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Schopenhauers Kosmos

 

 Rache. Rachsucht.

1) Gegensatz zwischen Rache und Strafe.

Das Gesetz und die Vollziehung desselben, die Strafe, sind wesentlich auf die Zukunft gerichtet (wollen abschrecken von Beeinträchtigung fremder Rechte), nicht auf die Vergangenheit. Dies unterscheidet Strafe von Rache, welche letztere lediglich durch das Geschehene, also das Vergangene als solches, motiviert ist. Alle Vergeltung des Unrechts durch Zufügung eines Schmerzes, ohne Zweck für die Zukunft, ist Rache und kann keinen anderen Zweck haben, als durch den Anblick des fremden Leidens, welches man selbst verursacht hat, sich über das selbst erlittene zu trösten. Solches ist Bosheit und Grausamkeit, und ethisch nicht zu rechtfertigen. Unrecht, das mir Jemand zugefügt, befugt mich keineswegs, ihm Unrecht zuzufügen. Vergeltung des Bösen mit Bösen, ohne weitere Absicht, ist weder moralisch, noch sonst, durch irgend einen vernünftigen Grund zu rechtfertigen. — Zweck für die Zukunft unterscheidet Strafe von Rache, und diesen hat die Strafe nur dann, wann sie zur Erfüllung eines Gesetzes vollzogen wird. (W. I, 411 fg.)

2) Verwandtschaft der Rachsucht mit der Bosheit.

Mit der Bosheit verwandt ist die Rachsucht, die das Böse mit Bösem vergilt nicht aus Rücksicht auf die Zukunft, welches der Charakter der Strafe ist, sondern bloß wegen des Geschehenen, Vergangenen, als solchen, also uneigennützig, nicht als Mittel, sondern als Zweck, um an der Qual des Beleidigers, die man selbst verursacht, sich zu weiden. (Vergl. Böse. Bosheit.) Was die Rache von der reinen Bosheit unterscheidet und in etwas entschuldigt, ist ein Schein des Rechts; sofern nämlich der selbe Akt, der jetzt Rache ist, wenn er gesetzlich d. h. nach einer vorher bestimmten und bekannten Regel und in einem Verein, der sie sanktioniert hat, verfügt würde, Strafe, also Recht sein würde. (W. I, 430 fg.)

3) Ein mit der gemeinen Rache nicht zu verwechselnder Zug in der menschlichen Natur.

Wir sehen bisweilen einen Menschen über ein großes Unbild, das er erfahren, ja vielleicht nur als Zeuge erlebt hat, so tief empört werden, dass er sein eigenes Leben mit Überlegung und ohne Rettung daran setzt, um Rache an dem Ausüber jenes Frevels zu nehmen. Wir sehen ihn etwa einen mächtigen Unterdrücker Jahre lang aufsuchen, endlich ihn morden und dann selbst auf dem Schafott sterben, wie er vorhergesehen, ja oft gar nicht zu vermeiden suchte, indem sein Leben nur noch als Mittel zur Rache Wert für ihn behalten hatte. Diese Art der Vergeltungssucht ist sehr verschieden von der gemeinen Rache, die das erlittene Leid durch den Anblick des verursachten milderen will; ja, sie bezweckt nicht sowohl Rache, als Strafe; denn in ihr liegt eigentlich die Absicht einer Wirkung auf die Zukunft. Der Wille zum Leben bejaht sich zwar in einem solchen aus Unwillen über ein empörendes Unbild die Rache bis zur Selbstopferung treibenden Menschen noch, hängt aber nicht mehr an der einzelnen Erscheinung, dem Individuum, sondern umfasst die Idee des Menschen und will ihre Erscheinung rein erhalten von solchem ungeheuren Unbild. Es ist ein seltener, erhabener Charakterzug, durch welchen der Einzelne sich opfert, indem er sich zum Arm der ewigen Gerechtigkeit zu machen strebt, deren eigentliches Wesen er noch verkennt. (W. I, 423 fg. Vergl. auch unter Gerechtigkeit: Die ewige Gerechtigkeit.)

4) Psychologische Erklärung der Süßigkeit der Rache.

Alles von der Natur, oder dem Zufall, oder Schicksal auf uns geworfene Leiden ist, ceteris paribus, nicht so schmerzlich, wie das, welches fremde Willkür über uns verhängt. Denn in dem aus Natur und Zufall entspringenden Leiden erkennen und bejammern wir mehr das gemeinsame Los der Menschheit, als unser eigenes; hingegen hat das Leiden durch fremde Willkür eine ganz eigentümliche, bittere Zugabe zu dem Schmerz, oder Schaden selbst, nämlich das Bewusstsein fremder Überlegenheit, bei eigener Ohnmacht dagegen. Jene bittere Zugabe ist bloß durch Rache zu neutralisieren. Indem wir nämlich dem Beeinträchtiger wieder Schaden zufügen, zeigen wir unsere Überlegenheit über ihn und annullieren dadurch den Beweis der seinigen. Dies gibt dem Gemüte die Befriedigung, nach der es dürstete. Demgemäß wird, wo viel Stolz, oder Eitelkeit ist, auch viel Rachsucht sein. (P. II, 623 fg.)

5) Wodurch der Genuss der Rache vergällt wird.

Wie jeder erfüllte Wunsch sich, mehr oder weniger, als Täuschung entschleiert; so auch der nach Rache. Meistens wird der von derselben erhoffte Genuss uns vergällt durch das Mitleid; ja, oft wird die genommene Rache nachher das Herz zerreißen und das Gewissen quälen; das Motiv zu derselben wirkt nicht mehr, und der Beweis unserer Bosheit bleibt vor uns stehen. (P. II, 624.)