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Schopenhauers Kosmos

 

 Geschehen.

1) Notwendigkeit alles Geschehens.

Alles was geschieht, vom Größten bis zum Kleinsten, geschieht notwendig. (Quidquid fit necessario fit.) (E. 60 fg.)
Dass Alles, ohne Ausnahme, was geschieht, mit strenger Notwendigkeit eintritt, ist eine a priori einzusehende, folglich unumstößliche Wahrheit. (P. I, 217.)

2) Empirische Bestätigung dieser Wahrheit.

Diese Wahrheit wird empirisch und a posteriori bestätigt durch die nicht mehr zweifelhafte Tatsache, dass magnetische Somnambule, dass mit dem zweiten Gesicht begabte Menschen, ja, dass bisweilen die Träume des gewöhnlichen Schlafs das Zukünftige geradezu und genau vorher verkünden. (P. I, 217.) Wenn wir die strenge Notwendigkeit alles Geschehenden vermöge einer alle Vorgänge ohne Unterschied verknüpfenden Kausalkette nicht annehmen, sondern diese letztere an unzähligen Stellen durch eine absolute Freiheit unterbrochen werden lassen; so wird alles Vorhersehen des Zukünftigen im Traum, im hellsehenden Somnambulismus und im zweiten Gesicht (second sight), selbst objektiv, folglich absolut unmöglich, mithin undenkbar; weil es dann gar keine objektiv wirkliche Zukunft gibt, die auch nur möglicherweise vorhergesehen werden könnte. (E. 61.)

3) Einheit des in der Notwendigkeit alles Geschehens sich darstellenden Wesens.

Die sich uns vermittelst der Kette der Ursachen und Wirkungen darstellende Notwendigkeit alles Geschehenden, d. h. in der Zeit sukzessiv Eintretenden, ist bloß die Art, wie wir, unter der Form der Zeit, das einheitlich und unverändert Existierende wahrnehmen; oder auch, sie ist die Unmöglichkeit, dass das Existierende, obgleich es von uns heute als zukünftig, morgen als gegenwärtig, übermorgen als vergangen erkannt wird, nicht dennoch mit sich selbst identisch, Eins und unveränderlich sei. Wie in der Zweckmäßigkeit des Organismus sich die Einheit des in ihm sich objektivierenden Willens darstellt, welche jedoch in unserer, an den Raum gebundenen Apprehension als eine Vielheit von Teilen und deren Übereinstimmung zum Zweck aufgefasst wird; eben so stellt die, durch die Kausalkette herbeigeführte Notwendigkeit alles Geschehenden die Einheit des darin sich objektivierenden Wesens an sich her, welche jedoch in unserer an die Zeit gebundenen Apprehension als eine Sukzession von Zuständen, also als Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges aufgefasst wird; während das Wesen an sich selbst das Alles nicht kennt, sondern im Nunc stans existiert. (P. II, 45.)

4) Folgerungen für die Lebensweisheit aus der Notwendigkeit alles Geschehens.

Wünschen, dass irgend ein Vorfall nicht geschehen wäre, ist eine törichte Selbstquälerei; denn es heißt etwas absolut Unmögliches wünschen. Weil eben alles Geschehende, Großes wie Kleines, streng notwendig, ist es durchaus eitel, darüber nachzudenken, wie geringfügig und zufällig die Ursachen waren, welche jenen Vorfall herbeigeführt haben, und wie so sehr leicht sie hätten anders sein können; denn Dies ist illusorisch. (E. 61.) Bei einem unglücklichen Ereignis, welches bereits eingetreten, also nicht mehr zu ändern ist, soll man sich nicht ein Mal den Gedanken, dass dem anders sein könnte, noch weniger den, wodurch es hätte abgewendet werden können, erlauben; denn gerade er steigert den Schmerz ins Unerträgliche, so dass man damit zum Selbstquäler wird. Doch ist diese Regel insofern einseitig, als sie zwar zu unserer unmittelbaren Erleichterung und Beruhigung bei Unglücksfällen dient, aber andererseits doch die wiederholte und schmerzliche Überlegung, wie wir dem Geschehenen durch Vorsicht und Besonnenheit hätten vorbeugen können, zu unserer Witzigung und Besserung für die Zukunft, heilsam ist. (P. I, 460 fg.)