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Schopenhauers Kosmos

 

 Klug. Klugheit.

1) Wesen der Klugheit.

Die Klugheit ist Schärfe des Verstandes in seiner praktischen Anwendung. Die Schärfe des Verstandes im Auffassen der kausalen Beziehungen der mittelbar (d. h. mittelst des Leibes, des unmittelbaren Objekts) erkannten Objekte findet nämlich ihre Anwendung nicht allein in der Naturwissenschaft, deren sämtliche Entdeckungen ihr zu verdanken sind; sondern auch im praktischen Leben, wo sie Klugheit heißt; da sie hingegen in der ersteren Anwendung besser Scharfsinn, Penetration und Sagazität genannt wird. Genau genommen bezeichnet Klugheit ausschließlich den im Dienste des Willens stehenden Verstand. (W. I, 25 fg. G. 78. F. 8.) In der Vollkommenheit der unmittelbaren Auffassung der Kausalitätsverhältnisse besteht alle Überlegenheit des Verstandes, alle Klugheit, Sagazität, Penetration, Scharfsinn; denn jene liegt aller Kenntnis des Zusammenhanges der Dinge, im weitesten Sinne des Wortes, zum Grunde. Ihre Schärfe und Richtigkeit macht den Einen verständiger, klüger, schlauer als den Andern. (E. 149.) Scharfe Auffassung der Beziehungen gemäß dem Gesetze der Kausalität und Motivation macht die Klugheit aus. (W. I, 223.)

2) Formen der Klugheit.

Die praktische Anwendung des Verstandes, welche das Wesen der Klugheit ausmacht, wird, wenn sie mit Überlistung Anderer geschieht, Schlauheit genannt; wenn seine Zwecke sehr geringfügig sind, Pfiffigkeit; wenn sie mit dem Nachteil Anderer verknüpft sind, Verschmitztheit. (G. 78.)

3) Unterschied zwischen klug und vernünftig.

Die Schärfe des Verstandes in Auffassung der kausalen Verhältnisse, in deren praktischer Anwendung die Klugheit besteht, kann nicht durch abstrakte Begriffe, welche das Werk der Vernunft sind, beigebracht werden; daher vernünftig sein und klug sein zwei sehr verschiedene Eigenschaften sind. (F. 8.) Vernunft hat jeder Tropf; gibt man ihm die Prämissen, so vollzieht er den Schluss. Aber der Verstand liefert die primäre Erkenntnis, folglich die intuitive, und da liegen die Unterschiede. Die höchst verschiedenen Grade seiner Schärfe sind angeboren und nicht zu erlernen. (G. 78.)

4) Gegensatz zwischen dem Klugen und Genialen.

Da scharfe Auffassung der Beziehungen gemäß dem Gesetze der Kausalität und Motivation eigentlich die Klugheit ausmacht, die geniale Erkenntnis aber nicht auf die Relationen gerichtet ist (vergl. Genie); so wird ein kluger, sofern und während er es ist, nicht genial, und ein Genialer, sofern und während er es ist, nicht klug sein. (W. I, 223.)
Der Blick der Klugheit, selbst der feinsten, ist von dem der Genialität dadurch verschieden, dass er das Gepräge des Willensdienstes trägt, der andere hingegen davon frei ist. (P. II, 676 fg.)

5) Gefährlichkeit der Klugheit.

Nicht wer grimmig, sondern wer klug dreinschaut, sieht furchtbar und gefährlich aus, — so gewiss des Menschen Gehirn eine furchtbarere Waffe ist, als die Klaue des Löwen. (P. I, 505.)

6) Die Klugheit, vom ethischen Standpunkt aus betrachtet.

Alles zeitliche Glück steht und alle Klugheit wandelt — auf untergrabenem Boden. Sie schützen zwar die Person vor Unfällen und verschaffen ihr Genüsse; aber die Person ist bloße Erscheinung. Für die das principium individuationis durchschauende Erkenntnis ist ein glückliches Leben in der Zeit, vom Zufall geschenkt, oder ihm durch Klugheit abgewonnen, mitten unter den Leiden unzähliger Anderer — doch nur der Traum eines Bettlers, in welchem er ein König ist, aber aus dem er erwachen muss. (W. I, 417 fg.)