1) Subjektivität der lyrischen Gattung.
Der lyrischen Poesie, dem eigentlichen Liede, wo der Dichtende nur
seinen eigenen Zustand lebhaft anschaut und beschreibt, der Dargestellte
also auch der Darstellende ist, ist eben deshalb eine gewisse Subjektivität
wesentlich. Die lyrische Gattung ist deshalb auch die leichteste,
und wenn die Kunst sonst nur dem so seltenen, echten Genius angehört,
so kann selbst der im Ganzen nicht sehr eminente Mensch,
wenn in der Tat durch starke Anregung von Außen irgend eine Begeisterung
seine Geisteskräfte erhöht, ein schönes Lied zu Stande
bringen; denn es bedarf dazu nur einer lebhaften Anschauung seines
eigenen Zustandes im aufgeregten Moment. Die Stimmung des
Augenblicks zu ergreifen und im Liede zu verkörpern ist die ganze
Leistung dieser poetischen Gattung. Dennoch bildet, da der Dichter
überhaupt der allgemeine Mensch ist, in der lyrischen Poesie echter
Dichter sich das Innere der ganzen Menschheit ab. (
W. I, 293 fg.)
2) Wesen des Liedes.
Das eigentümliche Wesen des Liedes besteht in Folgendem. Es ist
das Subjekt des Willens, d. h. das eigene Wollen, was das Bewusstsein
des Singenden füllt, oft als ein entbundenes, befriedigtes Wollen
(Freude), wohl noch öfter aber als ein gehemmtes (Trauer), immer
als Affekt, Leidenschaft, bewegter Gemütszustand. Neben diesen
jedoch und zugleich damit wird durch den Anblick der umgebenden
Natur der Singende sich seiner bewusst als Subjekts des reinen,
willenlosen Erkennens, dessen unerschütterliche, selige Ruhe nunmehr in
Kontrast tritt mit dem Drange des immer beschränkten, immer noch
dürftigen Wollens. Die Empfindung dieses Kontrastes, dieses Wechselspiels
ist es eigentlich, was sich im Ganzen des Liedes ausspricht und
was überhaupt den lyrischen Zustand ausmacht. (
W. I, 294—296.)