1) Gegensatz zwischen Rache und Strafe.
Das Gesetz und die Vollziehung desselben, die Strafe, sind wesentlich
auf die Zukunft gerichtet (wollen abschrecken von Beeinträchtigung
fremder Rechte), nicht auf die Vergangenheit. Dies unterscheidet
Strafe von Rache, welche letztere lediglich durch das Geschehene,
also das Vergangene als solches, motiviert ist. Alle Vergeltung des
Unrechts durch Zufügung eines Schmerzes, ohne Zweck für die Zukunft,
ist Rache und kann keinen anderen Zweck haben, als durch den Anblick
des fremden Leidens, welches man selbst verursacht hat, sich über das
selbst erlittene zu trösten. Solches ist Bosheit und Grausamkeit, und
ethisch nicht zu rechtfertigen. Unrecht, das mir Jemand zugefügt, befugt
mich keineswegs, ihm Unrecht zuzufügen. Vergeltung des Bösen
mit Bösen, ohne weitere Absicht, ist weder moralisch, noch sonst, durch
irgend einen vernünftigen Grund zu rechtfertigen. — Zweck für die
Zukunft unterscheidet Strafe von Rache, und diesen hat die Strafe
nur dann, wann sie zur Erfüllung eines Gesetzes vollzogen wird.
(
W. I, 411 fg.)
2) Verwandtschaft der Rachsucht mit der Bosheit.
Mit der Bosheit verwandt ist die Rachsucht, die das Böse mit
Bösem vergilt nicht aus Rücksicht auf die Zukunft, welches der Charakter
der Strafe ist, sondern bloß wegen des Geschehenen, Vergangenen,
als solchen, also uneigennützig, nicht als Mittel, sondern als Zweck,
um an der Qual des Beleidigers, die man selbst verursacht, sich zu
weiden. (Vergl.
Böse. Bosheit.) Was die Rache von der reinen
Bosheit unterscheidet und in etwas entschuldigt, ist ein Schein des
Rechts; sofern nämlich der selbe Akt, der jetzt Rache ist, wenn er
gesetzlich d. h. nach einer vorher bestimmten und bekannten Regel und
in einem Verein, der sie sanktioniert hat, verfügt würde, Strafe, also
Recht sein würde. (
W. I, 430 fg.)
3) Ein mit der gemeinen Rache nicht zu verwechselnder Zug in der menschlichen Natur.
Wir sehen bisweilen einen Menschen über ein großes Unbild, das
er erfahren, ja vielleicht nur als Zeuge erlebt hat, so tief empört
werden, dass er sein eigenes Leben mit Überlegung und ohne Rettung
daran setzt, um Rache an dem Ausüber jenes Frevels zu nehmen.
Wir sehen ihn etwa einen mächtigen Unterdrücker Jahre lang aufsuchen,
endlich ihn morden und dann selbst auf dem Schafott sterben, wie er
vorhergesehen, ja oft gar nicht zu vermeiden suchte, indem sein Leben
nur noch als Mittel zur Rache Wert für ihn behalten hatte. Diese
Art der Vergeltungssucht ist sehr verschieden von der gemeinen Rache,
die das erlittene Leid durch den Anblick des verursachten milderen will;
ja, sie bezweckt nicht sowohl Rache, als Strafe; denn in ihr liegt
eigentlich die Absicht einer Wirkung auf die Zukunft. Der Wille zum
Leben bejaht sich zwar in einem solchen aus Unwillen über ein empörendes
Unbild die Rache bis zur Selbstopferung treibenden Menschen
noch, hängt aber nicht mehr an der einzelnen Erscheinung, dem Individuum,
sondern umfasst die Idee des Menschen und will ihre Erscheinung
rein erhalten von solchem ungeheuren Unbild. Es ist ein seltener,
erhabener Charakterzug, durch welchen der Einzelne sich opfert, indem
er sich zum Arm der ewigen Gerechtigkeit zu machen strebt, deren
eigentliches Wesen er noch verkennt. (
W. I, 423 fg. Vergl. auch
unter
Gerechtigkeit: Die ewige Gerechtigkeit.)
4) Psychologische Erklärung der Süßigkeit der Rache.
Alles von der Natur, oder dem Zufall, oder Schicksal auf uns geworfene
Leiden ist,
ceteris paribus, nicht so schmerzlich, wie das,
welches fremde Willkür über uns verhängt. Denn in dem aus Natur
und Zufall entspringenden Leiden erkennen und bejammern wir mehr
das gemeinsame Los der Menschheit, als unser eigenes; hingegen hat
das Leiden durch fremde Willkür eine ganz eigentümliche, bittere
Zugabe zu dem Schmerz, oder Schaden selbst, nämlich das Bewusstsein
fremder Überlegenheit, bei eigener Ohnmacht dagegen. Jene bittere
Zugabe ist bloß durch Rache zu neutralisieren. Indem wir nämlich
dem Beeinträchtiger wieder Schaden zufügen, zeigen wir unsere Überlegenheit
über ihn und annullieren dadurch den Beweis der seinigen.
Dies gibt dem Gemüte die Befriedigung, nach der es dürstete.
Demgemäß wird, wo viel Stolz, oder Eitelkeit ist, auch viel Rachsucht
sein. (
P. II, 623 fg.)
5) Wodurch der Genuss der Rache vergällt wird.
Wie jeder erfüllte Wunsch sich, mehr oder weniger, als Täuschung
entschleiert; so auch der nach Rache. Meistens wird der von derselben
erhoffte Genuss uns vergällt durch das Mitleid; ja, oft wird die genommene
Rache nachher das Herz zerreißen und das Gewissen quälen;
das Motiv zu derselben wirkt nicht mehr, und der Beweis unserer
Bosheit bleibt vor uns stehen. (
P. II, 624.)