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Schopenhauers Kosmos

 

 Staat.

1) Ursprung und Zweck des Staates.

Da der Egoismus, wo ihm nicht entweder äußere Gewalt, welcher auch die Furcht beizuzählen ist, oder aber die echte moralische Triebfeder entgegenwirkt, seine Zwecke unbedingt verfolgt; so würde, bei der zahllosen Menge egoistischer Individuen, das bellum omnium contra omnes an der Tagesordnung sein, zum Unheil Aller. Daher die reflektierende Vernunft sehr bald die Staatseinrichtung erfindet, welche, aus gegenseitiger Furcht vor gegenseitiger Gewalt entspringend, den nachteiligen Folgen des allgemeinen Egoismus so weit vorbeugt, als es auf dem negativen Wege geschehen kann. (E. 198.) Die Vernunft erkannte, dass, sowohl um das über Alle verbreitete Leiden zu mindern, als um es möglichst gleichförmig zu verteilen, das beste und einzige Mittel sei, Allen den Schmerz des Unrechtleidens zu ersparen, dadurch, dass auch Alle dem durch das Unrechttun zu erlangenden Genuss entsagten. Dieses von dem vernünftig verfahrenden Egoismus ersonnene und allmählich vervollkommnte Mittel ist der Staatsvertrag. Dieser Ursprung desselben ist der wesentlich einzige und durch die Natur der Sache gesetzte. Der Staat kann in keinem Lande je einen anderen gehabt haben, weil eben erst diese Entstehungsart, dieser Zweck ihn zum Staat macht; wobei es aber gleichviel ist, ob der in jedem bestimmten Volke ihm vorhergegangene Zustand der eines Haufens von einander unabhängiger Wilden (Anarchie), oder eines Haufens Sklaven war, die der Stärkere nach Willkür beherrscht (Despotie). In beiden Fällen war noch kein Staat da; erst durch jene gemeinsame Übereinkunft entsteht er, und je nachdem diese Übereinkunft mehr oder weniger unvermischt ist mit Anarchie oder Despotie ist auch der Staat vollkommener oder unvollkommener. (W. I, 405.)
Während in der Moral der Wille, die Gesinnung, für die Hauptsache und das allein Reelle gilt, kümmern den Staat Wille und Gesinnung, bloß als solche, ganz und gar nicht, sondern allein die Tat. Der Staat wird daher Niemanden verbieten, Mord und Gift gegen einen Anderen beständig in Gedanken zu tragen, sobald er nur gewiss weiß, dass die Furcht vor Schwert und Rad die Wirkungen jenes Willens beständig hemmen werde. Der Staat hat auch keineswegs den törichten Plan, die Neigung zum Unrechttun, die böse Gesinnung zu vertilgen, sondern bloß jedem möglichen Motiv zur Ausübung eines Unrechts immer ein überwiegendes Motiv zur Unterlassung desselben in der unausbleiblichen Strafe an die Seite zu stellen. Es ist ein Irrtum, der Staat sei eine Anstalt zur Beförderung der Moralität und sei demnach gegen den Egoismus gerichtet. Der Staat ist so wenig gegen den Egoismus überhaupt und als solchen gerichtet, dass er umgekehrt gerade aus dem sich erst verstehenden, methodisch verfahrenden gemeinschaftlichen Egoismus Aller entsprungen und diesem zu dienen allein da ist. Keineswegs also gegen den Egoismus, sondern allein gegen die nachteiligen Folgen des Egoismus ist der Staat gerichtet. (W. I, 406—408. 413. E. 194. H. 389.)
Der Staat ist nichts weiter als eine Schutzanstalt, notwendig geworden durch die mannigfaltigen Angriffe, welchen der Mensch ausgesetzt ist und die er nicht einzeln, sondern nur im Verein mit Andern abzuwehren vermag. (W. II, 680—682.) Hieraus, dass der Staat wesentlich eine bloße Schutzanstalt ist gegen äußere Angriffe des Ganzen und innere der Einzelnen unter einander, folgt, dass die Notwendigkeit des Staates im letzten Grunde auf der anerkannten Ungerechtigkeit des Menschengeschlechts beruht; ohne diese würde an keinen Staat gedacht werden. Von diesem Gesichtspunkte aus sieht man deutlich die Borniertheit und Planheit der Philosophaster, welche den Staat als den höchsten Zweck und die Blüte des menschlichen Daseins darstellen und damit eine Apotheose der Philisterei liefern. (P. II, 258; I, 159. E. 217. M. 302 fg.)

2) Grenze der Wirksamkeit des Staates.

Wenn der Staat seinen Zweck vollkommen erreicht, wird er die selbe Erscheinung hervorbringen, als wenn vollkommene Gerechtigkeit der Gesinnung allgemein herrschte. Das innere Wesen und der Ursprung beider Erscheinungen wird aber der umgekehrte sein. Nämlich im letzteren Fall wäre es dieser, dass Niemand Unrecht tun wollte; im ersteren aber dieser, dass Niemand Unrecht leiden wollte und die gehörigen Mittel zu diesem Zweck vollkommen angewandt wären. So lässt sich die selbe Linie aus entgegengesetzten Richtungen beschreiben und ein Raubtier mit einem Maulkorb ist so unschädlich, wie ein grasfressendes Tier. — Weiter aber als bis zu diesem Punkte kann es der Staat nicht bringen; er kann also nicht eine Erscheinung zeigen, gleich der, welche aus allgemeinem wechselseitigen Wohlwollen und Liebe entspringen würde. (W. I, 408.) Es ließe sich denken, dass ein vollkommener Staat jedes Verbrechen hinderte; politisch wäre dadurch viel, moralisch nichts gewonnen, vielmehr nur die Abbildung des Willens durch das Leben gehemmt. (W. I, 436 fg. M. 303 fg.)
Erreichte der Staat seinen Zweck vollkommen, so könnte gewissermaßen, da er durch die in ihm vereinigten Menschenkräfte auch die übrige Natur sich mehr und mehr dienstbar zu machen weiß, zuletzt durch Fortschaffung aller Arten von Übel etwas dem Schlaraffenland sich Annäherndes zu Stande kommen. Allein teils ist er noch immer sehr weit von diesem Ziel entfernt geblieben, teils würden auch noch immer unzählige, dem Leben durchaus wesentliche Übel es nach wie vor im Leiden erhalten; teils ist auch sogar der Zwist der Individuen nie durch den Staat völlig aufzuheben, da er im Kleinen neckt, wo er im Großen verpönt ist, und endlich wendet sich die aus dem Innern glücklich vertriebene Eris zuletzt nach außen. (W. I, 413 fg.)

3) Unabhängigkeit des Rechts vom Staate.

(S. Recht.)