1) Definition der Leidenschaft.
Leidenschaft ist eine so starke Neigung, dass die sie anregenden Motive
eine Gewalt über den Willen ausüben, welche stärker ist, als die jedes
möglichen, Ihnen entgegenwirkenden Motivs, wodurch ihre Herrschaft
über den Willen eine absolute wird, dieser folglich gegen sie sich passiv,
leidend verhält. Die Leidenschaften erreichen jedoch selten den Grad,
wo sie der Definition vollkommen entsprechen, führen vielmehr häufig
als bloße Approximationen zu demselben ihren Namen; daher es alsdann
doch noch Gegenmotive gibt, die ihre Wirkung allenfalls zu
hemmen vermögen, wenn sie nur deutlich ins Bewusstsein treten.
(
W. II, 678.)
2) Gegensatz zwischen Leidenschaft und Affekt.
Der Affekt ist im Gegensatze zur Leidenschaft eine nur vorübergehende
Erregung des Willens, durch ein Motiv, welches seine
Gewalt nicht durch eine tief wurzelnde Neigung, sondern bloß dadurch
erhält, dass es, plötzlich eintretend, die Gegenwirkung aller andern
Motive durch seine große Lebhaftigkeit und Nähe für den Augenblick
ausschließt. (
W. II, 678 fg.) Bei der Leidenschaft bewegt das Motiv
den Willen durch seine Materie, Gehalt, beim Affekt durch seine
Form, Anschaulichkeit in der Gegenwart, unmittelbare Realität.
(
H. 393.) Die Tat des Affekts ist zwar ein Zeichen des empirischen
Charakters, aber nicht sofort des intelligiblen. Hingegen die Leidenschaft
hat ihren Sitz ganz und gar im Willen. Sie ist beharrlicher
Zustand; die ihr entsprechenden Motive beherrschen den Willen jederzeit,
sowohl wenn sie überlegt werden, als wenn sie sich plötzlich darbieten.
Die Taten der Leidenschaft sind daher dem Willen beizumessen und
sind Symptome des intelligiblen Charakters. (
H. 394.)
3) Unfähigkeit des Tieres zur eigentlichen Leidenschaft.
Durch die in der menschlichen Gattung auftretende Steigerung des
Intellekts, wie auch durch die als Träger eines so erhöhten Intellekts
notwendig vorausgesetzte Vehemenz des Willens, ist beim Menschen
eine Erhöhung aller Affekte eingetreten, ja die Möglichkeit der Leidenschaften,
welche das Tier eigentlich nicht kennt. (
W. II, 317.)
4) Die Sprache der Leidenschaft.
Der Wille zum Leben tritt im Menschen, wo mit der Vernunft
die Besonnenheit und mit dieser die Fähigkeit zur Verstellung eingetreten,
nicht so unverschleiert auf, wie bei den Tieren. Beim Menschen
tritt er nur noch in den Ausbrüchen der Affekte und Leidenschaften
unverhüllt hervor. Eben deshalb aber findet allemal die Leidenschaft,
wann sie spricht, Glauben, gleichviel welche es sei, und mit Recht.
Aus dem selben Grunde sind die Leidenschaften das Hauptthema der
Dichter und das Paradepferd der Schauspieler. (
P. II, 617 fg.)