1) Allgemeinheit und Maßlosigkeit des Leidens.
Da das den Kern und das Ansich jedes Dinges ausmachende
Streben das Selbe ist, was in uns Wille heißt, Hemmung desselben
oder durch ein Hindernis, welches sich zwischen ihn und sein einstweiliges
Ziel stellt, Leiden, hingegen sein Erreichen des Ziels Befriedigung,
Wohlsein, Glück genannt wird; so können wir diese
Benennungen auch auf die dem Grade nach schwächeren, dem Wesen nach
mit uns identischen Erscheinungen der erkenntnislosen Welt übertragen.
Diese sehen wir alsdann in stetem Leiden begriffen und ohne bleibendes
Glück. Denn alles Streben entspringt aus Mangel, aus Unzufriedenheit
mit seinem Zustande, ist also Leiden, so lange es nicht befriedigt
ist; keine Befriedigung aber ist dauernd, vielmehr ist jede stets nur
der Anfangspunkt eines neuen Strebens. Das Streben sehen wir
überall vielfach gehemmt, überall kämpfend; so lange also immer als
Leiden. Kein letztes Ziel des Strebens, also kein Maß und Ziel des
Leidens. (
W. I, 365.)
3) Läuternde Kraft und Ehrwürdigkeit des Leidens.
Alles Leiden hat, indem es eine Mortifikation und Aufforderung
zur Resignation ist, der Möglichkeit nach eine heilende Kraft. Hieraus
ist es zu erklären, dass großes Unglück, tiefe Schmerzen schon an sich
eine gewisse Ehrfurcht einflößen. Ganz ehrwürdig wird uns aber der
Leidende erst dann, wann er, den Lauf seines Lebens als eine Kette
von Leiden überblickend, oder einen großen und unheilbaren Schmerz
betrauernd, seinen Blick vom Einzelnen zum Allgemeinen erhoben hat
und sein eigenes Leiden nur als Beispiel des Ganzen betrachtet und
dann das Ganze des Lebens, als wesentliches Leiden aufgefasst, ihn
zur Resignation bringt. (
W. I, 468. Vergl. auch
Heilsordnung.)