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Schopenhauers Kosmos

 

 Lyrik.

1) Subjektivität der lyrischen Gattung.

Der lyrischen Poesie, dem eigentlichen Liede, wo der Dichtende nur seinen eigenen Zustand lebhaft anschaut und beschreibt, der Dargestellte also auch der Darstellende ist, ist eben deshalb eine gewisse Subjektivität wesentlich. Die lyrische Gattung ist deshalb auch die leichteste, und wenn die Kunst sonst nur dem so seltenen, echten Genius angehört, so kann selbst der im Ganzen nicht sehr eminente Mensch, wenn in der Tat durch starke Anregung von Außen irgend eine Begeisterung seine Geisteskräfte erhöht, ein schönes Lied zu Stande bringen; denn es bedarf dazu nur einer lebhaften Anschauung seines eigenen Zustandes im aufgeregten Moment. Die Stimmung des Augenblicks zu ergreifen und im Liede zu verkörpern ist die ganze Leistung dieser poetischen Gattung. Dennoch bildet, da der Dichter überhaupt der allgemeine Mensch ist, in der lyrischen Poesie echter Dichter sich das Innere der ganzen Menschheit ab. (W. I, 293 fg.)

2) Wesen des Liedes.

Das eigentümliche Wesen des Liedes besteht in Folgendem. Es ist das Subjekt des Willens, d. h. das eigene Wollen, was das Bewusstsein des Singenden füllt, oft als ein entbundenes, befriedigtes Wollen (Freude), wohl noch öfter aber als ein gehemmtes (Trauer), immer als Affekt, Leidenschaft, bewegter Gemütszustand. Neben diesen jedoch und zugleich damit wird durch den Anblick der umgebenden Natur der Singende sich seiner bewusst als Subjekts des reinen, willenlosen Erkennens, dessen unerschütterliche, selige Ruhe nunmehr in Kontrast tritt mit dem Drange des immer beschränkten, immer noch dürftigen Wollens. Die Empfindung dieses Kontrastes, dieses Wechselspiels ist es eigentlich, was sich im Ganzen des Liedes ausspricht und was überhaupt den lyrischen Zustand ausmacht. (W. I, 294—296.)