Glückseligkeit.
1) Die Glückseligkeit vom Standpunkt der höheren, über die Erscheinung sich erhebenden Erkenntnis angesehen.
Alles zeitliche Glück steht auf untergrabenem Boden. Glück und Klugheit schützen zwar die Person vor Unfällen und verschaffen ihr Genüsse; aber die Person ist bloße Erscheinung und ihre Verschiedenheit von anderen Individuen und das Freisein von den Leiden dieser beruht auf der Form der Erscheinung, dem principio individuationis. Dem wahren Wesen der Dinge nach hat Jeder, so lange er das Leben bejaht, alle Leiden der Welt als die seinigen zu betrachten. Für die das principium individuationis durchschauende Erkenntnis ist ein glückliches Leben in der Zeit, mitten unter den Leiden unzähliger Anderen, — doch nur der Traum eines Bettlers, in welchem er ein König ist, aber aus dem er erwachen muss, um zu erfahren, dass nur eine flüchtige Täuschung ihn von dem Leiden seines Lebens getrennt hatte. (W. I, 4l7 fg.)2) Unmöglichkeit der Glückseligkeit in einem Dasein, wie das unsrige.
In einem Dasein, wie das unsrige, welches wesentlich die beständige Bewegung zur Form hat, dessen Typus also Unruhe ist, und in einer Welt, wie die unsrige, wo keine Stabilität irgend einer Art möglich, sondern Alles in rastlosem Wirbel und Wechsel begriffen ist, lässt Glückseligkeit sich nicht einmal denken. Sie kann nicht wohnen, wo Platosbeständiges Werden und nie Seinallein Statt findet. Keiner ist glücklich, sondern Jeder strebt nur sein Leben lang nach einem vermeintlichen Glück. (P. II, 304 fg.) Friede, Ruhe und Glückseligkeit wohnt allein da, wo es kein Wo und kein Wann gibt. (P. II, 47, Anmerk.)
Alles im Leben gibt kund, dass das irdische Glück bestimmt ist,
vereitelt oder als eine Illusion erkannt zu werden. Hierzu liegen tief
im Wesen der Dinge die Anlagen. Demgemäß fällt das Leben der
meisten Menschen trübselig und kurz aus. Die komparativ Glücklichen
sind es meistens nur scheinbar, oder aber sie sind, wie die Langlebenden,
seltene Ausnahmen. Das Leben stellt sich dar als ein fortgesetzter
Betrug, im Kleinen, wie im Großen. Das Leben mit seinen
stündlichen, täglichen, wöchentlichen und jährlichen, kleinen, größeren und
großen Widerwärtigkeiten, mit seinen getäuschten Hoffnungen und seinen
alle Berechnung vereitelnden Unfällen trägt so deutlich das Gepräge
von etwas, das uns verleidet werden soll, dass es schwer zu begreifen
ist, wie man dies hat verkennen können und sich überreden lassen, es
sei da, um dankbar genossen zu werden, und der Mensch, um glücklich
zu sein. (W. II, 655 ff. Vergl. auch Befriedigung.)
Nicht nur, dass kein reines Glück, kein Zustand wirklicher und
dauernder Befriedigung anzutreffen ist, vielmehr selbiges bloß als ein
uns vorschwebendes und leitendes Ideal, oder eigentlich eine Chimäre
von der Erfahrung bekundet wird; — sondern es kann und darf ein
solches nicht möglich sein; denn es wäre eine vollständige Rechtfertigung
des Willens zum Leben, dieser behielte Recht, und das Aufgeben
desselben wäre Torheit. (H. 422.)
3) Glückseligkeit und Tugend.
Die ethischen Systeme, sowohl philosophische, als auf Glaubenslehren gestützte, suchen die Glückseligkeit mit der Tugend irgendwie in Verbindung zu setzen, die ersteren entweder durch den Satz des Widerspruchs, oder auch durch den des Grundes, Glückseligkeit also entweder zum Identischen, oder zur Folge der Tugend zu machen, immer sophistisch; die letzteren aber durch Behauptung anderer Welten, als die der Erfahrung möglicherweise bekannte. Dem gegenüber steht die wahre Betrachtung, für die das innere Wesen der Tugend sich ergibt als ein Streben in ganz entgegengesetzter Richtung, als das nach Glückseligkeit, d. i. Wohlsein und Leben. (W. I, 427.)
Die Alten, namentlich die Stoiker, auch die Peripatetiker und Akademiker,
bemühten sich vergeblich, zu beweisen, dass die Tugend hinreiche,
das Leben glücklich zu machen; die Erfahrung schrie laut dagegen.
Was dem Bemühen jener Philosophen, wenngleich ihnen nicht deutlich
bewusst, eigentlich zum Grunde lag, war die vorausgesetzte Gerechtigkeit
der Sache: wer schuldlos war, sollte auch frei von Leiden,
also glücklich sein. Aber nach der christlichen Lehre rechtfertigen die
Werke nicht; demnach ein Mensch, wenn er auch alle Gerechtigkeit und
Menschenliebe, mithin das αγαθον, honestum ausgeübt hat, dennoch
nicht schuldlos ist, sondern (nach Calderons Spruch) des Menschen
größte Schuld bleibt, dass er geboren ward. In Folge dieser Schuld
bleibt der Mensch mit Recht, auch wenn er alle jene Tugenden geübt
hat, den physischen und geistigen Leiden preisgegeben, ist also nicht
glücklich. (W. II, 690 fg. Vergl. unter Gerechtigkeit: die ewige
Gerechtigkeit.)