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Schopenhauers Kosmos

 

 Urteil. Urteilen.

1) Was Urteil ist und worin das Urteilen besteht.

Das Denken im engeren Sinne besteht nicht in der bloßen Gegenwart abstrakter Begriffe im Bewusstsein, sondern in einem Verbinden, oder Trennen zweier, oder mehrerer derselben unter mancherlei Restriktionen, und Modifikationen, welche die Logik in der Lehre von den Urteilen angibt. Ein solches deutlich gedachtes und ausgesprochenes Begriffsverhältnis heißt ein Urteil. (G. 105.) Das Urteilen, dieser elementare und wichtigste Prozess des Denkens, besteht im Vergleichen zweier Begriffe. (W. II, 120; I, 50.)

2) Worauf sich alle Arten von Urteilen zurückführen lassen.

Auf die vier möglichen und durch räumliche Figuren darstellbaren Verhältnisse der Begriffssphären (s. unter Begriff: Begriffssphären) möchten alle Verbindungen von Begriffen zurückzuführen sein und die ganze Lehre von den Urteilen, deren Konversion, Kontraposition, Reziprokation, Disjunktion lässt sich daraus ableiten. (W. I, 62.)

3) Bestimmung der Kopula im Urteil.

(S. Kopula.)

4) Unterschied zwischen Urteil und Schluss.

(S. Schließen. Schluss.)

5) Unterschied zwischen Denkbarkeit und Wahrheit der Urteile.

Führt man die Denkgesetze auf nur zwei zurück, nämlich das vom ausgeschlossenen Dritten und das vom zureichenden Grunde (vergl. Denkgesetze), so ergibt sich, dass ein Urteil, sofern es dem ersten Denkgesetze genügt, denkbar, sofern es dem zweiten genügt, wahr ist. (W. II, 114. Vergl. unter Grund: Satz vom Grunde des Erkennens.)

6) Die Urteilsformen.

Die Vereinigung der Begriffe zu Urteilen hat gewisse bestimmte und gesetzliche Formen, welche, durch Induktion gefunden, die Tafel der Urteile ausmachen. Diese Formen sind größtenteils abzuleiten aus der reflektiven Erkenntnis selbst, also unmittelbar aus der Vernunft. Andere von diesen Formen haben ihren Grund in der anschauenden Erkenntnisart, also im Verstande. Noch andere endlich sind entstanden aus dem Zusammentreffen und der Verbindung der reflektiven und der intuitiven Erkenntnisart, oder eigentlich aus der Aufnahme dieser in jene. (W. I, 539-557; II, 115 fg. Vergl. auch Denkformen und Kategorien.)

7) Gegensatz der analytischen und synthetischen Urteile. Unterschied der synthetischen Urteile a priori und a posteriori.

Ein analytisches Urteil ist bloß ein auseinandergezogener Begriff, ein synthetisches hingegen ist Bildung eines neuen Begriffs aus zweien, im Intellekt schon anderweitig vorhandenen. Die Verbindung dieser muss aber alsdann durch irgend eine Anschauung vermittelt und begründet werden. Je nachdem nun diese eine empirische, oder aber eine reine a priori ist, wird auch das dadurch entstehende Urteil ein synthetisches a posteriori, oder a priori sein.
Jedes analytische Urteil enthält eine Tautologie, und jedes Urteil ohne alle Tautologie ist synthetisch. Hieraus folgt, dass im Vortrage analytische Urteile nur unter der Voraussetzung anzuwenden sind, dass Der, zu dem geredet wird, den Subjektbegriff nicht so vollständig kennt, oder gegenwärtig hat, wie Der, welcher redet. (P. II, 22 fg. 580.)
Ob ein gegebenes Urteil analytisch, oder synthetisch sei, wird im einzelnen Falle erst bestimmt werden können, je nachdem im Kopf des Urteilenden der Begriff des Subjekts mehr oder weniger Vollständigkeit hat. Der Begriff Katze enthält im Kopfe Cüviers hundert Mal mehr, als in dem seines Bedienten; daher die selben Urteile darüber für Diesen synthetisch, für Jenen bloß analytisch sein werden. Nimmt man aber die Begriffe objektiv und will nun entscheiden, ob ein gegebenes Urteil analytisch, oder synthetisch sei; so verwandle man das Prädikat desselben in sein kontradiktorisches Gegenteil und lege dieses ohne Kopula dem Subjekt bei; gibt nun dies eine contradictio in adjecto, so war das Urteil analytisch, außerdem aber synthetisch. (W. II, 39.)
Aus bloßen Begriffen können nie andere, als analytische Sätze hervorgehen. Sollen Begriffe synthetisch und doch a priori verbunden werden; so muss notwendig diese Verbindung durch ein Drittes vermittelt sein, durch eine reine Anschauung der formellen Möglichkeit der Erfahrung, so wie die synthetischen Urteile a posteriori durch die empirische Anschauung vermittelt sind. (W. I, 570.)

8) Wirkung der Zeit auf Berichtigung des Urteils.

Die unausbleibliche Wirkung der Zeit auf die Berichtigung des Urteils sollte man im Auge behalten, um sich damit zu beruhigen, so oft starke Irrtümer auftreten und um sich greifen. (P. II, 511.)
Bei jeder Verkehrtheit in der Gesellschaft oder in der Literatur soll man nicht verzweifeln und meinen, dass es nun dabei sein Bewenden haben werde; sondern wissen und sich getrösten, dass die Sache hinterher und allmählich beleuchtet, erwogen, besprochen und meistens zuletzt richtig beurteilt wird; so dass nach einer der Schwierigkeit derselben angemessenen Frist endlich fast Alle begreifen, was der klare Kopf sogleich sah. (P. I, 479.)

9) Wie man sein Urteil aussprechen soll, um Glauben zu finden.

Wer da will, dass sein Urteil Glauben finde, spreche es kalt und ohne Leidenschaftlichkeit aus. Denn alle Heftigkeit entspringt aus dem Willen; daher wird man diesem und nicht der Erkenntnis, die ihrer Natur nach kalt ist, das Urteil zuschreiben. Man wird, weil das Radikale im Menschen der Wille, die Erkenntnis aber bloß sekundär ist (vergl. unter Intellekt: Sekundäre Natur des Intellekts), eher glauben, dass das Urteil aus dem erregten Willen, als dass die Erregung des Willens bloß aus dem Urteil entsprungen sei. (P. I, 493 fg.)