Gedächtniskunst. (Mnemonik.)
Stets sucht, wer eine Erinnerung hervorrufen will, zunächst nach
einem Faden, an dem sie durch die Gedankenassoziation hängt. (S. Gedankenassoziation.)
Hierauf beruht die Mnemonik. Sie will zu
allen aufzubewahrenden Begriffen, Gedanken, oder Worten, uns mit
leicht zu findenden Anlässen versehen. Das Schlimme jedoch ist,
dass doch auch diese Anlässe selbst erst wiedergefunden werden müssen
und hierzu wieder eines Anlasses bedürfen. (W. II, 146.) Die
Mnemonik beruht im Grunde darauf, dass man seinem Witze mehr,
als seinem Gedächtnisse zutraut und daher die Dienste dieses jenem
überträgt. Er nämlich muss einem schwer zu Behaltenden ein leicht
zu Behaltendes substituieren, um es einst wieder in Jenes zurück zu
übersetzen. Die Mnemonik verhält sich aber zum natürlichen Gedächtnis,
wie ein künstliches Bein zum wirklichen. Es ist dienlich, sich
ihrer bei neu erlernten Dingen, oder Worten, Anfangs zu bedienen,
wie einer einstweiligen Krücke, bis sie dem natürlichen, unmittelbaren
Gedächtnis einverleibt sind. Doch nimmermehr können bei der ungeheuren
Menge und Mannigfaltigkeit des Stoffes die Operationen des
natürlichen Gedächtnisses durch ein künstliches und bewusstes Spiel mit
Analogien ersetzt werden, bei denen das natürliche Gedächtnis doch
immer wieder das primum mobile bleiben muss, nun aber statt Eines
gar Zwei zu behalten hat, das Zeichen und das Bezeichnete. Jedenfalls
kann ein solches künstliches Gedächtnis nur einen verhältnismäßig
sehr geringen Vorrat fassen. (P. II, 55 fg.)
Der Name Mnemonik gebührt nicht sowohl der Kunst, das unmittelbare
Behalten durch Witz in ein mittelbares zu verwandeln, als
vielmehr einer systematischen Theorie des Gedächtnisses, die alle seine
Eigenheiten darlegte und sie aus seiner wesentlichen Beschaffenheit und
dann aus einander ableitete. (P. II, 643.)