, wenn es etwas hinterlässt, das wir, bei allem Nachdenken darüber, nicht bis zur Deutlichkeit eines Begriffs herabziehen können. (W. II, 464 fg.) Daher ist es ein so unwürdiges, wie albernes Unternehmen, die Dichtungen eines Shakespeare oder Göthe zurückführen zu wollen auf eine abstrakte Wahrheit, deren Mitteilung ihr Zweck gewesen wäre. (Daselbst.) Der Begriff, so nützlich er für das Leben und so brauchbar, notwendig und ergiebig er für die Wissenschaft ist, ist für die Kunst ewig unfruchtbar. Hingegen ist die aufgefasste Idee die wahre und einzige Quelle jedes echten Kunstwerks. (W. I, 277. H. 369.)
Will man den Vorzug, welchen die anschauende Erkenntnis, als die primäre und fundamentale, vor der abstrakten hat, unmittelbar empfinden und daraus inne werden, wie die Kunst uns mehr offenbart, als alle Wissenschaft vermag; so betrachte man, sei es in der Natur, oder unter Vermittlung der Kunst, ein schönes und bewegtes menschliches Antlitz voll Ausdruck. Welche tiefere Einsicht in das Wesen des Menschen, ja der Natur überhaupt, gibt nicht dieses, als alle Worte, samt den Abstrakta, die sie bezeichnen. (P. II, 454 fg.)
Ein willkürliches Spielen mit den Mitteln der Kunst, ohne eigentliche Kenntnis des Zwecks, ist, in jeder, der Grundcharakter der Pfuscherei. (W. II, 464.) Die Darstellung eines abstrakten, durch Worte kalt und nüchtern mitteilbaren Begriffs durch ein Kunstwerk ist ein sehr unnützer Umweg und gehört zu dem Spielen mit den Mitteln der Kunst ohne Kenntnis des Zwecks (Daselbst.) Da das Ausgehen von Begriff in der Kunst verwerflich ist, so kann es nicht gebilligt werden, wenn man ein Kunstwerk absichtlich und eingeständlich zum Ausdruck eines Begriffes bestimmt, wie in der Allegorie geschieht. (Vergl. Allegorie.)

4) Warum aus dem Kunstwerk die Idee uns leichter entgegentritt, als aus der Natur.

Das ästhetische Wohlgefallen ist zwar wesentlich Eines und dasselbe, es mag durch ein Werk der Kunst, oder unmittelbar durch die Anschauung der Natur und des Lebens hervorgerufen sein. Aber das Kunstwerk ist ein Erleichterungsmittel derjenigen Erkenntnis, in welcher jenes Wohlgefallen besteht. Dass aus dem Kunstwerk die Idee uns leichter entgegentritt, als unmittelbar aus der Natur und der Wirklichkeit, kommt daher, dass der Künstler, der nur die Idee, nicht mehr die Wirklichkeit erkannte, in seinem Werk auch nur die Idee rein wiederholt hat, sie ausgesondert hat aus der Wirklichkeit, mit Auslassung aller störenden Zufälligkeiten. (W. I, 229 fg.; II, 421.) Es beruht aber auch darauf, dass das zur rein objektiven Auffassung des Wesens der Dinge erforderte gänzliche Schweigen des Willens am sichersten dadurch erreicht wird, dass das angeschaute Objekt selbst gar nicht im Gebiete der Dinge liegt, welche einer Beziehung zum Willen fähig sind, indem es kein Wirkliches, sondern ein bloßes Bild ist. (W. II, 421.) Was macht, das ein Bild uns leichter zur Auffassung einer (Platonischen) Idee bringt, als ein Wirkliches, also Das, wonach das Bild der Idee näher steht, als die Wirklichkeit, ist im Allgemeinen Dieses, dass das Kunstwerk das schon durch ein Subjekt hindurchgegangene Objekt ist. Näher aber betrachtet, beruht die Sache darauf, dass das Kunstwerk nicht, wie die Wirklichkeit, uns Das zeigt, was nur Ein Mal da ist und nie wieder; sondern dass es uns die Form allein zeigt. Das Bild leitet uns mithin sogleich vom Individuum weg auf die bloße Form. Schon dieses Absondern der Form von der Materie bringt solche der Idee um Vieles näher. (P. II, 454.)

5) Die zum Genuss eines Kunstwerks erforderte Mitwirkung des Beschauers.

Jeder, der ein Gedicht liest, oder ein Kunstwerk betrachtet, muss aus eigenen Mitteln beitragen, die in jenem enthaltene Weisheit zu Tage zu fördern; folglich fasst er nur so viel davon, als seine Fähigkeit und seine Bildung zulässt; wie ins tiefe Meer jeder Schiffer sein Senkblei so tief hinablässt, als dessen Länge reicht. (W. II, 462.)
Eine Wissenschaft kann Jeder erlernen, wenn auch der Eine mit mehr, der Andere mit weniger Mühe. Aber von der Kunst erhält Jeder nur so viel, als er, nur unentwickelt, mitbringt. Was helfen einem Unmusikalischen Mozart'sche Opern? Was sehen die Meisten an der Rafael'schen Madonna? Und wie Viele schätzen Göthes Faust nicht bloß auf Auktorität? — Denn die Kunst hat es nicht, wie die Wissenschaft, bloß mit der Vernunft zu tun, sondern mit dem innersten Wesen des Menschen, und da gilt Jeder nur so viel, als er wirklich ist. (H. 301.)

6) Warum das Kunstwerk nicht Alles den Sinnen geben darf.

Jedes Kunstwerk kann nur durch das Medium der Phantasie wirken, daher es diese anregen muss und sie nie aus dem Spiel gelassen werden und untätig bleiben darf. Dies ist eine Bedingung der ästhetischen Wirkung und daher ein Grundgesetz aller schönen Künste. Aus demselben aber folgt, dass durch das Kunstwerk nicht Alles geradezu den Sinnen gegeben werden darf, vielmehr nur so viel, als erfordert ist, die Phantasie auf den rechten Weg zu leiten; ihr muss immer noch etwas und zwar das Letzte zu tun übrig bleiben. Daher bringen Wachsfiguren, obgleich gerade in ihnen die Nachahmung der Natur den höchsten Grad erreichen kann, nie eine ästhetische Wirkung hervor und sind nicht eigentliche Werke der schönen Kunst. Denn sie lassen der Phantasie nichts zu tun übrig. (W. II, 463 fg.)
Absonderung der Form von der Materie gehört zum Charakter des ästhetischen Kunstwerks, weil dessen Zweck ist, uns zur Erkenntnis einer (Platonischen) Idee zu bringen. Es ist also dem Kunstwerk wesentlich, die Form allein, ohne die Materie, zu geben, und zwar Dies offenbar und augenfällig zu tun. Hier liegt nun eigentlich der Grund, warum Wachsfiguren keinen ästhetischen Eindruck machen und daher keine Kunstwerke (im ästhetischen Sinne) sind. (P. II, 454.)

7) Vorzug der in der Begeisterung der ersten Konzeption geschaffenen Werke vor den Werken von langsamer und überlegter Ausführung.

Die in der Begeisterung der ersten Konzeption vollendeten Werke, die Werke aus einem Guss, die ohne alle Reflexion und völlig wie durch Eingebung zu Stande kommen, wie die Skizze der Maler, die Melodie, das lyrische Gedicht, haben vor den größeren Werken von langsamer und überlegter Ausführung den großen Vorzug, das lautere Werk der Begeisterung des Augenblicks ohne alle Einmischung der Absichtlichkeit und Reflexion zu sein. Ihre Wirkung ist viel unfehlbarer, als die der größten Kunstwerke, der großen historischen Gemälde, langen Epopöen, großen Opern u. s. w., weil an diesen die Reflexion, die Absicht und durchdachte Wahl bedeutenden Anteil hat. Verstand, Technik und Routine müssen hier die Lücken ausfüllen, welche die geniale Konzeption gelassen hat und allerlei notwendiges Nebenwerk muss, als Zement der eigentlich allein echten Glanzpartien, diese durchziehen. (W. II, 465 fg.)

8) Gegensatz zwischen den Kunstwerken und Artefakten.

S. Artefakt.