Idee.
1) Gegen den Missbrauch des Wortes Idee
.
Das Platonische Wort Idee, welches bei Platon die unvergänglichen Gestalten bezeichnet, welche, durch Zeit und Raum vervielfältigt, in den unzähligen, individuellen, vergänglichen Dingen unvollkommen sichtbar werden, und welches man, da es ein durchaus Anschauliches bezeichnet, nur durch Anschaulichkeiten oder Sichtbarkeiten entsprechend übersehen könnte, hat Kant sich zugeeignet, um Das zu bezeichnen, was von aller Möglichkeit der Anschauung sofern liegt, dass sogar das abstrakte Denken nur halb dazu gelangen kann. Das Wort Idee, welches Platon zuerst einführte, hat auch seitdem, zwei und zwanzig Jahrhunderte hindurch, immer die Bedeutung behalten, in der es Platon gebraucht; denn nicht nur die Philosophen des Altertums, sondern auch alle Scholastiker und sogar die Kirchenväter und die Theologen des Mittelalters gebrauchten es allein in jener Platonischen Bedeutung. Dass später Engländer und Franzosen die Armut ihrer Sprachen zum Missbrauch jenes Wortes verleitet hat, ist schlimm genug, aber nicht von Gewicht. Kants Missbrauch des Wortes Idee, durch Unterschiebung einer neuen Bedeutung, welche am dünnen Faden des Nicht-Objekt der Erfahrung-Seins, die es mit Platons Ideen, aber auch mit allen möglichen Chimären gemein hat, herbeigezogen wird, ist nicht zu rechtfertigen. (W. I, 579. 154.)
Der Franzose und Engländer verbindet mit dem Wort idée, oder
idea, einen sehr alltäglichen, aber doch ganz bestimmten und deutlichen
Sinn. Hingegen dem Deutschen, wenn man ihm von Ideen redet,
fängt an der Kopf zu schwindeln, alle Besonnenheit verlässt ihn, ihm
wird, als solle er mit dem Luftballon aufsteigen. (G. 113. H. 386.)
(Über die Annahme angeborener Ideen s. Angeboren.)
2) Wahre Bedeutung der Ideen.
Die Idee ist ein Allgemeines, wie der Begriff, aber ein Allgemeines ganz anderer Art, als dieser. (Vergl. das Allgemeine.) Die Ideen (in der echten, ursprünglichen, von Platon eingeführten Bedeutung des Wortes) sind die verschiedenen Stufen der Objektivation des Willens (als des Dinges an sich), welche, in zahllosen Individuen ausgedrückt, als die unerreichten Musterbilder dieser, oder als die ewigen Formen der Dinge dastehen, nicht selbst in Zeit und Raum, das Medium der Individuen, eintretend; sondern feststehend, keinem Wechsel unterworfen, immer seiend, nie geworden, während die Individuen entstehen und vergehen, immer werden und nie sind. — Unter Idee ist also jede bestimmte und feste Stufe der Objektivation des Willens zu verstehen, sofern er Ding an sich und daher der Vielheit fremd ist, welche Stufen zu den einzelnen Dingen sich verhalten, wie ihre ewigen Formen, oder ihre Musterbilder. (W. I, 154; II, 414.)3) Unterschied zwischen den Ideen und dem Ding an sich.
Die Ideen offenbaren noch nicht das Wesen an sich, sondern nur den objektiven Charakter der Dinge, also immer nur noch die Erscheinung, aber die vollständige und vollkommene Erscheinung oder die adäquate Objektität des Willens. (W. II, 414 fg.; I, 191. 205 fg. 211.) Idee und Ding an sich sind also nicht Eines und dasselbe; vielmehr ist die Idee nur die unmittelbare und daher adäquate Objektität des Dinges an sich, welches selbst der Wille ist, der Wille, sofern er noch nicht objektiviert, d. h. noch nicht Objekt für ein erkennendes Subjekt, noch nicht Vorstellung geworden ist. Das Ding an sich ist als solches frei nicht bloß von allen dem Erkennen als solchen anhängenden, besonderen Formen, sondern auch von der ersten und allgemeinsten Form aller Erscheinung, d. i. Vorstellung, dem Objekt-für-ein-Subjekt-sein. Die Platonische Idee hingegen ist notwendig Objekt, ein Erkanntes, eine Vorstellung und eben dadurch, aber auch nur dadurch, vom Ding an sich verschieden. Sie hat bloß die untergeordneten Formen der Erscheinung, welche alle unter dem Satz vom Grunde begriffen sind, abgelegt, oder vielmehr ist noch nicht in sie eingegangen; aber die erste und allgemeinste Form hat sie beibehalten, die der Vorstellung überhaupt, des Objektseins für ein Subjekt. (W. I, 205 fg.)4) Das empirische Korrelat der Idee.
(S. Art.)5) Die Ideen und die einzelnen Dinge.
Die der ersten und allgemeinsten Form der Vorstellung überhaupt, dem Objektsein für ein Subjekt, untergeordneten Formen (Raum, Zeit und Kausalität), deren allgemeiner Ausdruck der Satz vom Grunde ist, sind es, welche die Idee zu einzelnen und vergänglichen Individuen vervielfältigen, deren Zahl in Beziehung auf die Idee völlig gleichgültig ist. Die Idee geht in diese Formen ein, indem sie in die Erkenntnis des Subjekts als Individuums fällt. Das einzelne erscheinende Ding ist also nur eine mittelbare Objektivation des Dinges an sich (des Willens), zwischen welchem und ihm noch die Idee steht, als die alleinige unmittelbare Objektität des Willens, indem sie keine andere dem Erkennen als solchen eigene Form angenommen hat, als die der Vorstellung überhaupt, d. i. des Objektseins für ein Subjekt. Während daher die Idee allein die möglichst adäquate Objektität des Willens als Dinges an sich oder das ganze Ding an sich, nur unter der Form der Vorstellung, ist; so sind die einzelnen Dinge keine ganz adäquate Objektität des Willens, sondern diese ist hier schon getrübt durch die im Satz vom Grund begriffenen Formen, welche Bedingung der dem Individuum als solchem möglichen Erkenntnis sind. (W. I, 206.)
Die einzelnen Dinge aller Zeiten und Räume sind nichts, als die
durch den Satz vom Grund (die Form der Erkenntnis der Individuen
als solcher) vervielfältigten und dadurch in ihrer reinen Objektität getrübten
Ideen. (W. I, 212.)
Die Ideen sind unvergänglich; die Individuen hingegen entstehen
und vergehen. Seht das Nächste, seht euren Hund an. Viele Tausende
von Hunden haben sterben müssen, ehe es an diesen kam, zu leben.
Aber der Untergang jener Tausende hat die Idee des Hundes nicht
angefochten; sie ist durch alles jenes Sterben nicht im mindesten getrübt
worden. (W. II, 551.)
6) Die Erkenntnis der Ideen.
Wir würden nicht mehr einzelne Dinge, noch Begebenheiten, noch Wechsel, noch Vielheit erkennen, sondern nur Ideen, nur die Stufenleiter des einen, das wahre Ding an sich bildenden Willens in reiner ungetrübter Erkenntnis auffassen, und folglich würde unsere Welt ein Nunc stans sein, wenn wir nicht als Subjekt des Erkennens zugleich Individuen wären und als solche die Zeit und alle anderen Formen des Satzes vom Grunde zur Form unseres Erkennens hätten. (W. I, 207. P. II, 452.) Um also sich zur Erkenntnis der Ideen zu erheben, muss im erkennenden Subjekt eine Veränderung vorgehen, vermöge welcher es nicht mehr Individuum ist, sondern entsprechend der ganzen Art des Objekts (der Idee), welche ebenfalls nicht einzelnes Ding, nicht Individuum ist, zum reinen Subjekt des Erkennens wird, welches die Dinge nicht mehr in ihrer Beziehung zum individuellen Willen, sondern in ihrem selbsteigenen Wesen auffasst. Hat der Intellekt Kraft genug, das Übergewicht über den Willen zu erlangen und die Beziehungen der Dinge auf den Willen ganz fahren zu lassen, um statt ihrer das durch alle Relationen hindurch sich aussprechende, rein objektive Wesen einer Erscheinung aufzufassen; so verlässt er mit dem Dienste des Willens zugleich auch die Auffassung bloßer Relationen und damit eigentlich auch die des einzelnen Dinges als solchen. Er schwebt alsdann frei, keinem Willen mehr angehörig; im einzelnen Dinge erkennt er bloß das Wesentliche und daher die ganze Gattung desselben, folglich hat er zu seinem Objekte jetzt die Ideen. (W. I, 200. 207 ff.; II, 155. 414. 417 fg. 423 fg.)
Der Übergang von der gemeinen Erkenntnis einzelner Dinge zur
Erkenntnis der Idee geschieht plötzlich, indem die Erkenntnis sich vom
Dienste des Willens losreißt, eben dadurch das Subjekt aufhört, ein
bloß individuelles zu sein, und jetzt reines, d. h. willenloses Subjekt
der Erkenntnis ist, welches nicht mehr, dem Satz vom Grunde
gemäß, den Relationen nachgeht; sondern in fester Kontemplation des
dargebotenen Objekts, außer seinem Zusammenhang mit irgend andern,
ruht und darin aufgeht. (W. I, 209 ff.)
Was diesen Zustand erschwert und daher selten macht, ist, dass
darin gleichsam das Akzidenz (der Intellekt) die Substanz (den
Willen) bemeistert und aufhebt, wenngleich nur auf eine kurze Weile.
(W. II, 420.)
Was diesen Zustand ausnahmsweise herbeiführt, müssen innere
physiologische Vorgänge sein, welche die Tätigkeit des Gehirns reinigen
und erhöhen, in dem Grade, dass eine solche plötzliche Springflut
derselben entsteht. Von außen ist derselbe dadurch bedingt, dass wir
der zu betrachtenden Szene völlig fremd und von ihr abgesondert
bleiben, und schlechterdings nicht tätig darin verflochten sind. (W. II,
424 fg.)
Die Idee und das reine (vom Dienste des Willens freie) Subjekt
des Erkennens treten als notwendige Korrelate immer zugleich ins
Bewusstsein, bei welchem Eintritt auch aller Zeitunterschied sogleich
verschwindet, da beide dem Satz vom Grunde in allen seinen Gestaltungen
völlig fremd sind und außerhalb der durch ihn gesetzten
Relationen liegen, dem Regenbogen und der Sonne zu vergleichen, die
an der steten Bewegung und Sukzession der fallenden Tropfen keinen
Teil haben. Daher ist es z. B. bei Betrachtung eines Baumes für
die Erkenntnis seiner Idee ohne Bedeutung, ob es dieser Baum oder
sein vor tausend Jahren blühender Vorfahr ist, und ebenso, ob der
Betrachter dieses, oder irgend ein anderes, irgendwann und irgendwo
lebendes Individuum ist. Und nicht allein der Zeit, sondern auch dem
Raum ist die Idee enthoben; denn nicht die mir vorschwebende räumliche
Gestalt, sondern ihr innerstes Wesen ist eigentlich die Idee und
kann ganz das Selbe sein bei großem Unterschied der räumlichen
Verhältnisse der Gestalt. (W. I, 247.)