1) Der Kritizismus im Allgemeinen.
Die Philosophie aller Zeiten schwingt, wie ein Pendel, hin und her
zwischen Rationalismus und Illuminismus, d. h. zwischen dem
Gebrauch der objektiven und dem der subjektiven Erkenntnisquelle.
Der Rationalismus nun, welcher den ursprünglich zum Dienste
des Willens allein bestimmten und deshalb nach außen gerichteten
Intellekt zum Organ hat, tritt zuerst als Dogmatismus auf, als
welcher er sich durchaus objektiv verhält. Dann wechselt er ab mit
dem Skeptizismus und wird in Folge hiervon zuletzt Kritizismus,
welcher den Streit durch Berücksichtigung des Subjekts zu schlichten
unternimmt. (
P. II, 9.) (Über den Gegensatz zwischen Kritizismus
und Dogmatismus vergl.
Dogmatismus.)
2) Der Kantische Kritizismus.
Die Kantische kritische Philosophie hat zu der Philosophie seiner
Vorgänger eine dreifache Beziehung: erstens, eine bestätigende und erweiternde
zu der Lockes; zweitens, eine berichtigende und benutzende
zu der Humes; drittens, eine entschieden polemische und zerstörende
zur Leibniz-Wolfischen Philosophie. Der Grundzug und das Hauptverdienst
des Kantischen Kritizismus ist die Unterscheidung der Erscheinung
vom Dinge an sich, also die Lehre von der gänzlichen
Diversität des Idealen und Realen. Die deutliche Erkenntnis und
ruhige, besonnene Darstellung der schon vor Kant von Platon und in
der indischen Lehre von der Maja mythisch ausgesprochenen, traumartigen
Beschaffenheit der Welt ist eigentlich die Basis der ganzen
Kantischen Philosophie, ist ihre Seele und ihr allergrößtes Verdienst.
Sie zeigte, dass die Gesetze, welche im Dasein, d. h. in der Erfahrung
überhaupt, mit unverbrüchlicher Notwendigkeit herrschen, nicht anzuwenden
sind, um das Dasein selbst abzuleiten und zu erklären, dass
also die Gültigkeit derselben doch nur eine relative ist, dieselben
folglich nicht, wie alle frühere okzidentalische Philosophie wähnte, ewige
Wahrheiten (
aeternae veritates) sind. (
W. I, 494—499.)