Ätiologie.
1) Gegenstand und Umfang der Ätiologie.
Die Ätiologie oder Erklärung der Veränderungen in der Natur bildet eine Hauptabteilung der Naturwissenschaft, die Morphologie oder Beschreibung der Gestalten die andere.
Die Ätiologie betrachtet die wandelnde Materie nach den Gesetzen
ihres Überganges aus einer Form in die andere. Zur Ätiologie gehören
alle die Zweige der Naturwissenschaft, welchen die Erkenntnis
der Ursache und Wirkung überall die Hauptsache ist. Diese lehren, wie,
gemäß einer unfehlbaren Regel, auf einen Zustand der Materie notwendig
ein bestimmter anderer folgt; wie eine bestimmte Veränderung
notwendig eine andere, bestimmte, bedingt und herbeiführt, welche Nachweisung
Erklärung genannt wird. Hierher gehören hauptsächlich
Mechanik, Physik, Chemie, Physiologie. (W. I, 114 fg.)
Die ätiologische Erklärung tut im Grunde nichts weiter, als dass
sie die gesetzmäßige Ordnung, nach der die Zustände in Raum
und Zeit eintreten, nachweist und für alle Fälle lehrt, welche Erscheinung
zu dieser Zeit, an diesem Orte, notwendig eintreten muss; sie
bestimmt ihnen also ihre Stelle in Zeit und Raum nach einem Gesetz,
dessen bestimmten Inhalt die Erfahrung gelehrt hat, dessen allgemeine
Form und Notwendigkeit jedoch unabhängig von ihr uns bewusst ist.
Über das innere Wesen irgend einer jener Erscheinungen erhalten
wir dadurch aber nicht den mindesten Aufschluss: dieses wird Naturkraft
genannt und liegt außerhalb des Gebiets der ätiologischen
Erklärung, welche die unwandelbare Konstanz des Eintritts der Äußerung
einer solchen Kraft, so oft die ihr bekannten Bedingungen dazu da sind,
Naturgesetz nennt. Dieses Naturgesetz, diese Bedingungen, dieser
Eintritt, in Bezug auf bestimmten Ort, zu bestimmter Zeit sind Alles,
was sie weiß und je wissen kann. Die Kraft selbst, die sich äußert,
das innere Wesen der nach jenen Gesetzen eintretenden Erscheinungen,
bleibt ihr ewig ein Geheimnis, ein ganz Fremdes und Unbekanntes, sowohl
bei der einfachsten, wie bei der kompliziertesten Erscheinung.
(W. I, 116.)
Selbst die vollkommenste ätiologische Erklärung der gesamten Natur
wäre eigentlich nie mehr als ein Verzeichnis der unerklärlichen Kräfte,
und eine sichere Angabe der Regel, nach welcher die Erscheinungen derselben
in Zeit und Raum eintreten, sich sukzedieren, einander Platz
machen; aber das innere Wesen, die Bedeutung der also erscheinenden
Kräfte müsste sie, weil das Gesetz der Kausalität, dem sie folgt, nicht
dahin führt, stets unerklärt lassen. (W. I, 117.)
2) Fehler, welche die Ätiologie zu vermeiden hat.
Die ätiologische Erklärung hat richtig zu unterscheiden, ob eine Verschiedenheit der Erscheinung von einer Verschiedenheit der Kraft, oder nur von Verschiedenheit der Umstände, unter denen die Kraft sich äußert, herrührt, und hat gleich sehr sich zu hüten, für Erscheinung verschiedener Kräfte zu halten, was Äußerung einer und derselben Kraft, bloß unter verschiedenen Umständen, ist, als umgekehrt, für Äußerungen Einer Kraft zu halten, was ursprünglich verschiedenen Kräften angehört. (W. I, 166.)3) Verhältnis der Ätiologie zur Philosophie der Natur.
Wo die ätiologische Erklärung zu Ende ist, bei den allgemeinen Naturkräften und den Gesetzen, nach denen ihre Äußerungen eintreten, da fängt die metaphysische an. Die Ätiologie der Natur und die Philosophie der Natur tun daher einander nie Abbruch, sondern gehen neben einander, denselben Gegenstand aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachtend. Jene gibt in der vollständigen Darlegung der Naturkräfte und Gesetze ein komplettes Tatsachenregister, insofern jedes Naturgesetz doch nur eine allgemein ausgesprochene Tatsache, un fait généralisé ist; diese gibt Aufschluss über das innere Wesen dieser allgemeinen Tatsachen (W. I, 167.)
Wenn die Ätiologie, statt der Philosophie vorzuarbeiten und ihren
Lehren Anwendung durch Belege zu liefern, vielmehr meint, es sei ihr
Ziel, alle ursprünglichen Kräfte wegzuleugnen, bis etwa auf eine, die
allgemeinste, z. B. Undurchdringlichkeit, welche sie von Grund aus zu
verstehen sich einbildet und demnach auf sie alle anderen gewaltsam
zurückzuführen sucht, so entzieht sie sich ihre eigene Grundlage und
kann nur Irrtum statt Wahrheit geben. (W. I, 168.)