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Schopenhauers Kosmos

 

 Reisen.

1) Ästhetische Wirkung des Reisens.

Der Genuss des Reisens beruht zum Teil darauf, dass die Neuheit und das völlige Fremdsein der Gegenstände der anteilslosen ästhetischen, rein objektiven Auffassung derselben günstig ist. Der Reisende empfängt die Wirkung des Malerischen, oder Poetischen, von Gegenständen, welche dieselbe auf den Einheimischen nicht hervorzubringen vermögen. So z. B. macht auf Jenen der Anblick einer ganz fremden Stadt oft einen sonderbar angenehmen Eindruck, den er keineswegs im Bewohner derselben hervorbringt; denn er entspringt daraus, dass Jener außer aller Beziehung zu dieser Stadt und ihren Bewohnern stehend, sie rein objektiv anschaut. (W. II, 421 fg.)

2) Flüchtigkeit der Reise-Eindrücke und Trost hiergegen.

Auf Reisen, wo das Merkwürdige jeder Art sich drängt, ist die Geistesnahrung von Außen allerdings oft so stark, dass Zeit zur Verdauung fehlt. Man bedauert, dass die schnell vorübergehenden Eindrücke keine dauernde Spur hinterlassen können. Im Grunde aber ist es damit, wie mit dem Lesen. Wie oft bedauert man nicht, von dem, was man liest, kaum ein Tausendstel im Gedächtnis aufbehalten zu können; aber das Tröstliche in beiden Fällen ist, dass das Gesehene, wie das Gelesene, seinen Eindruck auf den Geist macht, ehe es vergessen wird, so den Geist bildet und ihm zur Nahrung wird, während das nur im Gedächtnis Aufbehaltene ihn bloß ausstopft und bläht, sein Wesen hingegen leer lässt. (M. 347.)

3) Was den Überdruss am Reisen schafft.

Auf Reisen sieht man das Menschenleben in vielerlei merklich verschiedenen Gestalten, und dies macht das Reisen so unterhaltend. Aber dabei sieht man immer nur die Außenseite des Menschenlebens, nämlich nicht mehr davon, als überall auch dem Fremden zugänglich ist und öffentlich sichtbar wird. Hingegen das Menschenleben im Innern, das Herz und Zentrum desselben, wo die eigentliche Aktion vorgeht und die Charaktere sich äußern, bekommt man nicht zu sehen. Darum sieht man auf Reisen die Welt, wie eine gemalte Landschaft, mit weitem viel umfassendem Horizont, aber ohne allen Vordergrund. Dies schafft den Überdruss des Reisens. (M. 348.)

4) Eine besondere Beobachtung, die man auf Reisen machen kann.

Auf Reisen kann man besonders beobachten, wie hart und erstarrt die Denkungsart des großen Haufens und wie schwer ihr beizukommen sei. Man braucht nur einen Tag auf der Eisenbahn weiter gefahren zu sein, um zu bemerken, dass da, wo man jetzt sich befindet, gewisse Vorurteile, Wahnbegriffe, Sitten, Gebräuche und Kleidungen herrschen, ja, seit Jahrhunderten sich erhalten, welche dort, wo man gestern gewesen, unbekannt sind. Ist es doch mit den Provinzialdialekten nicht anders. Hieraus kann man abnehmen, wie weit die Kluft ist zwischen dem Volk und den Büchern, und wie langsam, wenn auch sicher, die erkannten Wahrheiten zum Volke gelangen, weshalb in Hinsicht auf die Schnelligkeit der Fortpflanzung dem physischen Lichte nichts unähnlicher ist, als das geistige. (P. II, 65. M. 347.)

5) Ursache der Reisesucht.

Die Menschen bedürfen der Tätigkeit nach außen, weil sie keine nach innen haben. Hieraus ist die Rastlosigkeit und zwecklose Reisesucht der Unbeschäftigten zu erklären. Was sie so durch die Länder jagt, ist die Langeweile. (P. II, 645. Vergl. Nomadenleben.)